# taz.de -- Rat zu Feiern im Familienkreis: Wie die Festtage friedlich werden | |
> Der Braten ist angeschnitten, der Stiefvater erzählt von seiner | |
> Pegida-Demo. Ratschläge, wie man die Feiertage ohne Eskalationen | |
> übersteht. | |
Bild: Er könnte die Familienfeier vielleicht auflockern: Santa | |
Es ist dunkel geworden. Die Lichter am Weihnachtsbaum spiegeln sich im | |
Wohnzimmerfenster, im Kamin knarzt und knistert ein Feuer, die Kinder bauen | |
in der Ecke die Krippe auf, irgendjemand knackt Nüsse. Aus der Küche dringt | |
das Tschopp-Tschopp-Tschopp vom Zwiebelschneiden und aus den Lautsprechern | |
des Plattenspielers trällert eine Knabenstimme „Bereite dich, Zion, mit | |
zärtlichen Trieben“. Maximal festlich halt. | |
„Diese Flüchtlinge, das sind doch alles kriminelle Banden“, sagt auf einmal | |
einer. „Es kommen nur junge Männer, die vergewaltigen hier die Frauen und | |
stecken die Notunterkünfte doch selbst in Brand.“ Darauf eine andere: „Und | |
mir kannst du doch nichts erzählen: Die Politiker sagen den | |
Chefredakteuren, welche Linie im Blatt stehen soll. Öffentlich-rechtliche | |
Nachrichten schaue ich schon lange nicht mehr, alles gleichgeschaltet. Ich | |
informiere mich nur noch online über die Nachdenkseiten: ‚Für jene, die am | |
Mainstream der öffentlichen Meinungsmacher zweifeln’ – eben.“ | |
Halleluja, und den Menschen ein Wohlgefallen. | |
Es geht ein Riss durch viele Familien in unserem Land. In diesem | |
hochpolitischen Jahr ist es fast unmöglich, dass selbst in selbstdeklariert | |
unpolitischen Familien nicht über Politik gesprochen wird, wenn alle mal | |
wieder zusammenkommen, wie in diesen Tagen. Im Extremfall fühlt es sich an, | |
als hätten Vater, Mutter, Schwester, Onkel oder Oma den | |
Gesellschaftsvertrag gekündigt. Eine Situation hart an der Grenze von „Mit | |
diesen Menschen kann ich nicht an einem Tisch sitzen“. | |
Aber was tun, wenn man genau diesen Super-GAU vermeiden will? Vor allem, | |
wenn man weiß, dass eine nüchterne, faktenbasierte Argumentation total für | |
die Katz ist? Wie lässt sich dieses Miteinander gestalten, ohne die eigenen | |
Überzeugungen zu verraten? Und wenn es nur für die drei, vier Stunden an | |
Heiligabend ist? | |
Wir haben uns Rat geholt: von der Diplompädagogin Christine Schachtsiek, | |
die in der offiziellen Berliner Leitstelle für Sektenfragen berät und sich | |
mit hermetischen Weltbildern auskennt, und von Björn Enno Hermans, dem | |
Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung | |
und Familientherapie, DGSF. | |
Die Kerzen brennen schon. Gleich geht es los. Wie stimme ich mich ein? | |
„Man muss sich vorher überlegen: Wen will ich erreichen – und was?”, sagt | |
die Sektenexpertin Christine Schachtsiek. „Was sind meine Prioritäten? Wann | |
ist für mich das Treffen gut gelaufen?” Vor allem dürfe man eine | |
allgemeingültige Wahrheit nicht vergessen, so Familientherapeut Hermans: | |
„Blut ist dicker als Wasser: Dieser Kerngedanke hilft, Situationen zu | |
ordnen. Es gibt Bindungskräfte innerhalb einer Familie, bestimmte Dinge | |
auszuhalten, ohne sie gutzuheißen.” | |
Ich kenne meine Pappenheimer – und ahne, wer welche Position vertritt. Wie | |
wäge ich meine Reaktionen ab? | |
Am besten, man legt sich eine Skala zurecht, um mit bestimmten Äußerungen | |
umzugehen: von 1 wie „Hier rein, da raus“ bis 10 wie „Ich eskaliere | |
gleich“. Hermans rät, sich folgende Fragen zu stellen: „Was kann ich im | |
Rahmen der Meinungsfreiheit so stehen lassen, auch wenn es nicht meiner | |
Meinung entspricht? Was kann ich akzeptieren als Teil einer Bandbreite an | |
Meinungen? Und wann ist es Quatsch, darüber zu streiten, was wahr ist und | |
was nicht?” | |
Hole ich mir vorab Verbündete? | |
Solange keiner beim Essen rausplatze mit einer Offensive wie: „Wir haben | |
übrigens vorhin in der Küche beschlossen, dass wir über X und Y nicht | |
reden“, könne man sich zumindest darauf verständigen, gemeinsam darum zu | |
bitten, bestimmte Themen nicht weiter zu verfolgen, so Schachtsiek. | |
Oha. Der Braten ist angeschnitten, der Stiefvater erzählt von der letzten | |
Pegida-Demo. Auf meiner Skala von 1 bis 10 ist gerade mit einem Satz die | |
Marke zur 14 überschritten worden. Und nu? | |
„Dann sollte man klar sagen: ‚Ich möchte das nicht hören, an diesem Punkt | |
ist für mich eine Schwelle überschritten‘ “, sagt Familientherapeut | |
Hermans. „Ich bitte darum, die Diskussion zu beenden – oder ich verlasse | |
die Unterhaltung.“ In einem solchen Fall kann man sich auch räumlich | |
distanzieren.” | |
Abhauen? Gerade keine Option. Was wäre Plan B? | |
Als inneres Mantra rät Christine Schachtsiek: „Ich kann mich heute hier | |
entspannen, ich muss unterm Tannenbaum nicht die Welt retten.“ Sie schlägt | |
vor, in eine Rolle zu schlüpfen: „Man kann auch eine ethnologische | |
Perspektive einnehmen“, also aus aufrichtiger Neugier nachfragen. | |
Schließlich seien diese Themen nicht rational, sondern hoch emotional | |
besetzt. | |
Na gut. Welche Fragen taugen, um solche Gespräche anzukurbeln? | |
„Was sind deine Ängste?“, „Was fühlst du?“, „Warum interessiert dic… | |
so?“, „Wenn alles so eintritt, wie du es dir wünschst: Haben wir dann noch | |
etwas gemeinsam?“ Voraussetzung dafür sei, dass man nicht gewinnen, keinen | |
überzeugen wollen dürfe. | |
Und dann am besten hinterherschieben: Wie war das eigentlich damals, als | |
Opa und Oma aus Ostpreußen flohen? | |
Ganz schön subtil! Eine solche Ebene könne nur fruchtbar sein, wenn das | |
Thema „Flucht in der eigenen Familie“ nicht funktionalisiert und politisch | |
aufgeladen wird, so Schachtsiek: „Durchs Hintertürchen klappt so etwas | |
nicht.“ | |
Also soll ich doch besser einfach meine Klappe halten? | |
Das hängt nicht nur von der eigenen Fähigkeit zum Stoizismus ab, sondern | |
auch davon, wer alles im Raum ist, wie viele Personen der Unterhaltung | |
beiwohnen. Gerade wenn Dritte anwesend sind, die empfänglich sind für | |
Verschwörungstheorien oder rechtsextreme Positionen, sollte man definitiv | |
reagieren und klar Position beziehen, rät Christine Schachtsiek: „Und zwar | |
weniger, um denjenigen zu erreichen, der diese Dinge sagt, als die | |
Zuhörer.” Ansonsten sollte man laut Hermans bedenken: „Der Ansatz ‚Ball | |
flachhalten‘ hilft vielleicht für den Moment, aber nicht als langfristiger | |
Umgang mit Onkel Franz, der rechtsextreme Positionen vertritt.“ | |
Ja, ja, wir feiern das Fest der Liebe – aber das Problem bleibt ja. Wie | |
gehe ich mit diesen Familienmitgliedern ab 1. Januar um? | |
„Wenn man das Bedürfnis hat, sollte man einmal klaren Tisch machen, alle | |
Argumente auf den Tisch packen“, sagt Sektenspezialistin Christine | |
Schachtsiek, „aber eben vielleicht wirklich nicht an Weihnachten.“ Vielmehr | |
kann diese Erkenntnis Anlass sein, ganz grundsätzlich über das Verhältnis | |
miteinander nachzudenken: „Ich könnte mir überlegen, welcher Teil der | |
Beziehung mir wichtig ist“, sagt Familientherapeut Hermans. „Etwa indem man | |
ein inneres Tortendiagramm aufmacht: Gibt es Widersprüche? Kann diese | |
Person in anderen Situationen liebevoll und zugewandt agieren?“ | |
Aber egal ob an Weihnachten oder bei der Goldenen Hochzeit, es läuft doch | |
eh alles wie immer: Mein Bruder sagt dies, meine Mutter wirft ihm einen | |
Blick zu, Opa verlässt türeknallend das Haus, dann betrinken sich alle. | |
„Was man kontrollieren kann, ist begrenzt“, betont Familientherapeut Björn | |
Enno Hermans. „Wir sind Gott sei Dank komplexe menschliche Wesen.“ Aber | |
diese Rituale aus dem Effeff zu kennen, hat in solchen brisanten | |
Situationen durchaus Vorteile: Man kann die Strategie wechseln. Oder wie es | |
Christine Schachtsiek formuliert: „Ich kann meine Mitmenschen nicht | |
beeinflussen – aber mein eigenes Verhalten ändern, um so Muster zu ändern.�… | |
Etwa: „Ich kann mir vornehmen, mich bewusst anders zu verhalten als sonst, | |
um diese tradierten Strukturen aufzubrechen.“ | |
Super. Jetzt habe ich den rosa Elefanten im Raum thematisiert, gesagt, dass | |
es einen Konflikt gibt – und ich bin die Böse. | |
„Dann haben einen nicht alle lieb“, sagt Schachtsiek nüchtern. „Aber das | |
muss man dann aushalten.” | |
Na dann: „Jauchzet, frohlocket!“ | |
23 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Anne Haeming | |
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