# taz.de -- Barrierefreiheit in Berliner Neubauten: Das Gespenst der hohen Kost… | |
> Die Koalition will an der Bauordnung in Sachen Barrierefreiheit nichts | |
> mehr ändern. Behindertenvertreter, Opposition und Experten: Argumente | |
> dafür sind Unsinn. | |
Bild: Teure Extrarampe statt barrierefreier Standard: Die neue Berliner Bauordn… | |
Iris Spranger von der SPD wird laut: „Immer ist die Opposition für billige | |
Mieten, und nur weil Besuch im Raum ist, ist es auf einmal egal, was | |
Barrierefreiheit kostet!“ – Der „Besuch“, das sind 12 RollstuhlfahrerIn… | |
die am Mittwoch zur Abstimmung über den Neuentwurf der Bauordnung in den | |
Bauausschuss gekommen sind. Später werden sie selbst laut und werden am | |
Ende mit nichts als Enttäuschung den Saal verlassen. | |
Seit der Vorstellung der neuen Bauordnung hagelt es Kritik. Statt einer | |
Weiterentwicklung der Barrierefreiheit sei der Entwurf ein Rückschritt um | |
20 Jahre in die Zeit vor dem Landesgleichberechtigungsgesetz und der | |
UN-Behindertenrechtskonvention, so Behindertenvertreter. „Wenn die | |
Bauordnung so verabschiedet wird, dann werden Arbeitsplätze für Menschen | |
mit Behinderung systematisch verhindert und niemals der Bedarf an | |
barrierefreien Wohnungen gedeckt“, sagt Bärbel Reichelt vom Berliner | |
Behindertenverband und eine der RollstuhlfahrerInnen im Raum. | |
## Wunschziel 100 Prozent | |
Das sah die Opposition ähnlich. Eine Vielzahl von Anträgen zur Änderung des | |
Entwurfs brachten Grüne, Linke und Piraten ein. So wollten etwa die Grünen | |
und die Linke, dass ab 2020 nicht nur 50, sondern 100 Prozent der | |
neugebauten Wohnungen in aufzugspflichtigen Gebäuden so gebaut werden, dass | |
sie bis ins hohe Alter und für die meisten Rollstuhlfahrer nutzbar sind. | |
„Wenn wir in Sachen Barrierefreiheit weiterkommen wollen, dann geht das nur | |
im Neubau“, sagt Katrin Lompscher, wohnungspolitische Sprecherin der | |
Linken. Schon jetzt fehlen 41.000 barrierefreie bzw. barrierearme Wohnungen | |
in Berlin. | |
Außerdem sollte die Trennung von Gebäuden in barrierefrei zu bauende | |
öffentliche Bereiche und sonstige Bereichen, etwa Büros, nach Wunsch der | |
Opposition wieder raus aus der Bauordnung. Eigentlich war diese Trennung | |
schon vor 20 Jahren abgeschafft worden. | |
Als über den Antrag auf eine 100-Prozent-Quote im Wohnungsneubau abgestimmt | |
wird, wandern die Blicke der Abgeordneten Richtung Zuschauer. „Meldungen im | |
Publikum können wir leider nicht mitzählen“, sagt der Ausschussvorsitzende. | |
Gemeldet hatten sich die 12 RollstuhlfahrerInnen in Reihe eins. Die kurze | |
Heiterkeit hält nicht lange an: Dieser und alle anderen Anträge der | |
Opposition auf mehr Barrierefreiheit werden von der regierenden Koalition | |
aus SPD und CDU abgelehnt. | |
Geheime Studie ohne Argumente | |
Der Grund ist schnell erzählt: die vermeintlich hohen Mehrkosten. Die neue | |
Bauordnung stelle ein „ausgewogenes Verhältnis her zwischen den Forderungen | |
der Behindertenverbände und denen nach schnellem und kostengünstigerem | |
Bauen“, erklärt Senatsbaudirektorin Regula Lüscher gegenüber der taz. In | |
der Sitzung selber bezieht sie sich auf eine Studie, die aber geheim sei. | |
So bleibt einfach nur ein Vorwurf ohne Belege im Raum: Barrierefreies Bauen | |
koste mehr Fläche und damit mehr Geld. In Zeiten des angespannten | |
Immobilienmarktes nicht durchsetzbar. | |
„Das ist ein Gespenst“, wirft Lompscher der Koalition vor. Es gebe mehrere | |
Gutachten, die belegen, dass unterschiedliche Standards zu bauen viel | |
teurer sei als ein einheitlicher. Auch Andreas Otto, baupolitischer | |
Sprecher der Grünen-Fraktion, betont: „Mit intelligenten Grundrissen kostet | |
barrierefreies Bauen nicht viel mehr.“ | |
Rückendeckung kommt von denen, die sich ganz praktisch mit dem Bauen | |
auskennen. „Marktübliche, durchschnittlich große Wohnungen können alle | |
Flächenanforderungen für barrierefreie Wohnungen erfüllen“, so Michael | |
Reichenbach vom Arbeitskreis Barrierefreiheit der Berliner | |
Architektenkammer. Nichts anderes soll übrigens auch in der von der | |
Koalition geheim gehaltenen Studie stehen, wie die taz von Kennern erfuhr. | |
Doch diese Fakten scheinen hier nicht zu zählen. Keine der Forderungen nach | |
mehr Barrierefreiheit geht durch, und es wird laut im Zuschauerraum. Die | |
Rollstuhlfahrer werden gebeten, sich zurückzuhalten. „Wir halten uns doch | |
schon zurück, gleich kommen wir vorgerollt!“, ruft einer. Am Ende rollen | |
sie nur mehr hinaus. „Wir haben getan, was wir konnten“, sagt Bärbel | |
Reichelt. Am Donnerstag wird im Parlament über die Bauordnung abgestimmt. | |
Eine Überraschung zugunsten der Barrierefreiheit ist kaum zu erwarten. | |
3 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
Sophie Schmalz | |
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