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# taz.de -- Die Blockierer des Klimagipfels: Sieben große Bremser
> Die Minister sind da, es kann richtig losgehen. Von wegen: Es herrscht
> große Entschleunigung, weil ein paar Länder blockieren.
Bild: Brüssel zittert vor einem Alleingang Warschaus. Die EU-Flagge hat Beata …
Paris taz | Am Mittwoch der ersten Woche um 11.07 Uhr haben die Bremser auf
der Klimakonferenz ihr Ziel schon erreicht. Vor einem halb leeren Plenum
und vor gelangweilt blickenden Delegierten ruft der Vorsitzende die
Tagesordnungspunkte 6a und 7 auf. Der „russische Vorschlag, Artikel 4,2 der
Konvention zu ändern“ und der Vorschlag von Papua-Neuguinea und Mexiko, zur
„Entscheidungsfindung in der UNFCCC nach Artikel 19 (d)“ liegen auf dem
Tisch. „Wortmeldungen?“ Keine. Ein peruanischer Berichterstatter liest vom
Blatt einen Text ab: Man habe mit den UN-Mitgliedsstaaten über die Fragen
beraten. Ergebnis: alles bestens. „Das Prozedere hilft den Staaten, sich
wohlzufühlen.“
Das gilt vor allem für diejenigen, die Fortschritt verhindern wollen. Denn
seit der ersten Klimakonferenz in Berlin 1995 herrscht auf diesen COPs
immer der allerkleinste gemeinsame Nenner. Weil es keine formelle Einigung
darüber gibt, wie Entscheidungen getroffen werden, gilt das Prinzip der
Einmütigkeit: Solange noch jemand widerspricht, ist nichts entschieden.
Eine Einladung an jeden Blockierer.
Und die wird gern angenommen. Zum Beispiel vom Dr. No der COP, Khalid
Abulaif, dem Verhandlungsführer von Saudi-Arabien. Im Pavillon der
Golfstaaten leitet er im wüstensandfarbenen Businessanzug eine
Informationsveranstaltung zu den arabischen Klimazielen. Abulaif moderiert,
scherzt, umarmt, die Vertreter der kleineren Staaten begegnen ihm mit
Ehrerbietung. Das Öl-Königreich hat zum ersten Mal einen Klimaplan
vorgelegt, der ein bisschen schizophren ist: Klimaschutz und Erneuerbare
ja, aber nur solange die Milliarden aus dem Öl weiter fließen. „Wir wollen
kein Geld“, sagt Abulaif im persönlichen Gespräch. „Wir wollen wissen, wo
es hingeht, und wollen Teil des Prozesses sein.“
Und das sind sie im UN-Prozess, kein Zweifel: als angezogene Handbremse.
Immerhin bedroht ein Klimadeal ihr Staatsbudget, das zu 90 Prozent aus
Petrodollars besteht. Sie blockieren den Vorschlag, die Erderwärmung auf
1,5 Grad zu begrenzen. Sie wehren sich dagegen, dass auch reiche
Entwicklungsländer wie die Ölstaaten den Klimaschutz bei den Armen
finanzieren sollen. Sie verhindern mit anderen, dass die COP einen
Expertenbericht offiziell anerkennt, der das Offensichtliche aufgeschrieben
hat: Das 2-Grad-Ziel ist in Gefahr und das könnte gefährlich werden.
## Blutige Hand
Es sind vor allem die „Gleichgesinnten“ (like-minded countries), die in den
Verhandlungen nicht viel Sinn sehen. Saudi-Arabien, Indien, Malaysia,
Venezuela, manchmal China, Argentinien, Bolivien, Indonesien oder Iran
machen den Industrieländern gern das Leben schwer. Besonders Claudia
Salerno, Klimabotschafterin Venezuelas mit einem Hang zu dramatischen
Auftritten – bei der COP in Kopenhagen schlug sie sich auf dem
Konferenztisch die Hand blutig, als sie sich vehement zu Wort meldete –,
streut Sand ins Getriebe, wo es geht. Für sie ist die Unterscheidung in
Industrie- und Entwicklungsländer Grundlage der Verhandlungen, alle
Abweichung Verrat. „Die reichen Länder wollen die Klimakonvention
verändern, das ist mit uns nicht zu machen“, sagt sie laut und häufig. Für
sie ist der Begriff „Dekarboniserung“, für den etwa Deutschland so hart
kämpft, ein rotes Tuch: Der Abschied von Kohle, Gas und Öl „killt unsere
Volkswirtschaft“, sagt Salerno hinter verschlossenen Türen.
China wiederum praktiziert in Paris bislang eine besondere Art der
Entschleunigung: durch meditatives Nichtstun. Waren die Pekinger Bürokraten
im letzten Jahr besonders aktiv, haben Klimaziele mit den USA vereinbart,
ihren Fünfjahresplan umgestellt und Erneuerbare gebaut wie niemand sonst,
merkt man davon auf der Konferenz wenig. „Es kommt einfach gar nichts von
denen“, sagen mehrere Verhandler. Weil China sich als Schutzmacht von 134
Entwicklungsländern gibt, zieht diese Passivität auch breite Bremsspuren in
den Verhandlungsräumen.
Auch die andere Kohlenstoff-Supermacht Indien hat eine lange Tradition
darin, den Fortschritt bei den Verhandlungen zur Schnecke zu machen. Das
Land hat Angst davor, seine wirtschaftliche Entwicklung durch Klimaziele zu
gefährden. Auf der Konferenz fährt es eine Doppelstrategie: Umweltminister
Prakash Javadekar ist zuständig für die schrillen Töne gegen die Reichen
der Welt, die in der indischen Öffentlichkeit gut ankommen. Zum ersten Mal
hat die indische Delegation aber auch einen „Sprecher“ – den erfahrenen
Klima-Beamten Susheel Kumar. Mit dem Mann kann man reden, heißt es von
vielen Seiten. Man wisse nur nicht, mit welcher Stimme Indien gerade
spricht.
Die effektivsten Bremsklötze sind Verfahrensfragen ( „Wir wurden nicht
konsultiert!“) und der Rückgriff auf die koloniale Vergangenheit. So rief
der Delegationsleiter von Malaysia – einem der größten Exportländer für G…
– in der Abschlussrunde der Lima-Konferenz im letzten Jahr wütend in den
Raum: „Ihr habt uns kolonisiert!“ In der aufgeheizten Atmosphäre des
Abschlussplenums reichte dieser Funke aus, um die Verhandlungen über
Stunden festzufahren.
## The american way
Allerdings blockieren nicht nur die Entwicklungsländer. Wenn die USA sich
querstellen, heißt das vornehm „rote Linien einhalten“. Und von denen gibt
es auch für den Klima-Präsidenten Barack Obama eine Menge: Er wird keinem
völkerrechtlichen Vertrag zustimmen, der durch den US-Kongress muss. Auch
die Finanzierung für internationale Aufgaben wie den Grünen Klimafonds muss
irgendwie ums Parlament herumgeschummelt werden. Für Washington ist es
zudem inakzeptabel, in der Klimadebatte weiterhin andere Transparenzregeln
einzuhalten als der Hauptkonkurrent China. „Das ist ein No-go“, sagt ein
US-Delegierter. So bremst man the american way.
Auch die EU ist nicht immer auf der Überholspur. Von zwei Hauptforderungen
der Entwicklungsländer wollen auch die Europäer nichts wissen: Erstens eine
Verpflichtung, für Klimaschäden in Entwicklungsländern zu zahlen. Und
zweitens die Idee, Ölstaaten dafür zu kompensieren, dass sie den Rohstoff
im Boden lassen. „Das können Sie vergessen, das ist keinem Finanzminister
und keiner Regierung zuzumuten“, sagt ein erfahrener Verhandler. Die EU hat
aber ein viel größeres Problem in Paris: Polen.
Das Land hat mit der ultrakonservativen PiS-Regierung ihr Verhandlungsteam
der vergangenen Jahre abgezogen. Das war auch schon nicht durch
übertriebene Flexibilität aufgefallen. Die neuen Verhandler segeln zwar im
EU-Geleitzug, der mit dem Versprechen von mindestens minus 40 Prozent CO2
bis 2030 erschienen ist. Aber Brüssel zittert vor einem Alleingang
Warschaus. Immerhin hat die neue Regierung erklärt, „ein Scheitern in Paris
ist im Interesse Polens.“
Und schließlich ziehen manche Staaten die Notbremse: [1][Inselstaaten wie]
Tuvalu haben auch in Paris die Gespräche immer wieder dadurch verzögert,
dass sie überall auf einem Klimaziel von 1,5 Grad bestehen. Weil 2 Grad
Erwärmung für viele Inseln das Aus bedeuten würden, erklären sie immer
wieder: „Wir werden nicht unserem eigenen Untergang zustimmen.“ Das sei
verständlich, sagt Christoph Bals von der Entwicklungsorganisation
Germanwatch, aber auch gefährlich: „Um diese Ziffer ins Abkommen zu
bekommen, müsste man so viele Zugeständnisse machen, dass in der
Realpolitik die 1,5 Grad erst recht nicht zu erreichen wären.“
8 Dec 2015
## LINKS
[1] /Tuvalus-Aussenminister-ueber-Klimawandel/!5258154/
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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