# taz.de -- Polit-Theater: Krieg für Kinder | |
> Mit elementaren Fragen nach Freiheit und Gewalt berühren zwei | |
> Uraufführungen am Jungen Theater Bremen: Es setzt damit ein Zeichen auch | |
> für das norddeutsche Kinder- und Jugendtheaterfestival „Hart am Wind“. | |
Bild: "Uneingeschränktes Engagement": Im Stück "Kinder | SOLDATEN" bringen Ki… | |
BREMEN taz | Mit Stöcken prügeln 17 Kinder auf Sandsäcke ein, bis die | |
platzen. Die Kinder bespritzen sich mit Matsch, sie beschmieren ihre | |
Gesichter mit Blut. Durch martialische Gesänge und stampfendes Marschieren | |
heizen sie einander an – gleich zu Beginn der Performance „Kinder | | |
SOLDATEN“, die am Sonntag erstmals gezeigt wurde. | |
Es war eine von gleich zwei Uraufführungen des [1][Jungen Theater Bremen] | |
am vergangenen Wochenende: Regisseur Gernot Grünewald hat als Projekt der | |
Theaterschule „Junge Akteure“ mit Jugendlichen die „Kinder | | |
SOLDATEN“-Szenen konzipiert. „Weißes Papier“, das bereits am Samstag im | |
Brauhauskeller Premiere feierte, hat Dramatiker Konradin Kunze als | |
Erzähltheater verfasst und mit fünf Profi-SchauspielerInnen inszeniert: Es | |
handelt von der ersten unabhängigen Zeitung des Südsudan. Auch in der | |
Dichte der Abfolge – am Freitag zuvor hatte bereits die in zwei Jahren | |
Proben erarbeitete Jugend-Choreografie „Symptom Tanz“ Premiere gefeiert –, | |
weisen sie schon aufs norddeutsche Kinder- und Jugendtheaterfestival | |
[2][„Hart am Wind“] hin. Es findet vom 7. bis 11. Mai erstmals in Bremen | |
statt, und gezeigt wird in seinem Rahmen ein gutes Dutzend Produktionen. | |
„Dann setzten wir uns auf die Leichen und aßen zu Mittag.“ Erschütternd | |
sind die meist chorisch gesprochenen Texte in „Kinder | SOLDATEN“; | |
bedrückend die Bilder, die das Ensemble aus Jugendlichen und Kindern | |
entwirft: Mit Taschenlampen beleuchten sie die düstere Bühne, hinter Masken | |
aus Plastikkanistern tanzen sie und erzählen dabei aus dem Alltag von | |
KindersoldatInnen: Erst kommt die Rekrutierung, irgendwann der erste Mord, | |
schließlich Flucht und das Flüchtlings-Dasein in Deutschland. „Vielleicht | |
wäre es besser gewesen, als Soldat zu sterben“, ist einer der Einblicke in | |
eine Welt, die unsere ist – und doch uns wie auch den Darstellenden so | |
fremd ist. | |
## Unvorstellbare Lebensrealität | |
Über mehrere Auswahl-Workshops hatte Regisseur Grünewald im Herbst die 17 | |
DarstellerInnen zwischen zehn und 17 Jahren ausgesucht. Zu Beginn der | |
Proben wurden sie durch Berichte, Filme und Gespräche mit Lebensrealitäten | |
konfrontiert, die für sie bis dahin unvorstellbar waren. Zum Beispiel | |
Michael: Michael ist Anfang 30, heute lebt er in Bremen. Als er in Sierra | |
Leone rekrutiert wird, ist er gerade mal 12 Jahre alt. „Ich konnte nicht | |
glauben, was er uns erzählt hat“, sagt die Spielerin Rieke Klaßen. Angeregt | |
durch die Proben, hat sie sich gemeinsam mit ihrer Klasse am „Red Hand Day“ | |
gegen die Rekrutierung von KindersoldatInnen beteiligt. | |
In ästhetischen, überlebensgroßen Video-Interviews treten die Kinder und | |
Jugendlichen immer wieder aus dem Kollektiv heraus. Sie erzählen, was sie | |
gerne tun und ob sie sich vorstellen können, einen Menschen zu töten. | |
Leider kommen sie selbst zu selten zu Wort, um zu erzählen, welche Prozesse | |
sie durch die Konfrontation durchlebt haben. „Ich kann mir nicht | |
vorstellen, wie es sich anfühlt, zu töten“, berichtet Rieke Klaßen. Schon | |
die Erfahrung der Erzählung und der darstellerischen Aneignung „wird mich | |
immer begleiten“. | |
„Es rührt mich“, so Grünewald, „mit welcher Unbedingtheit die Jugendlic… | |
spielen, obwohl unsere Proben auch etwas Pseudomilitärisches hatten.“ Er | |
fühlt sich an die Anfänge seiner Schauspielkarriere und an der Regieschule | |
in Hamburg erinnert: „Wenn man mit professionellen Schauspielern arbeitet, | |
hat man nicht immer dieses uneingeschränkte Engagement.“ | |
„Anmaßung“ ist ein Wort, das sehr häufig fällt, wenn Gernot Grünewald v… | |
„Kindersoldaten“ erzählt. Die 17 Kinder und Jugendlichen sollen nicht so | |
tun, als ob sie Schädel zertrümmern und Menschen töten. Stattdessen sollen | |
sie StellvertreterInnen sein für ihre AltersgenossInnen an der Waffe. Dank | |
dokumentarischer Quellen, die mal abgelesen, mal gedolmetscht werden, | |
funktioniert das hervorragend. Auf der Bühne bleiben 17 Bremer Kinder, die | |
mit Waffen aus Draht Krieg spielen. Wenn das Ensemble jedoch schreiend auf | |
einen Einzelnen einprügelt, wenn eine Spielerin detailliert von der | |
Zerstückelung eines Kindes erzählt, fragt sich: Wie sehr vollziehen die | |
Jugendlichen die Verfremdung, die dem Regisseur so wichtig ist, wirklich | |
nach? Wenn die älteren Jungs selbst beim Applaus noch die frenetisch | |
gröhlenden Anführer spielen, stellt man mit flauem Gefühl fest, wie leicht | |
Dynamiken manipulierbar sind – vor allem in Kinder- und Jugendgruppen. | |
Konradin Kunzes Produktion „Weißes Papier“ liegt thematisch relativ dicht | |
bei Grünewalds Kindersoldaten: Beide Stoffe sind aus einer reflektierten, | |
kritischen und doch europäisch geprägten Perspektive auf postkoloniale | |
Zusammenhänge bearbeitet. Formal jedoch kontrastieren sie umso stärker | |
miteinander: Im Gegensatz zu den performativen Kindersoldaten ist „Weißes | |
Papier“ ein nur wenig experimentierfreudiges Erzähltheaterstück für | |
Jugendliche, das mit fünf professionellen SchauspielerInnen erarbeitet | |
wurde. | |
## Die Regierung droht mit Mord | |
Es geht um die fiktive Zeitung „Der Pionier“, gegründet in einem Land, das | |
sich noch nicht an Pressefreiheit gewöhnt hat. Die kleine Redaktion, in | |
Besitz der einzigen Druckerpresse des Landes, hat mit technischen | |
Schwierigkeiten zu kämpfen, aber auch mit Morddrohungen der Regierung. | |
Obwohl die Angst sie permanent begleitet, schafft die Redaktion es, einen | |
Korruptionsskandal der Regierung aufzudecken, man bekommt internationale | |
Aufmerksamkeit, die Auflage steigt– ebenso aber die Konflikte innerhalb der | |
Redaktion. Und mehr noch: der gewaltsame Druck der MachthaberInnen. | |
Die Jurastudentin Grazia geht selbstbewusst zum Bewerbungsgespräch: „Wir | |
Journalisten sind Augen und Ohren der Menschen.“ Sie sieht nichts als einen | |
kargen Redaktionsraum. Aus den Wänden wächst Gras. Die Bühne ist ein | |
heller, liebevoll gebauter Raum aus Holz im schlauchigen Bremer | |
Brauhauskeller. Alles Weitere bringen die DarstellerInnen im Laufe des | |
Stücks selbst auf die Bühne: Leuchtstoffröhren, Laptops, Ventilator, | |
Plastikflaschen. | |
Die Produktion basiert auf der Geschichte des Citizen, der ersten | |
unabhängigen Zeitung des Südsudan. Die einzige Redaktion des Landes | |
arbeitet in Juba, der Hauptstadt des Südsudan. Im Juli 2011 hat sich die | |
Republik vom Norden unabhängig gemacht und war von den UN anerkannt worden. | |
Doch aktuell wüten wieder Konflikte: Das Land steht vor einem Völkermord. | |
„Weißes Papier“, das Kunze auf Grundlage einer Recherchereise geschrieben | |
und inszeniert hat, ist bewusst nicht im Südsudan verortet, um zu zeigen, | |
dass Pressefreiheit nirgendwo selbstverständlich ist. | |
## Welthaltige Stücke | |
Derart welthaltige Stücke sind in Bremen Programm: „Jugendliche wollen | |
nicht nur sich selbst spiegeln“, sagt Rebecca Hohmann, die künstlerische | |
Leiterin des Kinder- und Jugendtheaters Moks. „Das wäre total langweilig.“ | |
Das sieht auch Regisseur Grünewald so, der vor seiner Arbeit für die | |
Junge-Akteure-Theaterschule eine dokumentarische Produktion zu den Jahren | |
des tatsächlich legendären Bremer Intendanten Kurt Hübner verantwortet | |
hatte: „Ich hatte keine Befürchtung, dass diese Auseinandersetzung für | |
Kinder und Jugendliche uninteressant sein könnte.“ Skeptisch sei er eher | |
gewesen, „ob Eltern ihre Kinder mitmachen lassen“. | |
Wie besonders diese Bremer Idee von einem politischen Kinder- und | |
Jugendtheater ist, zeigt sich auch im Blick aufs Programm von „Hart am | |
Wind“: Das zweijährliche Festival ist eine Art norddeutsches | |
Branchentreffen, aber ein kuratiertes. Elf von 50 Bewerbungen hat die Jury | |
ausgewählt, das Spektrum reicht vom platt/hochdeutsch-bilingualen „Lütt | |
Aant – Ente Tod und Tulpe“ des Hamburg Ohnsorg Studios über Hannovers | |
sprachlose „Räuber“ bis zur kaleidoskopartigen Coming-of-Age-Produktion | |
„Korallenfische* sind andersrum“, des in Wennigsen am Deister angesiedelten | |
Theaters zwischen den Dörfern: Produktionen die gesellschaftlich relevante | |
Diskurse durchaus aufgreifen – aber doch weniger konkret formulieren, | |
allgemeiner bleiben, nicht so Tagesschau-nah. | |
„Stimmt“, bestätigt Hohmann den Bremer Trend. Es sei „ein fast | |
unausgesprochenes Bedürfnis gewesen“ – der Teams, der SpielerInnen, aber | |
auch des Publikums. „Woher das genau kommt, lässt sich gar nicht sagen.“ | |
Fest stehe aber, „dass wir das weiter machen“. | |
nächste Vorstellungen „Kinder | SOLDATEN“: 3. + 4. Mai, 19 Uhr, Bremen, | |
Moks; „Weißes Papier“: 17. 5., 20 Uhr, Brauhauskeller; | |
Festival „Hart am Wind“: 7. bis 11. Mai | |
alle Infos: [3][www.theaterbremen.de] | |
1 May 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.theaterbremen.de/de_DE/junges-theater | |
[2] http://www.theaterbremen.de/de_DE/spielplan/hart-am-wind.957499 | |
[3] http://www.theaterbremen.de | |
## AUTOREN | |
Kornelius Friz | |
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