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# taz.de -- Flucht in Afrika: Endstation Agadez
> Die nigrische Stadt Agadez liegt auf der Transitstrecke für Migranten.
> Die einen wollen nach Europa, die anderen zurück in ihre Heimat.
Bild: Seinen Traum von Europa hat Ibrahim, 17, aufgegeben. Über seine Erlebnis…
Agadez taz | Noch sieht Dubai aus wie eine Geisterstadt. Dubai in Agadez,
der Hauptstadt der gleichnamigen Region im nördlichen Niger. Hin und wieder
laufen einige Jungen am sandigen Straßenrand entlang, und vor einigen der
beigen Lehmhäuser haben die Inhaber kleine Hütten als Kioske aufgebaut.
Höchstens zwei bis drei Quadratmeter groß, bieten die Shops Kekse,
Zahnpasta, Milchpulver und große Kanister mit Öl an. Nirgends wächst schon
ein bisschen Grün und nirgendwo sitzen Männer, die den bitteren Tee trinken
und darauf warten, dass die Mittagshitze vorbeigeht. Noch erinnert auch
nichts an den historischen Stadtkern von Agadez, mit seiner
jahrhundertealten Lehmmoschee, den kleinen Restaurants und voll geramschten
Souvenirläden.
So belebt wie früher ist es in der Altstadt allerdings nicht mehr.
Touristen meiden Agadez, die „Perle der Sahara“, wie die
125.000-Einwohner-Stadt auch heißt; sie fürchten Entführungen. Trotzdem
geht es der Stadt nicht schlecht. Dazu tragen die Migranten aus vielen
afrikanischen Ländern ihren Teil bei, von denen sich jede Woche mehr als
tausend aus der Hauptstadt Niamey über Agadez in Richtung Europa aufmachen.
In Agadez warten die Schlepper, hier starten die lebensgefährlichen Touren
quer durch die Wüste bis zur libyschen oder algerischen Grenze. Viele
Migranten tauchen deswegen manchmal für Monate in den Ghettos unter, wie
die Migrantenunterkünfte hier genannt werden. Die Einwohner von Agadez
profitieren davon. Vielleicht haben sie auch deshalb das neue Viertel Dubai
genannt, klingt das doch ein bisschen – wie das große, mehrere tausend
Kilometer entfernte Dubai – nach Wohlstand, ein bisschen Glitzer und
Zukunft.
## Nagelneues Zentrum
Für fünf junge Männer ist ausgerechnet Dubai zum Aus ihrer Träume geworden.
Im neu eröffneten Transitzentrum der Internationalen Organisation für
Migration (IOM), am äußersten Rand von Dubai, haben sie immerhin ein
Zuhause auf Zeit gefunden. Noch ist alles neu, ordentlich, sauber. Auf der
linken Seite des Hofes befinden sich die Schlafsäle der Männer, rechts die
der Frauen – die Einrichtung bietet Platz für 400 Personen. Es gibt
Sanitäranlagen und überdachte Flächen, damit niemand in der prallen Sonne
sitzen muss.
Aufgenommen wird hier jeder, der freiwillig in seine Heimat zurückkehren
möchte. „Sie hätten am vergangenen Wochenende kommen müssen. Da war es hier
voll“, sagt Maliki Hamidine, der das Zentrum leitet. Konkrete Zahlen nennt
er nicht. So ist das immer, wenn es um Migration geht. Alles beruht auf
Schätzungen. Beobachter gehen davon aus, dass pro Woche 1.000 bis 2.000
Menschen nach Agadez kommen, vor allem aus dem Senegal, Gambia, Nigeria und
Kamerun, um von hier aus weiter in Richtung Nordafrika und Europa zu
fahren. Doch wie viele wieder die Rückreise antreten, ist völlig unklar.
Einer von ihnen ist Ibrahim. Er sitzt auf einer Matratze, die auf einer der
gefliesten Flächen liegt. Zwischen die Pfosten hat er ein Moskitonetz
gespannt. Das Dach schützt vor der heißen Mittagssonne. Neben der Matratze
liegt alles, was Ibrahim geblieben ist: ein kleiner Rucksack, ein T-Shirt
zum Wechseln, eine zweite Jogginghose, eine Flasche Wasser und ein altes
Nokia-Handy, mit dem man nur anrufen und allenfalls noch SMS verschicken
kann. Die Zigarettenschachtel ist leer.
Ibrahim schaut in die Ferne, vorbei an den drei Senegalesen im Raum, die
nebeneinander hocken und sich auf Wolof unterhalten, und auch vorbei an
seinem nigerianischen Nachbarn, dessen Arme unter schmutzig-grauen
Verbänden verschwinden. Nach einem Streit hatte man ihn von einem Pick-up
geworfen, der ihn an die libysche Grenze hätte bringen sollen. Zum Glück
fand ihn jemand und informierte das Rote Kreuz.
## Schläge statt Geld
So schlimm ist es Ibrahim nicht ergangen. Mit seinen 17 Jahren ist der
Kameruner der jüngste der fünf hier gestrandeten Männer. Als er von seinem
Dorf nahe der Hafenstadt Douala in Richtung Norden aufbrach, erhoffte er
sich Arbeit, eine Zukunft. Auf die Frage, was für Arbeit er sich
vorgestellt hatte und in welchem Land er leben wollte, zuckt er mit den
Schultern und schaut weg. „Geld verdienen eben, etwas aus meinem Leben
machen, eine Ausbildung bekommen“, sagt er einsilbig in einem Französisch,
das möglichst akkurat klingen soll. Es gibt in seiner Heimat Kamerun
durchaus Jobs. „Aber die sind so schlecht bezahlt“, sagt er. Viele
Kameruner träumen von einer Ausbildung, am liebsten in Deutschland.
Bis nach Algerien hat es Ibrahim geschafft, dort ist er zwei Monate
geblieben. Wie viele andere Migranten hatte er zuvor von der gefährlichen
Fahrt durch die Wüste gehört, von den Leichen, die mitunter am Wegesrand
liegen, von den horrenden Preisen und den Schleusern, die gut an den
Migranten verdienen. „Und natürlich wussten wir, dass die Fahrt über das
Meer sehr schwierig ist“, sagt er leise. Migration ist in West- und
Zentralafrika zwar längst nicht ein so beherrschendes Thema wie in Europa.
Doch die Nachrichten von gekenterten Booten und Ertrunkenen kommen in der
Heimat an.
Aber niemand hatte Ibrahim vor Nordafrika gewarnt. „Algerien, das war
hart“, sagt er. Ein Mann versprach ihm einen Job. Er sollte gegen gutes
Geld in einem Lager schwere Kisten schleppen. Ibrahim ist ein schmächtiger
junger Kerl und sieht aus, als drücke er besser noch die Schulbank, statt
körperlich zu arbeiten. „Ich habe mich entschieden, in meine Heimat
zurückzugehen“, sagt er nur. Fragt man ihn, was genau vorgefallen ist,
antwortet er nicht. Nach längerem Schweigen fügt er hinzu: „Sie haben mich
nicht gut behandelt.“ Narben, die durch Schläge und aufgeplatzte Haut
entstanden sein könnten, sind zumindest nicht auf seinen Unterarmen zu
sehen.
Dafür krempelt einer der drei Senegalesen sein Hemd hoch. Er hat die
Unterhaltung mit angehört. „Dort haben sie zugeschlagen“, sagt er und weist
auf mehrere Stellen an seiner Brust. „Willst du auch meinen Rücken sehen?“
Thematisiert wird der Rassismus gegenüber dunkelhäutigen Migranten, der in
nordafrikanischen Ländern anzutreffen ist, selten. Die meisten schweigen
und beißen lieber die Zähne zusammen.
## Manche wollen nur noch nach Hause
„Vernarbte Haut sehen wir hier öfter“, bestätigt Maliki Hamidine, Leiter
des Transitzentrums. „Manche haben auch schlecht verheilte Knochenbrüche.“
Das Rote Kreuz in Agadez bietet Migranten eine kostenfreie Erstversorgung
an. Keine Unterstützung gibt es für die seelischen Wunden. Manchmal ist die
Not so groß, dass die Männer direkt zur Polizei gehen, wenn sie aus Libyen
oder Algerien zurückkommen. „Sie wollen nur noch nach Hause“, sagt
Hamidine.
Genau für diese Zielgruppe sei das Zentrum in Dubai errichtet worden.
Hilfsorganisationen schickten die Neuankömmlinge direkt dorthin. Mitunter
klappert Hamidine mit seinen Mitarbeitern auch die Haltestellen der
verschiedenen Busunternehmen in der Innenstadt ab. Neben Unterkunft und
Verpflegung organisiert das IOM Bustickets in die Hauptstadt Niamey und
kümmert sich um Kontakte zu den Botschaften.
Dass Ibrahim nur zwei Monate in Algerien geblieben ist, stellt eine
Ausnahme dar. Viele bleiben ein bis zwei Jahre in einem der Transitländer,
schlagen sich durch und hoffen, in dieser Zeit das Geld für die Überfahrt
zusammenzubekommen. „Manchmal entschließen sich aber auch Leute zur
Rückkehr, nachdem sie zehn Jahre in Libyen und Algerien gearbeitet haben“,
sagt Hamidine. Beide Länder boten einst gute Chancen, um mehr Geld als in
der Heimat zu verdienen. Und längst nicht alle hatten vor, nach Europa
weiterzureisen. Doch seit Libyen nach dem Ende Gaddafis im Chaos versinkt,
gibt es dort keine geregelten Verdienstmöglichkeiten mehr.
## Familie hat zugestimmt
Ibrahim hat sich auf seine Matratze gelegt und starrt das Dach an.
Irgendwann in den kommenden Tagen wird er die Heimreise antreten und über
Nigeria zurück nach Kamerun fahren. Seine Familie erwartet ihn bereits. Vor
ein paar Tagen hat er sie angerufen. „Sie sind einverstanden, dass ich
zurückkomme.“
Er hört sich nicht so an wie jemand, der sich freut, seine Eltern bald
wiederzusehen. Schließlich hat er große Teile ihrer Ersparnisse ausgegeben.
Er überschlägt halblaut die Kosten der mehrmonatigen Reise: etwa 800.000
CFA. „Neben meinen Eltern haben auch andere aus der Familie etwas
dazugegeben.“ Die umgerechnet etwa 1.200 Euro sind in Kamerun mehr als das
jährliche Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, weshalb auf den Migranten enormer
Druck lastet. Wer abgeschoben wird oder selbst zurückkehrt, gilt als
Versager, der das ganze Geld der Familie in den Sand gesetzt hat.
Zum Abschied ringt sich Ibrahim ein schmales Lächeln ab. Dubai soll nicht
die Endstation für ihn bedeuten. „Ich habe mir überlegt, in Kamerun eine
Ausbildung zu machen“, sagt er, „KFZ-Mechaniker. Dann könnte ich auch zu
Hause wirklich Geld verdienen.“
1 Nov 2015
## AUTOREN
Katrin Gänsler
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