# taz.de -- An der deutsch-österreichischen Grenze: „Wir haben große Hoffnu… | |
> Trotz der Grenzkontrollen sind die Flüchtlinge zuversichtlich: Alle zwei | |
> Stunden verlässt Freilassing ein Sonderzug in deutsche Großstädte. | |
Bild: Flüchtlinge, kurz nach ihrer Ankunft im Grenzort Freilassing. | |
FREILASSING taz | Von den Hunderten, die Ende der vergangenen Woche durch | |
die krautige Salzburger Vorstadt in Richtung Grenzfluss zogen, sind am | |
Freitagmittag nur noch Spuren übrig. Sie lassen sich als Signale der Hilfe | |
und der Dankbarkeit interpretieren. Ein paar weiße Sneakers liegen am Rand | |
der „Münchner Bundesstraße“, an der Ferse sind sie ausgelatscht, ansonsten | |
noch relativ neu und sauber – womöglich hat die Trägerin sie irgendwo in | |
Wien zugesteckt bekommen und dann mit ihren Füßen doch nicht richtig | |
hineingepasst. | |
Daneben hat jemand sauber zusammengelegt eine Jeans, eine Markenstrickjacke | |
und eine Trainingsjacke von Nike im Gras hinterlassen. Die Botschaft der | |
Vorübergezogenen könnte lauten: Danke, Österreich, für die Klamotten. Aber | |
da vorne ist die Brücke über den Fluss, und dahinter ist unser Ziel, wo wir | |
das hier nicht mehr brauchen werden. | |
Der 27-jährige Mohammad in schwarzer Lederjacke und seine Mutter Faisa mit | |
dem hellblauen geblümten Kopftuch haben hingegen den Schlafsack behalten, | |
den sie in Österreich bekamen. Und auch die bunten Regenschirme. Tiefe | |
graublaue Wolken hängen am Voralpenhimmel. Beinahe wäre ihnen die ganze | |
Flucht aus dem syrischen Idlib zu einfach vorgekommen: Griechenland, | |
Mazedonien, Serbien, Ungarn – der ganze Weg in 22 Tagen sei „very easy“ | |
gewesen, sagt Mohammad. Selbst ungarische Polizisten hätten sie willkommen | |
geheißen. | |
Über Google Maps hätten sie sich dann auch den Fußweg zur Grenze gesucht. | |
Doch ein paar Schritte vor der Brücke ins bayerische Freilassing habe sie | |
die österreichische Polizei aufgehalten: Zwei Tage hätten sie in einer | |
Notunterkunft diesseits der Saalach verbracht: „Wir waren einfach zu viele, | |
um hinüberzugehen.“ Die bayerische Polizei spricht von zwei Gruppen von je | |
700 Geflüchteten, die am Donnerstag hier zu Fuß über die Grenze wollten – | |
die BeamtInnen sperrten den Übergang, aus Sorge um eine Massenpanik auf der | |
Brücke. Die Einreise wird hier niemandem verweigert, aber kontrolliert soll | |
alles ablaufen. Es dauerte also, bis alle Geflüchteten mit Bussen ins | |
ehemalige Möbelhaus in Freilassing gebracht werden konnten. „Wir waren die | |
Letzten“, sagt Mohammad. Nun endlich haben auch er und seine Mutter | |
deutschen Boden erreicht und hocken am Rand der Polizeikontrollzone im | |
Gras. | |
## Die Stimmung ist aufgekratzt, aber zuversichtlich | |
Faisa reicht Kornkracker herum, Mohammad sagt: „Wir lieben Europa. Es ist | |
sehr nett zu uns Syrern.“ Ruhig blicken sie auf die deutschen | |
PolizistInnen, die gerade einen Lkw durchwinken. Faisa und Mohammad wollen | |
nach München. Ihre Schwester lebt dort seit einem Jahr und hat ihnen | |
gesagt: Kommt hierher. München ist gut. Die Sonderzüge fahren ab | |
Freilassing im Zweistundentakt mit jeweils bis zu 500 Geflüchteten in | |
Städte der ganzen Republik. Der rote Regionalzug, der kurz nach 15 Uhr auf | |
Gleis 1 einrollt, soll nach Esslingen in Baden-Württemberg fahren, sagt der | |
Pressesprecher der Bundespolizei dem Journalisten. | |
Die etwa 300 Menschen, die im umzäunten Wartebereich stehen, kennen den | |
Zielort nicht. Familien sammeln vorsorglich den ergatterten Proviant in | |
Plastiktüten: Kekse, Obst und Wasserflaschen, die zwei jugendliche | |
Helferinnen in einer Kiste durch die Menge tragen. Ein Jugendlicher fragt | |
den Polizisten am Gitter auf Englisch, ob er sich am Kiosk noch schnell | |
eine SIM-Karte kaufen könne. Der Polizist schüttelt den Kopf: Es gebe dort | |
keine SIM-Karten zu kaufen. | |
Die Stimmung ist aufgekratzt, aber zuversichtlich. Bernadette und Aristide, | |
37 und 29, sind ExotInnen unter den meist syrischen Geflüchteten. Sie | |
kommen aus Kamerun, Zentralafrika. Auch sie haben die Balkanroute genommen | |
– diese sei sicherer als übers Mittelmeer gewesen. Nun wollen sie nach | |
Frankreich. Sie wissen nicht, wie sie dort hingelangen. Beunruhigt wirken | |
sie nicht. „Man hat uns hier einen guten Empfang bereitet“, sagt Aristide. | |
„Wir haben große Hoffnung.“ | |
Die Türen des Zugs brauchen etliche Minuten, bis sie sich öffnen. In einer | |
Reihe, immer in 15er Gruppen, schleusen die PolizistInnen die Geflüchteten | |
durch die Sperre auf den Bahnsteig. Eine gefühlte Ewigkeit später fährt der | |
Sonderzug Freilassing-Esslingen mit 400 Geflüchteten an Bord aus dem | |
Bahnhof – einer großen Hoffnung entgegen. | |
20 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Tobias Krone | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Flucht | |
Österreich | |
Grenzkontrollen | |
Flüchtlinge | |
Österreich | |
Zentralafrika | |
Schwerpunkt Flucht | |
Ralf Stegner | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt Flucht | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Flüchtlinge in Lkw in Österreich: 38 Menschen im Kühlanhänger | |
Die Migranten konnten aus dem Lastwagen fliehen. Sie berichten von | |
Todesangst und Sauerstoffmangel. | |
Wahl in Zentralafrika: In diesem Land ist nichts normal | |
Längst hat der Staat aufgehört zu existieren. Dennoch werden in | |
Zentralafrika bald ein Präsident und ein Parlament gewählt. | |
Großdemo für Asylsuchende in Wien: Stimmen für Geflüchtete | |
Österreichs Hauptstadt setzt ein Signal gegen Fremdenfeindlichkeit – mit | |
einer Demonstration und einem Benefizkonzert. | |
Asylverfahren und Thomas de Maizière: Beschleunigen oder abtreten | |
Die Polizei hat massive Probleme bei der Erfassung von Flüchtlingsdaten. | |
Ralf Stegner (SPD) fordert den Rücktritt von Bundesinnenminister Thomas de | |
Maizière. | |
Bootsunglück vor türkischer Küste: Fähre rammt Flüchtlingsboot | |
Vor der türkischen Küste stößt eine Fähre mit einem Schlauchboot zusammen. | |
Mindestens 13 Flüchtlinge sind ertrunken, 13 weitere werden noch vermisst. | |
NGO über Flüchtlinge in Slowenien: „Unnötiges Leid, unnötige Ängste“ | |
Slowenien macht es sich zu leicht, wenn es Flüchtlinge nur als | |
Durchreisende betrachtet. Die Soziologin Veronika Bajt vermisst eine breite | |
politische Debatte. | |
Flüchtlinge erreichen Österreich: 6000 im Laufe des Tages | |
Ungarn hat seine Grenze zu Serbien dichtgemacht. Die Geflüchteten nehmen | |
jetzt den Umweg über Kroatien und kommen in Österreich an. |