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# taz.de -- Flüchtlingszoff in der Union: Meuterei auf der „Merkel“
> Erst war die CDU gegen de Maizières Idee, für Syrer den Familiennachzug
> zu begrenzen. Nun stimmen ihm alle zu.
Bild: Kommt Merkel die Crew abhanden? 2004 stand sie noch steil im Wind
Berlin taz | Am Tag nach einem verrückten Wochenende tut Angela Merkels CDU
so, als sei das alles ganz normal. Als habe sie genau jetzt, also gerade
mal vier Tage nach dem Koalitionsgipfel zur Flüchtlingspolitik, über neue
Verschärfungen diskutieren wollen, von denen vorher keine Rede war.
Hat Innenminister Thomas de Mazière (CDU) noch das Vertrauen der Kanzlerin?
„Selbstverständlich hat er das“, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert.
War de Maizières Vorstoß vielleicht unüberlegt? Im Gegenteil. Der
Innenminister sei ein „Vordenker“, sagt CDU-Vizechefin Julia Klöckner.
Spiegelt die Causa de Maizière vielleicht einen Machtkampf in der Union? I
wo, davon kann keine Rede sein. Alle CDUler versuchen den Eindruck von
Normalität zu vermitteln, was nicht ganz stimmt, aber der Reihe nach.
Am Montag lieferte die CDU-Machtmaschine die Botschaften, die man von ihr
gewohnt ist. Ruhe. Geschlossenheit. Alle Parteigranden versammelten sich
hinter der Idee, den Familiennachzug für Flüchtlinge stärker zu begrenzen –
einen dazu passenden Präsidiumsbeschluss gab es inklusive. „Wir haben
darüber gesprochen, dass der Vorschlag von Thomas de Maizière die
Unterstützung der Union findet – aber noch mit der SPD beredet werden
muss“, sagte Generalsekretär Peter Tauber im Konrad-Adenauer-Haus.
## Asylrecht soll weiter schrumpfen
Die CDU läutete damit eine neue Runde ein, das geschrumpfte Asylrecht
weiter zu schrumpfen. Wenn ein Asylbewerber nach einer Anerkennung in
Deutschland Frau und Kinder nicht nachholen darf, bleibt er vielleicht von
vornherein draußen, so die heimliche Hoffnung. Oder, wie es
Präsidiumsmitglied Jens Spahn formulierte: Es sei „legitim“, über eine
Begrenzung zu reden.
Doch die Meinungsfindung in der CDU lief alles andere als harmonisch ab.
Wieder mal stellte sich die Frage, ob die CDU eigentlich noch hinter
Merkels Flüchtlingspolitik steht. Den Anstoß lieferte ein denkwürdiges
Interview von de Maizière. Jener sagte am Freitag bei einer Reise durch
Albanien, die Bundesregierung wolle Flüchtlingen aus Syrien künftig nur
noch „subsidiären Schutz“ gewähren, also: zeitlich befristeten Schutz. Da…
muss man wissen, dass der Koalitionsgipfel für Leute mit diesem
Schutzstatus einen Tag zuvor beschlossen hatte, den Familiennachzug
auszusetzen. Allerdings ging es in dem von der SPD mit unterschriebenen
Papier um eine sehr kleine Gruppe, von Syrern war keine Rede.
De Maizière weitete die Verschärfung also mal eben auf eine große Zahl von
Menschen aus, in deren Heimat Bürgerkrieg herrscht. Sein Satz wirkte, als
habe er eine Handgranate in die Koalition geworfen. Die SPD interpretierte
dies als offene Provokation. Kurze Zeit später musste de Maizière auf
spektakuläre Art und Weise zurückrudern – auch auf Betreiben des
Kanzleramtes. „Es bleibt bei bisheriger Praxis“, twitterte Merkels Sprecher
Seibert. Dann folgte die nächste Klatsche für den Innenminister.
## Neue Demütigung
Peter Altmaier, Kanzleramtschef und Flüchtlingskoordinator der Regierung,
bestätigte, de Maiziere habe ihn nicht über seinen Vorstoß informiert. Das
war nichts anders als eine Zurechtweisung von ganz oben, also von der
Kanzlerin persönlich. Und eine Demütigung für den Innenminister, der in der
Flüchtlingspolitik mehrmals den Vorwurf auf sich gezogen hatte, überfordert
zu sein.
Bei anderen Ministern müsste man sich langsam Gedanken machen, ob Merkel
sie austauscht. Aber de Maizière bedient mit seinem Hardlinerkurs ein
Gefühl, das in der CDU weit verbreitet ist. Setzte ihn Merkel vor die Tür,
hätte sie am rechten Flügel eine offene Flanke. De Mazière warb am Sonntag
trotz der Intervention des Kanzleramtes für die Idee, bei Syrern den
Einzelfall zu prüfen – sie also gegebenenfalls herunterzustufen. Und er
bekam prominente Schützenhilfe. CSU-Chef Horst Seehofer stellte sich hinter
ihn, Finanzminister Wolfgang Schäuble ebenso. „Wir müssen natürlich den
Familiennachzug begrenzen, denn unsere Aufnahmekapazität ist ja nicht
unbegrenzt.“
De Maizière, Seehofer, Schäuble – alle gegen Merkel? Zeichnete sich da am
Sonntagabend eine Revolte gegen die lange unangreifbar scheinende Kanzlerin
ab? Dagegen spricht, dass es niemanden in der CDU gibt, der bereit wäre,
den Putsch anzuführen. Allen ist klar, dass Ursula von der Leyen, die den
Machtwillen hätte, die Kanzlerin zu beerben, im Moment keine Option ist –
auch weil sie eine liberalere Flüchtlingspolitik als Merkel machen würde.
Und Schäuble, der altgediente Politfuchs, genießt es zwar, die Kanzlerin ab
und zu spüren zu lassen, dass er es besser könnte. Aber dass der 73-Jährige
Lust auf Neuwahlen und den Aufbau einer am Boden zerstörten CDU hätte, darf
bezweifelt werden.
Außerdem ist unklar, ob die Offensive de Maizières überhaupt gegen Merkel
lief. Sie hat bisher in der Frage des Familiennachzugs jede Positionierung
vermieden. Ob sie etwas gegen de Maizières Lesart hat oder ob sie seiner
Meinung ist, lässt sie nicht erkennen. Diese Frage umschiffte der
Regierungssprecher gestern geschickt: Der Innenminister habe in einer
Sachfrage den Weg vorgegeben und jener wende sich nun an die
Innenministerkonferenz.
Und zuletzt wäre da ja der CDU-Präsidiumsbeschluss. Dass dieses Gremium ein
Papier gegen den erklärten Willen der Kanzlerin beschließt, ist schlicht
undenkbar. Mit Klöckner, Spahn und Nordrhein-Westfalens CDU-Chef Armin
Laschet warben am Montag ja auch Christdemokraten für die Begrenzung, die
zum Merkel-Fanclub gehören. Was unter dem Strich mindestens zwei Schlüsse
zulässt: Entweder, Merkel findet es auch richtig, den Familiennachzug zu
begrenzen – wollte aber aus Rücksicht auf die SPD mit der Diskussion noch
warten. Oder sie findet die Maßnahme falsch, hat sich aber längst an die
Spitze der Bewegung gesetzt.
9 Nov 2015
## AUTOREN
Anja Maier
Ulrich Schulte
Tobias Schulze
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