| # taz.de -- Debatte Krise der Konservativen: Neurechte zu imitieren, hilft nicht | |
| > Die Neue Rechte ist nicht weniger als die Rückkehr einer faschistischen | |
| > Potenz. Der gemäßigte Konservatismus braucht eine wählbare Alternative. | |
| Bild: Obama, Hollande und Merkel sind keine politischer Gegner mehr, sondern we… | |
| Am Wahlsonntag, an dem es doch eigentlich nur um die Politik dreier | |
| Bundesländer geht, könnten die Weichen des Konservatismus in Deutschland | |
| neu gestellt werden. Das kündigte sich schon länger an: Seit nämlich Pegida | |
| als außerparlamentarischer Arm und AfD als Parlamentspartei den Anspruch | |
| erheben, eine volkstümliche Machtalternative zu bilden, die der Kanzlerin | |
| und ihrem Kurs rhetorischen und aktionistischen Widerstand entgegensetzt. | |
| „Die Grünen hatten Fukushima, wir haben die Flüchtlinge“, kommentierte ein | |
| schlichtes AfD-Gemüt den unerwarteten Erfolg seiner Partei bei den | |
| hessischen Kommunalwahlen, und leider stimmt das auch. Was am Horizont | |
| steht und sich zynisch am Elend der Welt und an der Erosion der | |
| Europäischen Union mästet, ist mächtiger und nachhaltiger als eine | |
| Minipartei namens NPD. | |
| Diese Verwerfungen werden deutlich, blickt man zurück auf eine der | |
| erfolgreichsten Neugründungen der Parteiengeschichte – die | |
| Christlich-Demokratische Union. Sie brachte die Alt-Konservativen nicht nur | |
| von der Verweigerung der liberalen Demokratie und der Verachtung für | |
| westliche Lebensstile ab, also von der Konservativen Revolution, die ein | |
| paar intellektuelle Außenseiter der Rechten wie Armin Mohler auch nach 1945 | |
| noch anempfehlen wollten. | |
| Angetreten als ein Konglomerat aus sozialkatholischen, wirtschaftsliberalen | |
| und deutschnationalen Kräften, hat die Union auch die soziokulturelle | |
| Modernisierung der Republik nachvollzogen und die Wiedervereinigung | |
| gemanagt. Sie würde – käme es noch zu Schwarz-Grün – sogar den von Angela | |
| Merkel nur noch rhetorisch bekämpften Multikulturalismus bestätigen. | |
| ## Ein Blick in die Geschichte | |
| Genau dagegen richtet sich in den meisten westlichen Demokratien der | |
| Aufstand der Neu-Konservativen, die in der CDU, bei den Tories wie in | |
| diversen Formationen der Chirac/Sarkozy-Konservativen nicht mehr glücklich | |
| sind – und es nie waren. Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt, dass die | |
| Sollbruchstelle schon viel früher markiert war: Als in Frankreich 1965 ein | |
| auch dort völlig vergessener Präsidentschaftskandidat namens Jean-Louis | |
| Tixier Vignancourt und sein Leutnant Jean-Marie Le Pen 5 Prozent extreme | |
| Rechte gegen de Gaulle und Mitterrand schafften. Und auch, als die NPD 1969 | |
| nur ganz knapp den Einzug in den Deutschen Bundestag verfehlte. Diese | |
| Ressentiments warteten auf eine günstige Gelegenheit, wieder als die | |
| dominante Gefühlslage der „schweigenden Mehrheit“ aufzutauchen. | |
| Angesichts der multiplen Krisen der globalisierten Welt kamen dann der | |
| Aufstieg der Drei-Generationen-Familie Le Pen, das für gemäßigte Bewerber | |
| verminte Kandidatenfeld der Republikaner, Ukip in England und die AfD in | |
| Deutschland. Diese Renaissance zeigt, dass die Rachsucht nicht vergangen | |
| ist und sich die im Kern außerparlamentarischen Bewegungen wie Pegida oder | |
| Tea Party auch neue mediale Formen gesucht haben. Gewachsen sind sie | |
| wesentlich in den Echoräumen der sozialen Netzwerke. Dass sich weiße | |
| Mehrheiten als Opfer einer multikulturellen Überfremdung und der | |
| ökonomischen Globalisierung abgehängt fühlen, ist nicht neu. Bedrohlich | |
| ist, dass sie nicht im herkömmlichen Modus einer Opposition agieren, um die | |
| Regierung abzulösen – sie treten an im Modus des radikalen Widerstands | |
| gegen die politische Klasse und die in liberalen Demokratien üblichen | |
| Aushandlungs- und Kompromissprozeduren. | |
| ## Nicht nur inszenierter Hass | |
| Das ist nicht weniger als die Rückkehr einer faschistischen Potenz. In | |
| diesem Milieu wird allen Ernstes Artikel 20 (4) des Grundgesetzes ins | |
| Gespräch gebracht, der das Widerstandsrecht gegen eine illegale Regierung | |
| erlaubt. So wird auch Präsident Obama rhetorisch ausgebürgert, so schwärmen | |
| „Identitäre“ in Frankreich vom Putsch der Generäle gegen de Gaulle währe… | |
| des Algerienkriegs – das und das Kollaborationsregime unter deutscher | |
| Besatzung sind die nicht mehr nur heimlichen Vorbilder der rechten | |
| Résistance. | |
| Überall wird nicht nur der Tonfall schriller, obszöner und schlicht | |
| clownesk, zur inszenierten Hysterie tritt echter Hass. Der jeweilige | |
| Opponent (Clinton, Hollande, Merkel) ist kein politischer Gegner, sondern | |
| ein Feind, ein Volksverräter. Obama hat das acht Jahre erlebt, Merkel | |
| bekommt es gerade zu spüren, von Hollande redet schon kaum noch jemand, und | |
| am Rückzug Camerons wird auch gearbeitet. Wo immer diese sich mit Brexit, | |
| Obergrenzen und Entzug der Staatsangehörigkeit für „kriminelle Ausländer“ | |
| anzupassen versuchen, stößt die Neue Rechte mit der Behauptung nach, das | |
| hätte sie ja immer schon gefordert. Auch wenn ich mir damit wieder den | |
| Shitstorm der sogenannten Querfront an den Hals hole: Diesem Treiben schaut | |
| Wladimir Putin mit großem Vergnügen zu. | |
| ## Wie reagieren die Gemäßigten? | |
| Aufseiten der Rechten ist eine zweite, radikale Flanke hinzugekommen, die | |
| tief ins sozialdemokratische Milieu einwirkt und dessen Parteien auf | |
| hintere Ränge verweist. An diesem Punkt stellt sich die Gretchenfrage nach | |
| der Reaktion der gemäßigten Konservativen, und zwar deutlicher als beim | |
| Erstauftritt der NPD in den 1960er Jahren und dem Aufmarsch der REPs in den | |
| 1990ern. Der Soziologe Armin Nassehi und der Politikwissenschaftler Peter | |
| Graf Kielmannegg empfehlen der Union auf dem Weg zu einem neuen | |
| Konservatismus die klassischen Reflexe: Resistenz gegen die angebliche | |
| anthropologische Überforderung des „Eigenen“ und Wiederherstellung | |
| nationalstaatlicher Souveränität gegen das „Fremde“ (FAZ vom 19. 2. und v… | |
| 3. 3. 2016). | |
| Wirklich? Sie paraphrasieren nur den programmatischen Kern der identitären | |
| und souveränistischen Neuen Rechten, die überhaupt keine muslimischen | |
| Flüchtlinge aufnehmen und die Europäische Union zur Freihandelszone mit | |
| hohen Grenzzäunen schrumpfen will. Selbstmord der Konservativen aus Angst | |
| vor dem Tode also? Konservative haben mehr im Köcher als diese geistigen | |
| Anleihen in der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts. | |
| Den Anhängern Merkels, die es mittlerweile in allen Parteien gibt, bleibt | |
| nur eine Alternative, die rhetorisch weniger fett, aber wirklichkeitsnäher | |
| und weltoffener daherkommt als „Identität“ und „Souveränität“. Eine | |
| programmatische Alternative kann nur die zeitgemäße Modernisierung des | |
| europäischen Gründungskonsenses der fünfziger Jahre sein, nämlich vom | |
| Ethnonationalismus ein für alle Mal die Finger zu lassen und den | |
| „geschlossenen Handelsstaat“ zu überwinden, den der deutsche Philosoph | |
| Fichte im 19. Jahrhundert dem Westen entgegenhalten wollte. Wer an der | |
| Westorientierung taktisch oder inhaltlich rüttelt, hat schon gegen Le Pen | |
| und Konsorten verloren. Nach der Zerlegung der parlamentarischen Linken | |
| wäre dann die Schrumpfung der „Volksparteien der (rechten) Mitte“ an der | |
| Reihe. | |
| ## Das Schweigen der Mehrheit | |
| Was dagegen hilft, ist nicht Imitieren oder abgeschwächtes Kopieren, es ist | |
| die entschiedene Sprache, die dem von Panik, Halbwissen und Vorurteilen | |
| geprägten Gerede der Polit-Donaldisten Sachlichkeit und Klarheit | |
| entgegensetzt. Wahrhaftigkeit über den Zustand der Welt, der sich durch | |
| Wegsehen und Verbalradikalität sicher nicht verbessern wird. Konservative | |
| wollen natürlich auch Wahlen gewinnen. Bis Sommer dieses Jahres wird man | |
| sehen, ob die Republikaner mit Donald Trump in die Niederlage stolpern, | |
| sich eine moderate Strömung abspaltet – oder man die Vernunftwähler an | |
| Hillary Clinton übergibt, die ohnehin eine von ihnen sein könnte. | |
| Das wäre das Äquivalent zur Verhinderung von Jean Marie Le Pen 2012, als | |
| die Wähler des gescheiterten Sozialisten Jospin den ungeliebten Hollande | |
| wählten, oder von Marine Le Pen bei den Regionalwahlen 2015, als die | |
| Sozialisten wiederum kapitulierten. Ob in Großbritannien die Befürworter | |
| eines Verbleibs in der EU einen ähnlichen Schulterschluss gegen die | |
| Brexit-Verfechter aus ihren Reihen hinbekommen, ist die Frage. | |
| Das Äquivalent in Deutschland, wo viel Rechtsradikales durch ein bis dato | |
| funktionierendes Verhältniswahlrecht abgemildert blieb, wäre (wie in | |
| Österreich) die permanente GroKo, deren Wählerbasis allerdings in manchen | |
| Landstrichen so schwach ist, dass es zur Mehrheit und Regierungsbildung | |
| auch nicht mehr reicht. Andererseits: Wenn die AfD in Sachsen-Anhalt auf | |
| knapp 20 Prozent hochschnellt, muss noch niemand nervös werden. Das hat | |
| Ronald Schill auch geschafft – und wer erinnert sich an ihn? | |
| Das Vorpreschen der AfD hat eine wichtige Ursache: das Schweigen der | |
| wirklichen Mehrheit. Für christ- und sozialdemokratische und grüne | |
| Stammwähler gibt es keine Ausrede mehr. Diese Parteien müssen dem Volk eine | |
| wählbare Alternative anbieten, die selbstbewusst Schwarz-Grün oder | |
| Rot-Rot-Grün heißt. Anders gesagt: Bewahrung der Schöpfung plus | |
| Energiewende, Rückbau eines dysfunktional gewordenen Kapitalismus und | |
| Wiedereinbettung der Märkte in die soziale Lebenswelt, kurz: eine | |
| gerechtere Weltgesellschaft. Papst Franziskus würde das wahrscheinlich für | |
| ein konservatives Programm halten. | |
| 13 Mar 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Claus Leggewie | |
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