# taz.de -- Wahl in Zentralafrika: In diesem Land ist nichts normal | |
> Längst hat der Staat aufgehört zu existieren. Dennoch werden in | |
> Zentralafrika bald ein Präsident und ein Parlament gewählt. | |
Bild: Stimmabgabe im Stadtteil PK5 von Bangui am 14. Dezember beim Verfassungsr… | |
In zerfallenen Bürgerkriegsländern ist die Rückkehr zur Normalität meist | |
ein Teufelskreis: Ohne Staat kein Frieden – aber ohne Frieden kein Staat. | |
Die Zentralafrikanische Republik versucht jetzt, diesen Teufelskreis | |
einfach zu ignorieren. Das Krisenland im Herzen Afrikas wählt am 27. | |
Dezember einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament, obwohl es keine | |
funktionierenden staatlichen Institutionen hat. | |
Die Wahlen sind nötig, weil nur eine gewählte Regierung auf Dauer | |
ausländische Hilfe bekommt. Das Land versank vor drei Jahren im | |
Bürgerkrieg, als die muslimische Rebellenallianz Seleka in den Kampf gegen | |
den korrupten PräsidentenFrançoisBozizé zog. Seleka ergriff im März 2013 | |
die Macht, antimuslimische Milizen nahmen ihrerseits den Kampf auf. Anfang | |
2014 gab Seleka die Macht an die Bürgermeisterin von Bangui ab, Catherine | |
Samba-Panza, die seitdem als Übergangspräsidentin nicht viel mehr zu sagen | |
hat als davor als Bürgermeisterin. Sie verhinderte nicht, dass die | |
antimuslimischen Milizen, kollektiv Anti-Balaka genannt, fast alle Muslime | |
des Landes verjagten oder töteten. | |
Für prekäre Ruhe sorgte nicht so sehr die UN-Blauhelmstationierung ab | |
September 2014, sondern die Aussicht darauf, dass die Übergangszeit bald zu | |
Ende geht. Eine neue Verfassung wurde per Referendum am 13. Dezember | |
beschlossen, die Wahlen schließen nun die politische Normalisierung ab. | |
Aber nichts ist normal in der Zentralafrikanischen Republik. Von den 4,9 | |
Millionen Einwohnern leben 450.000 als Flüchtlinge in Nachbarländern, | |
weitere 450.000 als Binnenvertriebene im eigenen Land. Seleka und | |
Anti-Balaka existieren als organisierte Verbände nicht mehr, stattdessen | |
hat sich in dem riesigen, größtenteils menschenleeren Land ein | |
Flickenteppich von Milizen und lokalen Autoritäten herausgebildet. Das | |
muslimische Kernland im Nordosten hat sich unter Ex-Seleka-Warlord | |
Noureddine Adam als „Republik Logone“ unabhängig erklärt. | |
Außerhalb dieser Region leben die 36.000 verbliebenen Muslime in fünf | |
belagerten Enklaven – die größte davon mit 26.000 Menschen ist der | |
Stadtteil PK5 mitten in Bangui, den neulich sogar der Papst besuchte, aber | |
dessen Bewohner ihr Viertel nur unter Lebensgefahr verlassen können. „Jeder | |
noch so kleine Vorfall kann eine Spirale der Gewalt hervorrufen“, heißt es | |
im jüngsten Lagebericht der UNO. | |
## Fast alle Wahlberechtigten sind registriert | |
Die Sehnsucht nach Normalität ist groß. 1.954.433 Menschen haben sich für | |
die Wahlen registrieren lassen, 95 Prozent der volljährigen Bevölkerung. | |
Beim Verfassungsreferendum vom 14. Dezember lag die Beteiligung nur bei 38 | |
Prozent. Hauptgrund: die Sicherheitslage. | |
Nun gibt es 30 Präsidentschaftskandidaten, aber kaum einer von ihnen traut | |
sich, auch nur eine Nacht außerhalb der Hauptstadt zu verbringen. Kein | |
Angehöriger der Übergangsregierung und kein Angehöriger oder Freund einer | |
bewaffneten Gruppe darf kandidieren. So treten nur Politiker an, die nichts | |
zu sagen haben, als Wunschtableau ziviler Politik in einer gewaltbestimmten | |
Realität. | |
Als aussichtsreich gelten drei Expremierminister – zwei aus der Zeit des | |
letzten freigewählten Staatschefs, Ange-Félix Patassé, der 2003 von seinem | |
Armeechef Bozizé gestürzt wurde, und einer aus der Ära Bozizé. Der eine, | |
Martin Ziguélé, verfügt über den Apparat der alten Patassé-Partei und gilt | |
daher als potenzieller Durchgreifer, was ihn für die alte Kolonialmacht | |
Frankreich attraktiv macht. Der andere, Anicet-Georges Dologuélé, erweckt | |
als ehemaliger Zentralbankchef den Eindruck, er könne mit Geld umgehen. Der | |
ehemalige Bozizé-Premier Karim Meckassoua gilt als Vertrauter des | |
Präsidenten Denis Sassosu-Nguesso in Kongo-Brazzaville, Chefvermittler im | |
zentralafrikanischen Friedensprozess und Geldgeber der Übergangsregierung. | |
Meckassouas ist ein Muslim aus PK5. Sollte ausgerechnet er in eine mögliche | |
Stichwahl im Januar einziehen, wäre dies eine Revanche für die Pogrome von | |
2014. Entscheidend aber wird sein, wie die Milizen reagieren. | |
26 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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