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# taz.de -- Reise durch Südsudan: Der zerstörte Traum
> Die Unabhängigkeit des jüngsten Staates hat bisher nur den Milizen etwas
> gebracht. Über zwei Millionen Menschen sind auf der Flucht.
Bild: In Südsudan kehrt kein Frieden ein. Ethnische Gruppen, Rebellen und Sold…
Wer in Südsudan Frieden sucht, muss früh aufstehen. Im Morgengrauen sind
die Temperaturen in der am Nil gelegenen Hauptstadt Juba noch einigermaßen
erträglich. Noch sind nur wenige Soldaten auf den Straßen unterwegs. Je
weiter der Tag voranschreitet, desto heißer wird es und desto betrunkener
sind sie, und das macht sie gefährlich. Gegen Abend herrscht selbst
verordnete Ausgangssperre. Die Nacht im Südsudan ist lebensgefährlich.
Seit über zwei Jahren herrscht Bürgerkrieg im jüngsten und ärmsten Staat
der Erde. Die hoffnungsvolle Stimmung vom Januar 2011, als die Südsudanesen
fast einstimmig in der ersten Volksabstimmung ihres Lebens die
Unabhängigkeit beschlossen, ist Geschichte. Seit sich die beiden
wichtigsten Führer, Präsident Salva Kiir und sein einstiger Vizepräsident
Riek Machar verkracht haben, starben über 100.000 Zivilisten, großenteils
bei ethnischen Massakern. Kiir gehört der Ethnie der Dinka an, und Machar
ist ein Nuer. Das sind die größten Volksgruppen des Landes. Zehntausende
von Kindern rekrutierten beide Seiten als Milizen. Mittlerweile sind 2,3
Millionen Menschen, ein Fünftel der Bevölkerung, auf der Flucht.
Im August 2015 hatten die Kontrahenten ein Friedensabkommen unterschrieben,
aber es gibt keinen Frieden. „Beide Seiten untergraben das Abkommen“, sagt
Alfred Soka, Nachrichtenchef eines Radiosenders in Juba. „An einem Tag
berichten wir, dass die Führer der bewaffneten Opposition bald zurückkehren
werden. Am nächsten Tag erfahren wir von neuen Hindernissen.“ Er zuckt die
Achseln. „Kein Wunder, dass die Bevölkerung verwirrt ist und nicht mehr an
den Frieden glaubt.“
In dem winzigen Redaktionsraum, den sich Soka mit drei Kollegen teilt, ist
es schon am frühen Morgen heiß. Die Holzstühle sind hart, der Ventilator
rotiert vergeblich. Zum Catholic Radio Network gehören acht Lokalsender, in
Juba befindet sich die zentrale Nachrichtenredaktion. Täglich stehen die
Journalisten vor der heiklen Aufgabe, die Meldungen so zu formulieren, dass
sie bei der Regierung keinen Unmut erwecken und doch der Wahrheit
entsprechen. „Wir müssen jedes Wort abwägen“, sagt Alfred Soko. Besonders
brenzlig werde es, wenn sie die Opposition zu Wort kommen ließen. „Am
einfachsten ist es, sie aus Berichten ausländischer Medien zu zitieren.“
Schon mehrfach wurden in der Vergangenheit kritische Journalisten ermordet.
## Soldaten hungern, rauben
Seit dem Friedensabkommen vom August 2015 haben sich die Verhältnisse im
Land verschlechtert. Die Armee von Präsident Kiir, inzwischen eine reine
Dinka-Armee, agiert noch undisziplinierter als früher. In Juba zerrten vor
Kurzem Soldaten einen jungen Mann aus einem Bus, misshandelten und
verhafteten ihn. Er hatte ein billiges Handy in der Hand. Die Soldaten
beschuldigten ihn, für den Feind zu fotografieren. Als er wieder freikam,
stellte sich heraus, dass sein Handy gar keine Kamera hat.
Der Soldat hat seine Geschichte Alfred Soka erzählt. „Ich kann leider
nichts daraus machen“, sagt der Radiojournalist. „Das wäre viel zu riskant
für ihn wie für uns.“ Die Behörden hören die Sendungen der lokalen
FM-Sender ab und drohen mit Schließung der Sender, wenn ihnen etwas nicht
passt. Berichte über die Armee sind im ganzen Land eine heikle
Angelegenheit. Viele Soldaten hungern, viele erhalten keinen Sold. Ihre
Kommandanten stecken ihn in die eigene Tasche. Also rauben die Soldaten die
Bevölkerung aus: Sie überfallen Autos und Busse auf den Fernstraßen nach
Yei und Nimule, nehmen den Insassen Geld, Telefone, Waren weg. Bei den
Überfällen kommen immer wieder Menschen ums Leben. Augenzeugen berichten,
es seien Soldaten gewesen. Die Armee dementiert.
Zu Beginn haben Kiirs und Machars Truppen nur in zwei Gebieten
gegeneinander gekämpft: im Norden, wo es Ölfelder gibt, und im Osten, wo
sich die Hauptsiedlungsgebiete von Dinka und Nuer befinden. Ruhig sind
diese Gegenden bis heute nicht, doch nun wird auch der bisher friedliche
Süden Südsudans immer unsicherer. Das Städtchen Yambio liegt nahe der
kongolesischen Grenze, wo es inzwischen häufig Schießereien zwischen
Soldaten und den sogenannten Arrow Boys gibt. Diese lokale Miliz hatte sich
einst formiert, um die Bevölkerung vor den marodierenden Banden des
Uganders Joseph Kony zu schützen. Heute behaupten die Arrow Boys, sie
müssten die Bevölkerung vor der eigenen Armee beschützen.
## Pflanzen wachsen hören
Die Region um Yambio ist Agrargebiet. Es regnet regelmäßig, alles ist grün.
„Man kann die Pflanzen wachsen hören“, lautet eine Redensart. In der Gegend
leben vorwiegend Azande, eine Ethnie, die sich von den Dinka marginalisiert
sieht. Im vergangenen Jahr kamen Dinka-Hirten mit Vieh und Waffen aus dem
Norden in die fruchtbare Gegend. „Die Tiere haben unsere ganze Ernte
zertrampelt oder weggefressen“, klagt Susan Marko, eine Agrarwirtin. „Wir
haben die Leute angefleht weiterzuziehenen, aber sie sind einfach
geblieben. Und die Dinka-Soldaten der Armee haben ihnen geholfen.“
Susan Marko, verwitwet, zwei jugendliche Kinder, ist nach Yambio geflohen.
Hunger kannte die Familie bis dato nicht, weil ihre Felder, auf denen sie
Maniok, Bananen und anderes Gemüse anbaute, immer genügend Nahrung
abwarfen. Aber jetzt sind sie auf die Gaben von Hilfsorganisationen
angewiesen. Das reiche bei Weitem nicht, sagt Susan Marko. Die Azande
fühlten sich bisher von Südsudans Krieg nicht betroffen, jetzt sieht sich
Marko als Opfer. „Das hat die Regierung in Juba geplant“, ist sie
überzeugt. „Die Dinka haben zu viele Kühe und wollen uns vertreiben, damit
sie mit ihrem Vieh hierherkommen können. Aber Südsudan gehört uns allen,
nicht nur den Dinka.“
## Banditen der Savanne
300 Kilometer weiter nördlich, in der Mitte Südsudans, liegt das Städtchen
Rumbek. Noch vor wenigen Jahren gab es hier reichlich Autoverkehr auf den
staubigen, breiten Straßen. Entwicklungsorganisationen arbeiteten eifrig am
Aufbau des neuen, freien Südsudan nach Jahrzehnten Krieg. Heute stauen sich
die Autos in Rumbek nur am späten Nachmittag, wenn große Gruppen weißer
Rinder von den Weiden am Stadtrand in den Ort getrieben werden. Die
Viehherden Rumbeks verbringen die Nacht in der Stadt, weil es außerhalb zu
unsicher ist. Außer Kontrolle geratene Dinka-Banden herrschen über die
Savanne. „Die Banditen wissen, dass es hier kaum Armee und Polizei gibt“,
erzählt Daniel Laat, der für die katholische Diözese in Rumbek arbeitet.
„Sie saufen und fühlen sich stark. Sie ziehen herum, plündern,
vergewaltigen, morden. Wir sind eingeschlossen wie die Ratten.“
Die neu gebauten Verbindungsstraßen zwischen Rumbek und dem Rest des Landes
sind wegen der hohen Gefährdung für Reisende unbenutzbar geworden. Rumbek
ist nur noch per Flugzeug oder Helikopter erreichbar. Die Isolation treibt
die Preise in die Höhe.
Die Arbeit der Diözese wird von den lokalen Behörden akzeptiert, da in
Rumbek viele dem katholischen Glauben angehören. Es gibt katholische
Schulen, einige Kirchen, einen Radiosender und Sozialprogramme für die
arbeitslose Jugend. „Wir leisten gute Arbeit hier“, sagt Daniel Laat.
„Trotzdem empfinde ich die Lage als äußerst deprimierend. Ich möchte nach
Uganda, ein normales Leben führen. Wenn mir das gelingt, kann ich meine
Mutter und meine Freundin nachholen.“ Südsudans Wirtschaft ist am Ende.
Nach der Unabhängigkeit flossen durch das Öl zunächst noch Einnahmen in das
Land. Aber der Krieg brachte die Ölproduktion zum Erliegen. Jetzt gibt es
keine Dollareinnahmen mehr, um Importe bezahlen zu können. Wegen der
prekären Sicherheitslage verebbt zudem der Warenverkehr.
## Es hungern vier Millionen Menschen
Es ist noch gar nicht so lange her, dass Geschäftsleute aus Uganda in
Südsudan einen neuen und lukrativen Absatzmarkt witterten. Heute beliefern
sie Südsudan kaum noch, weil die Abnehmer kein Geld mehr haben. Mit dem
südsudanesischen Pfund ist außerhalb des Landes nichts anzufangen. Nach
UN-Angaben hungern im Südsudan inzwischen vier Millionen Menschen, ein
Drittel der Bevölkerung. Selbst in Gebieten, wo nicht gekämpft wird, können
große Teile der Bevölkerung statt täglich drei Mahlzeiten nur noch zwei
oder eine zu sich nehmen.
Michael Atit ist Grundschullehrer in Wau. Als Flüchtlingskind wuchs er in
Uganda auf und kam 2006 nach Südsudan. Jetzt träumt er von seiner alten
Heimat Uganda. „Ich möchte weggehen, aber nicht in einem Lager leben. Ich
will studieren und etwas aus meinem Leben machen“, sagt er. „Wenn es
irgendwann klappt mit Südsudan, gehe ich vielleicht wieder zurück.“ Dabei
ist er noch gar nicht weggegangen.
Wau war bis vor Kurzem ein ruhiges Handelsstädtchen im Nordwesten
Südsudans, auf der Route nach Darfur. Die Atmosphäre ist eher arabisch als
afrikanisch. Aber was früher ein quirliger Ort war, ist heute still. „Mehr
als zweihundert Läden haben geschlossen“, berichtet Michael Atit. „Es wird
immer schwieriger, bezahlbares Essen zu finden.“
Als das Friedensabkommen im August 2015 unterzeichnet wurde, glaubte er,
das Ende des Krieges sei in Sicht. Heute hat Atit die Hoffnung verloren.
Man erzählt sich, dass auch hier der Krieg näher rückt, in der letzten noch
friedlichen Region Südsudans. Sind es Rebellen, desertierte Soldaten oder
Kriminelle, die die Straßen außerhalb von Wau unsicher machen? Eigentlich
ist es egal. Michael Atit sagt: „Wir hatten die Utopie, ein Land
aufzubauen, in dem keiner diskriminiert wird, eine Getreidekammer für
Ostafrika, ein Zuhause. Dieser Traum ist zerstört.“
22 Jan 2016
## AUTOREN
Ilona Eveleens
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