# taz.de -- Flüchtlingspolitik der SPD: Sigmar Gabriels Hintertürchen | |
> Die SPD empört sich über den CDU-Schwenk beim Familiennachzug für Syrer. | |
> Nicht jeder SPD-Wähler teilt die Kritik. | |
Bild: Sigmar Gabriel nach einem Flüchtlingsgespräch in Salzgitter. | |
Berlin taz | Thorsten Schäfer-Gümbel ist keiner, der gern draufhaut. | |
Hessens SPD-Landes- und Fraktionschef gilt als ruhiger, sachlicher Typ, der | |
sich nicht in jeden Koalitionszwist einmischt. Doch im Streit über eine | |
Begrenzung des Familiennachzugs für Syrer wird Schäfer-Gümbel ungewöhnlich | |
scharf. | |
„Die Kanzlerin hat die Richtlinienkompetenz in der Union offenbar | |
verloren“, sagte er am Dienstag der taz. De Maizière und Schäuble wollten | |
Seehofers Kurs gegen Merkel durchsetzen. „Das dröhnende Schweigen von | |
Angela Merkel zeigt, dass sie eine Getriebene der eigenen Partei ist.“ | |
Dass Schäfer-Gümbel, der besonnene SPD-Bundesvize, den Koalitionspartner im | |
Bund angreift wie ein Oppositionsführer, zeigt, wie empört die SPD über den | |
jüngsten Schwenk der Union ist. Schließlich haben die Sozialdemokraten den | |
Beschluss zum Familiennachzug auf dem Koalitionsgipfel am Donnerstag nur | |
mit Bauchschmerzen mitgetragen. In dem achtseitigen Papier hieß es unter | |
Punkt C, dass der Familiennachzug „für Antragsteller mit subsidiärem | |
Schutz“ für zwei Jahre ausgesetzt werden solle. | |
Die SPD-Verhandler um Sigmar Gabriel gingen davon aus, dass dies nur wenige | |
Personen beträfe: Die Rede war von nicht mal 2.000 betroffenen | |
Asylbewerbern, deren Schutzstatus zeitlich befristet ist. Das war ein | |
Fehlschluss, denn seit Montag ist alles anders. Die CDU-Spitze hat sich | |
hinter den Vorschlag von Innenminister Thomas de Maizière gestellt, auch | |
Syrern nach einer Einzelfallprüfung nur noch den subsidiären Schutz zu | |
gewähren. Damit wäre eine große Zahl von Bürgerkriegsflüchtlingen | |
betroffen. Die Union, so die Lesart vieler SPDler, versuche, die | |
Sozialdemokratie wenige Tage nach einer vermeintlichen Einigung | |
vorzuführen. | |
Neben der Wut über den Verfahrenstrick haben SPDler inhaltliche Bedenken. | |
Schließlich setzen syrische Familien in dem kriegsgeplagten Land darauf, | |
irgendwann ins sichere Europa reisen zu können. „Die neue | |
christdemokratische Familienpolitik ist offenbar, Männer und Frauen, Eltern | |
und Kinder auseinanderzureißen und Frauen und Kinder auf die | |
lebensgefährliche Flucht aus dem Bürgerkrieg zu schicken“, sagt | |
Schäfer-Gümbel. „Die Beschränkung des Familiennachzugs der Syrer ist für | |
die SPD kein Thema, das würde zu noch längeren Verfahren führen, ist also | |
sogar auf der bürokratischen Ebene kontraproduktiv.“ | |
Ähnlich äußerten sich andere SPDler. Bundesvize Ralf Stegner sagte, die | |
Union solle „ihre Machtkämpfe selbst klären und nicht den Rest der Republik | |
damit behelligen.“ | |
## Das „Seehofer-Gen“ der SPD | |
Aydan Özoğuz, die Flüchtlingsbeauftragte der Regierung, sagte der | |
Rheinischen Post, der Plan könne das Gegenteil bewirken. „Aus Sorge vor | |
einer Beschränkung werden sich jetzt auch noch Mütter und Kinder auf den | |
Weg machen, um zu ihren Partnern nach Europa zu kommen.“ Ein drohender | |
Nachzugsstopp könnte in der Tat ganze Familien auf die gefährlichen | |
Fluchtrouten locken. Und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) | |
ist jetzt schon heillos überlastet, zusätzliche Einzelfallprüfungen für | |
Tausende Syrer würden die Beamten überfordern. | |
Allerdings verbirgt die SPD mit den starken Worten, wie zerrissen sie bei | |
diesem Thema ist. Denn auch unter sozialdemokratischen Wählern ist die | |
Furcht vor den Neuankömmlingen weit verbreitet. Im linksliberalen Bürgertum | |
gibt es viel Hilfsbereitschaft, aber auch die Sorge vor großen Belastungen. | |
Bei kleinen Arbeitern kommt die Angst hinzu, unerwünschte Konkurrenz auf | |
dem Arbeitsmarkt oder in den Sozialsystemen zu bekommen. Und die | |
Vorstellung, dass es keine Obergrenze für Flüchtlinge geben soll, irritiert | |
viele in SPD-Milieus ebenso wie Konservative. | |
Ein Bundestagsabgeordneter berichtet, dass ihn Gewerkschaftsfunktionäre | |
fragten, ob Angela Merkel noch alle Tassen im Schrank habe. Und aus der | |
SPD-Fraktion heißt es hinter vorgehaltener Hand: „Das Seehofer-Gen ist | |
stark bei uns.“ | |
Wenn man genau hinhört, halten sich Spitzengenossen ein Hintertürchen | |
offen. Gabriel wies lediglich darauf hin, dass niemand von der SPD erwarten | |
könne, „dass wir so im 24-Stunden-Takt mal öffentlich zu irgendwelchen | |
Vorschlägen Ja oder Nein sagen.“ SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi sagte | |
am Montag, sie sehe „zum jetzigen Zeitpunkt“ keinen relevanten | |
Handlungsbedarf. Wer so redet, behält sich vor, zu einem späteren Zeitpunkt | |
Handlungsbedarf zu entdecken. Gabriel weiß, dass die Union keine Ruhe geben | |
wird. | |
10 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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