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# taz.de -- Was deutsche Leitmedien wissen: Hier muss was Schönes stehen
> An Weihnachten wollen wir endlich Urlaub vom Elend. Also drucken die
> Medien Schlagzeilen wie: „Muslime retten Christen das Leben“. Muss das
> sein?
Bild: Hach, Weihnachten. Und plötzlich haben sich alle lieb.
Eine Nachricht ist eine Nachricht, wenn sie neu ist. Oder wenn sie
überrascht. Wenn sie die Erwartungen der LeserInnen an die Welt um sie
herum gehörig ins Wanken bringt. „Dezember wird kalt und nass“, ist deshalb
keine Nachricht, denn das kennen wir ja schon. „Til Schweiger nutzt
Flüchtlinge fürs Self-Marketing“ ist auch keine, denn das erwarten wir.
Was sagt uns also, dass [1][welt.de] und [2][Spiegel Online] am Dienstag
unisono titelten: „Muslime retten Christen das Leben“? Warum ist das eine
Nachricht? Weil wir anderes erwarten? Offenbar.
Zum Hintergrund: In Kenia haben Terroristen der Terrormiliz al-Schabaab,
die al-Qaida nahesteht, einen Bus angegriffen, der auf dem Weg von der
Hauptstadt Nairobi in den Nordosten des Landes war.
Wie die Lokalzeitung [3][Daily Nation] berichtet, forderten die Angreifer
die Muslime im Bus auf, alle christlichen Passagiere zu identifizieren. Bis
hierhin schon grausig genug für eine Nachricht, zum Aufhänger aber wurde,
was dann passiert ist: Die Insassen nämlich schwiegen sich aus, gaben
niemanden preis, woraufhin sich die Terroristen wieder verzogen.
## Ein Akt der Solidarität? Außer Frage
Dass das ein beispielhafter Akt von Solidarität und Zivilcourage ist, steht
außer Frage. Dass hier die Widerspenstigkeit der einfachen Leute über eine
paramilitärische Terrororganisation siegt, ist inspirierend. Dass deutsche
Leitmedien daraus die Nachricht „Muslime retten Christen“ stricken, zeigt
hingegen, was hierzulande von Muslimen erwartet wird. Und was nicht.
Zugegeben, es war kein gutes Jahr für das Image des Islam. Selbst wenn Boko
Haram keine Schulen zerstört hätten, der Iran nicht immer mehr Exekutionen
vornehmen würde und Saudi-Arabien es irgendwie geschafft hätte, Frauen das
Autofahren zu gestatten: Die Anschläge in Paris am 13. November waren
Anlass genug, um das Misstrauen gegen Muslime, das in westlichen
Gesellschaften ohnehin immer latent existiert, in den öffentlichen Diskurs
zu heben.
Muslime überall in Europa sahen sich nach Paris genötigt, klarzustellen,
dass das nicht ihr Islam sei. Warum denn eigentlich? Weil sie wissen, dass
die Ereignisse auf sie zurückfallen werden. Weil die Neigung vieler, von
einzelnen GewalttäterInnen auf alle Muslime zu abstrahieren, nur allzu groß
ist. Weil der Islam, komme, was wolle, unterm Strich immer schlecht
abschneidet. Und jetzt, wo nur wenige Tage von 2015 übrig sind und der
Islam wie gewohnt einer negativen Jahresbilanz entgegensteuert, passiert
es: das Wunder von Kenia.
Muslime retten Christen das Leben.
Das ist so weihnachtlich, dass man weinen möchte. Und damit passt es genau
in die Zeit des Jahres, in der wir einfach genug haben von all den
schlechten Nachrichten, von den Toten, der Armut, den Schweinereien in der
Politik.
## Friedlich, unterhaltsam, pragmatisch
Wir wollen Urlaub vom Elend, wollen in der Zeitung und im Netz lesen, dass
es einen Ausweg gibt aus den Kriegen, wollen auf Besseres hoffen, das Gute
im Menschen sehen. Tragt in die Welt nun ein Licht.
Die Medien bedienen das nur zu gern. Haben zum Jahresende selber keine Lust
mehr auf die Kalamitäten, die sie täglich verwalten. Und sind letztlich
auch von ganz pragmatischen Überlegungen geleitet. Denn an Weihnachten
klickt sich am besten das, was friedliche Unterhaltung verspricht, und
nicht das, was schlechte Laune macht.
Da dürfen dann auch Muslime mal gute Menschen sein. Die Story macht sich
perfekt unterm Weihnachtsbaum, zeigt sie doch, wie sich die Gräben zwischen
den Religionen schließen, wenn es ums nackte Überleben geht.
Pardon, aber was wissen wir eigentlich? Vielleicht waren die Fahrgäste im
Bus einfach klug genug, daran zu denken, dass Verrat auch nach hinten
losgehen kann. Dass zu rufen „Der da ist Christ!“ das Risiko mit sich
bringt, dass „der da“ eben zurückdenunziert.
Aber egal, es ist Weihnachten und wir wollen gute Nachrichten lesen. Und
wir wollen, dass alle Menschen – sogar die Muslime – jetzt mal gute
Menschen sind. Dann können wir auch im Neuen Jahr wieder an ihnen
rumnörgeln.
22 Dec 2015
## LINKS
[1] http://www.welt.de/politik/ausland/article150230779/Terror-in-Kenia-Muslime…
[2] http://www.spiegel.de/politik/ausland/kenia-muslime-retten-christen-bei-ter…
[3] http://www.nation.co.ke/counties/Mandera-bus-driver-narrates-Shabaab-attack…
## AUTOREN
Peter Weissenburger
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