# taz.de -- Kommentar Asylpaket der Koalition: Ein hungriger Löwe | |
> CSU-Chef Seehofer hat den Aufstand gegen die Kanzlerin geprobt, aber | |
> keine Obergrenze für Flüchtlinge bekommen. Sein Sieg liegt woanders. | |
Bild: Diese Woche hatte er einen regelrechten Brüllkrampf: Horst Seehofer. | |
Was hat Horst Seehofer in dieser Woche für ein Theater abgezogen. Der | |
bayerische Löwe hat nicht nur gebrüllt, er hat quasi einen Brüllkrampf | |
bekommen. Seehofer stellte der Kanzlerin ein Ultimatum, er drohte mit | |
Notwehr, er ließ seine Gehilfen kolportieren, die CSU ziehe ihre Minister | |
aus dem Kabinett ab (Ist das eigentlich eine Drohung?). Seehofer bot also | |
alles auf, was der Münchner Folterkeller zu bieten hat, um die Kanzlerin | |
zur Räson zu bringen. | |
Gemessen an der Wucht dieser strategisch geplanten Eskalation scheint der | |
CSU-Vorsitzende beim Asylgipfel mit Kanzlerin Merkel und SPD-Chef Gabriel | |
den Kürzeren gezogen zu haben: Seehofer blitzte mit seinem größten Wunsch | |
ab, dem nach einer Obergrenze für Flüchtlinge. Das Gute an dem Kompromiss | |
ist deshalb, was ausdrücklich nicht vereinbart wurde. | |
Merkel hat Seehofer die Zahl verweigert, nach der er giert, weil sie weiß, | |
dass eine Obergrenze nichts bringt. Das ist vernünftig und wichtig. Merkel | |
und Gabriel haben ein historisch begründetes Grundrecht gegen den Bayern | |
verteidigt, nämlich das Recht, als politisch Verfolgter in Deutschland Asyl | |
beantragen zu dürfen. | |
Wie sähe sie denn aus, eine Obergrenze von – sagen wir – 800.000 | |
Flüchtlingen pro Jahr? Deutschland müsste, um dieses Ziel vertreten zu | |
können, sofort alle Grenzen schließen – und Flüchtlingszähler installiere… | |
Der 800.001te hätte dann eben Pech gehabt, auch wenn es ein dreijähriges | |
Mädchen aus Syrien ist, dessen Eltern die vorigen Nummern gezogen haben. | |
Weil die Obergrenze in der Realität nicht funktioniert, würde sie | |
Enttäuschung bei den Bürgern produzieren. Das ist ja das Schlimme an | |
Seehofers überdreht wirkenden Ausbrüchen, auf lange Sicht produzieren sie | |
Politikverdrossenheit. Gut, dass die Idee erst mal erledigt ist. | |
## Ein dehnbarer Begriff | |
Sonst gibt es aber wenig Grund für Lob. Denn die Große Koalition schickt | |
sich an, eine zweite Verschärfung des Asylrechts auf den Weg zu bringen. | |
Sie setzt auf Schikane, nicht auf Vernunft. Sie tut das, obwohl die im | |
September beschlossene Verschlimmerung gerade mal ein paar Tage in Kraft | |
ist und in keiner Weise funktioniert. | |
Seehofer ist es dabei gelungen, neue Gleise zu installieren, die den Zug in | |
Richtung Abschottung fahren lassen. Die Ironie dabei ist, dass die von der | |
SPD bis zur Unkenntlichkeit zerbissenen Transitzonen gegen diesen Zug | |
lächerlich wirken. | |
So sollen zum Beispiel Flüchtlinge „ohne Mitwirkungsbereitschaft“ per | |
Schnellverfahren in zwei bis drei Wochen abgeschoben werden können, ähnlich | |
wie Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern. „Mitwirkungsbereitschaft“ | |
ist ein interessanter, weil dehnbarer Begriff. Man kann sie so oder so | |
auslegen, Behörden tun es bekanntlich gerne im eigenen Sinne. Ein Syrer, | |
der vor Fassbomben flieht und dabei dummerweise vergisst, den Aktenordner | |
mit den Papieren einzustecken, könnte in Zukunft ein Problem bekommen. | |
Genau wie die Roma-Familie aus Serbien, die in ihrer Heimat diskriminiert | |
wurde und aus Angst vor der Abschiebung ihre Pässe verbrannte. | |
Problematisch ist, dass die Koalition auf Druck von Seehofer den | |
Familiennachzug aussetzen will. Zwar geht es zunächst um eine kleine Gruppe | |
von Asylbewerbern, aber der CSU-Chef hat damit einen Pflock eingeschlagen. | |
Ab jetzt muss man fürchten, dass die Koalition, die ängstlich auf die | |
wachsende Skepsis der Deutschen schielt, auch anderen Asylbewerbern das | |
Nachholen der Familie verbietet. Das bedeutet, schreibt Pro Asyl richtig, | |
dass mehr Frauen und Kinder am Mittelmeer in die morschen Boote steigen | |
werden, mit denen Schlepperbanden ihr Geld verdienen. | |
Genau genommen hat Seehofer also gewonnen, nicht verloren. Sein Sieg ist | |
nicht die Transitzone, sondern die Schnelligkeit, mit der die Bereitschaft | |
der Koalition erodiert, Verzweifelten zu helfen. Und klar ist: Seehofer | |
macht weiter, er hört nicht auf. Der bayerische Löwe ist noch lange nicht | |
satt. | |
6 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
## TAGS | |
Große Koalition | |
Asyl | |
Asylrecht | |
Horst Seehofer | |
Schwerpunkt Flucht | |
Flüchtlinge | |
Asylrecht | |
Union | |
Frontex | |
Thomas de Maizière | |
Schwerpunkt Flucht | |
Asyl | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Flucht | |
Horst Seehofer | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kommentar Aushöhlung des Asylrechts: Keine Flüchtlinge zweiter Klasse! | |
Die Bundesregierung demontiert in hohem Tempo und ohne Weitsicht das | |
Asylrecht. Ein deutliches Signal dagegen ist überfällig. | |
Flüchtlingszoff in der Union: Meuterei auf der „Merkel“ | |
Erst war die CDU gegen de Maizières Idee, für Syrer den Familiennachzug zu | |
begrenzen. Nun stimmen ihm alle zu. | |
Frontex-Info vom Frühling: Regierung hatte Flüchtlingszahlen | |
Frontex und das Konsulat im Kosovo warnten schon Anfang 2015 vor hohen | |
Flüchtlingszahlen. Innenminister de Maizière gab Zahlen verspätet an die | |
Länder weiter. | |
Asylvorstoß des Innenministers: Querschläger de Maizière | |
Innenminister Thomas de Maizière steht nach seinem Syrien-Vorstoß heftig in | |
der Kritik – mal wieder. Für die Verschärfung aber kämpft er weiter. | |
Asyleinigung der Großen Koalition: Das ist beschlossene Sache | |
Eilverfahren, Abschiebungen, Residenzpflicht: Was hat die Regierung | |
beschlossen? Was bedeutet es? Eine kurze Übersicht. | |
Kommentar Asylpaket der Koalition: Hauptsache schnell abschieben | |
Die Spitzen der Koalition haben sich auf Maßnahmen geeinigt, die das | |
Asylverfahren beschleunigen sollen. Um Fluchtursachen geht es kaum. | |
Nach Kompromiss der Regierung: „Auf Teufel komm raus“ abschieben | |
Nach der Einigung der Großen Koalition auf einen neuen Umgang mit | |
Flüchtlingen ist die Opposition unzufrieden. Sie sieht die Asylverfahren | |
bedroht. | |
Debatte Asylpolitik: Im Schatten der Überforderung | |
Die „Flüchtlingskrise” ist keine Krise der Ressourcen, sondern eine des | |
Willens. Sie ist inszeniert. Warum bleiben die HelferInnen | |
politikabstinent? | |
Horst Seehofer erklärt sich zum Sieger: Die Fütterung | |
In Berlin erzählt Seehofer bei Weißwurst, dass er in der Flüchtlingsfrage | |
triumphiert hat. Das dauert so lange, bis die Wurstpellen vertrocknet | |
waren. |