| # taz.de -- Islamismus im Jugendtheater: Die Kids sind nicht alright | |
| > Das Verführerische des radikalen Islamismus erforschen die Bremer Jungen | |
| > Akteure in „Grüne Vögel“: Freiheit ist eine Zumutung – und trotzdem | |
| > alternativlos | |
| Bild: Die Bremer Jungen Akteure erforschen die Radikalität | |
| Eine Schweigeminute für die Opfer der Pariser Anschläge sollte man auch als | |
| hormonverwirrter Jugendlicher gerade noch hinbekommen, findet die Lehrerin. | |
| Doch die eine textet ihrem neuen Freund was am Handy, der andere habe einen | |
| Ständer und könne darum nicht aufstehen, blödelt der Sitznachbar. Doch hier | |
| liegt mehr im Argen als ein bisschen Pubertät: „Allahu akbar“, ruft eine | |
| Schülerin in die verordnete Stille. Und gleich noch mal in die fassungslose | |
| im Anschluss. | |
| Beklemmend ist diese Szene aus Nathalie Forstmanns [1][„Grüne Vögel“ am | |
| Bremer Theater] nicht, weil man es heute gewohnt ist, den muslimischen | |
| Ausruf als Terrorphrase zu verstehen. Sondern, weil man solche plumpe | |
| Protestgeste gegen die Autorität nur allzu gut kennt. Auch wenn man damals | |
| mit Terror nichts und mit dem Islam noch viel weniger zu tun hatte. | |
| Dieses universelle Elend exerzieren die JungschauspielerInnen mustergültig | |
| durch: Sich missverstanden fühlen und eine radikale Lösung für die ganze | |
| Scheiße zu kennen – eine ganz einfache dazu, würden die Erwachsenen nicht | |
| dichtmachen. Auf der Bühne im Moks passiert das zwischen riesenhaften | |
| Panzersperren im Strobolicht. Dazu wabern rauschhafte Technobeats von | |
| Thorsten zum Felde. Dazwischen tanzt Rieke Klaßen bauchfrei mit Röckchen. | |
| Später wird sie, ganz freiwillig übrigens, ein Kopftuch umtüdeln und mit | |
| Gewalt drohen. | |
| Wie es dazu kommt, bleibt unklar. Der Text von Autor Jan Eichberg erzählt | |
| keinen durchkonstruierten Plot, sondern liefert Fragmente für ein | |
| Forschungsprojekt um das Rätsel der Radikalisierung. Auch den Kids auf der | |
| Bühne geht es nicht um Inhalte, die etwa im Koran stünden, sondern um | |
| Haltung und Wahrhaftigkeit. Wir würden uns für „die Guten“ halten, hauen | |
| sie dem Publikum um die Ohren, aber: „Wir sind die Aufrechten.“ | |
| Von der Gesellschaft, die diese „Guten“ einst erkämpft haben, wissen die | |
| Jugendlichen vor allem eins: Sie macht Druck, gerade weil sie frei ist. | |
| Tausende Möglichkeiten habe man heute, erklärt Jungakteur Michael Dölle in | |
| einem schmerzhaft treffsicheren Monolog: „Mir stehen alle Türen offen. Ich | |
| bin hier geboren, ich bin weiß, ich komme aus einem guten Elternhaus. Gut | |
| bedeutet gebildet und bürgerlich. Ich bin intelligent, ich bin | |
| heterosexuell.“ Obwohl: „Selbst als Homo müsste man es eigentlich | |
| schaffen.“ Und wer nicht, der müsse darum selbst schuld sein. | |
| Die Ambivalenz der Freiheit darzustellen, gelingt der Inszenierung ohne den | |
| reaktionären Fehltritt in die Denunziation. Selbst das gefürchtete | |
| Internet, wo der eine Propagandavideos guckt, alle anderen aber doch ganz | |
| harmlos die sozialen Netze vollschreiben, das gehört eben dazu. Schuld | |
| trägt es nicht. Jugendliche wissen das natürlich. Und es spricht sehr für | |
| die AnleiterInnen der Jungen Akteure, dass man ihnen dieses Wissen nicht | |
| austreibt. | |
| In diesem Spannungsfeld bewegen sich die SchauspielerInnen mit | |
| beeindruckender Authentizität. Tanzen zu ihrer Musik, sind so | |
| weltuntergangsdramatisch verliebt wie man das mit 16 eben ist und genießen | |
| eine Sommernacht, die für einen von ihnen zum Aufbruch in den „heiligen | |
| Krieg“ wird. Das Morden aber beginnt erst nach dem Stück. Nur im | |
| Hintergrund weht die Fahne des sogenannten „Islamischen Staats“. | |
| Die jungen SchauspielerInnen seien selbst „ähnlich sozialisiert“ wie die | |
| Syrienfahrer, erklärt das Theater. Das klingt ausweichend, trifft es aber: | |
| Es geht um ganz normale SchülerInnen und einen Moscheebesuch mit „Brüdern�… | |
| die einen akzeptieren wie man ist. Der am Ende in den Krieg zieht, heißt | |
| Thorge. Edin und Hassan bleiben hier. | |
| 4 May 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://theaterbremen.de/de_DE/spielplan/gruene-voegel.1055131 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan-Paul Koopmann | |
| ## TAGS | |
| Theater Bremen | |
| Moks | |
| Islamismus | |
| Salafismus | |
| Kinder- und Jugendtheater | |
| Bremen | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Islamismus | |
| taz.gazete | |
| „Islamischer Staat“ (IS) | |
| Theater Bremen | |
| Bremer Theater | |
| Moks | |
| Theater | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kindertheater im öffentlichen Raum: Von Möhren und Monstern | |
| Das Theaterstück „Fundstadt“ zeigt die Welt aus Sicht von Kindern. Dabei | |
| erschließt es geheimnisvolle Schleichwege von Bremen bis nach | |
| Gelsenkirchen. | |
| Jugendthater mit Schwächen: Katastrophale Rettung | |
| Gnadenlos: Das Bremer Moks deckt die Schwächen von Dennis Kellys | |
| Erfolgsstück „Waisen“ auf. | |
| Islamismus in Deutschland: Jugendliche unter Beobachtung | |
| Safia S. war 15, als sie in Hannover auf einen Polizisten einstach. Der | |
| Verfassungsschutz will deshalb Daten von unter 16-Jährigen speichern | |
| dürfen. | |
| Knapper Kulturhaushalt in Bremen: Fachjury für freie Freie | |
| Die Kulturdepu entscheidet bald über Mittel für die freie Szene. Die äußert | |
| im Vorfeld geharnischte Kritik. Langfristig gibt es jedoch auch positive | |
| Tendenzen. | |
| Debatte Verlockungen des IS: Die mörderische Utopie | |
| Die Terrororganisation IS verspricht eine Gegenwelt, in der die Gesetze | |
| unseres Planeten aufgehoben sind. Für viele ein reizvoller Gedanke. | |
| Der Comic ist die Rettung: Superheld, Superschurkin und die Erlösung | |
| In „Out of Control“ entfliehen die Akteure des Bremer Moks der totalen | |
| Kontrolle und retten sich mit analoger Technik und einem gealterten Batman | |
| ins Dark Web. | |
| Theater muss weichen: Tod eines Kulturortes | |
| Das Bremer Kriminaltheater soll einem neuen Wohnhaus weichen. Eine neue | |
| Spielstätte ist noch nicht in Sicht. | |
| Nachwuchs entert Bühne: In einer weißen Zelle | |
| Ein superjunges Team zeigt am Bremer Moks eine etwas zu unruhige | |
| Inszenierung von Holger Schobers Einpersonenstück „Hikikomori“. | |
| Polit-Theater: Krieg für Kinder | |
| Mit elementaren Fragen nach Freiheit und Gewalt berühren zwei | |
| Uraufführungen am Jungen Theater Bremen: Es setzt damit ein Zeichen auch | |
| für das norddeutsche Kinder- und Jugendtheaterfestival „Hart am Wind“. | |
| Neuanfang mit jungen Männern | |
| WELTURAUFFÜHRUNG Seine allererste Intendanten-Spielzeit hat Michael | |
| Börgerding vorgestellt. Der Neustart ist reichhaltig, künstlerisch mutig - | |
| und absolut nicht gegendert |