# taz.de -- Debatte Attentat auf Henriette Reker: Nennt es endlich Terror | |
> Der Attentäter Frank S. ist kein „Irrer“, er ist ein Rassist. Und genau | |
> so muss seine Tat eingeordnet werden. Darin zögerlich zu sein, ist | |
> gefährlich. | |
Bild: Es war keine Kurzschlussreaktion: Frank S. soll die Tat vorher geübt hab… | |
Als Arid Uka im März 2011 am Flughafen Frankfurt am Main mit einer Pistole | |
auf eine Gruppe von US-Soldaten zugeht und zwei von ihnen erschießt, ist | |
die Bewertung eindeutig. Die Tat des jungen Mannes, der sich durch | |
Dchihad-Videos radikalisiert hatte, sei ein islamistischer | |
„Terroranschlag“, sagte der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter | |
Friedrich (CSU). Dieser sei „aufs Schärfste“ zu verurteilen. | |
[1][Wenige Tage ist es her, da attackierte der 44-jährige Frank S. die | |
Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker]; er rammte ihr ein | |
Messer in den Hals. Auch jetzt ist die politische Bestürzung groß. Nur: Von | |
Terror ist bisher keine Rede. | |
Dabei überlebte Reker offenbar nur mit Glück. Frank S. soll „mit voller | |
Wucht“ zugestochen haben, das Messer traf die Luftröhre der Politikerin. | |
Diesmal aber ist der Täter ein Neonazi. Ist das der Grund für die | |
verdruckste Bewertung? | |
Für die anfangs vertretene These, es handle sich um einen „Irren“, spricht | |
jedenfalls nichts. Ein Psychiater attestierte Frank S. volle | |
Schuldfähigkeit. Seine Attacke begründete dieser mit der derzeitigen | |
Flüchtlingspolitik, und er wählte gezielt diejenige, die in seiner Stadt | |
Köln dafür zuständig war: Reker. | |
## Tatkräftiger Terror gegen Einwanderung | |
Eine spontane Kurzschlusstat? Auch das nicht. Vor der Attacke soll S. | |
Festplatten seines Computers und Dokumente entsorgt haben, um Spuren zu | |
tilgen. Auch soll er die Tat im Vorfeld geübt haben. Und der Attentäter | |
bewegte sich in den Neunzigern in den Reihen der damals radikalsten | |
Neonazigruppen, der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) und | |
Nationalistischen Front. Die horteten Waffen, propagierten „Rassenmischung | |
ist Völkermord“, Mitglieder attackierten Flüchtlingsheime. | |
Frank S. wusste also, was er tat. Man darf es auch so benennen: Es war eine | |
Terrortat. | |
In der rechtsextremen Szene wird seit Mitte der 90er Jahre, der FAP-Zeit | |
von S., das Terrorkonzept des „führerlosen Widerstands“ verbreitet. Statt | |
straffer Organisationen brauche es nur kleine Zellen oder Einzeltäter, um | |
den verhassten Staat zu bekämpfen. Schon 1996 beschwor das militante | |
Neonazi-Netzwerk „Blood & Honour“ Terror gegen Einwanderung: Es gelte, sich | |
auf „den größten aller Kriege, den Rassenkrieg“, vorzubereiten. | |
Zwei Jahre später ging der NSU in den Untergrund. Auch er radikalisierte | |
sich in einer Kleingruppe, blieb so jahrelang unerkannt – und tötete zehn | |
Menschen. Daneben gab es die Einzeltäter, die offen zur Tat schritten. | |
Der Berliner Neonazi Kay Diesner schoss 1997 mit einer Pumpgun einen linken | |
Buchhändler nieder und tötete auf seiner Flucht einen Polizisten. Der | |
rechtsradikale Michael Berger ermordete 2000 in Dortmund drei Beamte mit | |
Kopfschüssen. Die Bereitschaft zu äußerster Gewalt hat die rechtsextreme | |
Szene bis heute nicht abgelegt. Und wieder redet die Szene von einem | |
nahenden „Bürgerkrieg“, vom Kampf gegen „Überfremdung“, von „Notweh… | |
„deutsche Volk“. | |
## Digitale Daueranstachelung zum Hass | |
Die Propaganda verbreitet sich dabei längst nicht mehr nur über | |
Kameradschaften, sondern so, wie es bisher nur Islamisten zugeschrieben | |
wird: per Selbstradikalisierung im Internet. Dort putschen sich | |
Rechtsextremisten derzeit mit Berichten über vermeintliche Migrantengewalt | |
und einreisende Islamisten auf, verbreiten IS-Gräuelbilder und Videos mit | |
Aufrufen wie „Abendland erwache! Die Zeit ist reif!“. Es ist eine | |
Daueranstachelung zum Hass. | |
Dass mit Frank S. ein Rechtsextremist nun wieder eine Terrortat umsetzte, | |
ist auch dem Umstand geschuldet, dass die Sprache der Gewalt inzwischen | |
auch über die rechtsextreme Szene hinaus Akzeptanz findet – transportiert | |
über Pegida oder die AfD. | |
Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke wetterte jüngst auf einer | |
Parteikundgebung in Erfurt, die Politik der „unkontrollierten | |
Masseneinwanderung“ ziele auf eine „Auflösung Deutschlands“. Es gehe jet… | |
um „die Zukunft unserer Kinder“. Pegida-Mitbegründer Lutz Bachmann nannte | |
Flüchtlinge „Invasoren“. Seine Mitstreiterin Tatjana Festerling befand, | |
„wir befinden uns bereits im Krieg“. Es ist die Sprache der Neonazis. Und | |
Tausende Zuhörer klatschten. | |
Der Aufruf zum Aufstand, er findet Gehör. Bezeichnenderweise rief der | |
Kölner Attentäter Frank S. laut Augenzeugen bei seiner Tat: „Ich tue es für | |
eure Kinder.“ Der Angriff erinnerte, wenn auch nicht in der schrecklichen | |
Dimension, an den des norwegischen Rechtsextremen Anders Breivik. Auch er | |
wählte 2011 für seinen 77-fachen Massenmord ein politisches Ziel, mit ganz | |
ähnlicher Begründung: die Jugendorganisation der Sozialdemokraten. In | |
seinem Manifest macht er diese verantwortlich für den „Multikulturalismus“, | |
die „Auslöschung der westeuropäischen Rasse“. | |
Auch das Kölner Attentat auf Henriette Reker wurde in der militanten | |
rechtsextremen Szene entsprechend kommentiert. Die Tat sei „ziviler | |
Ungehorsam“. Man werde von „Kanacken in den grundlegenden Lebensinteressen | |
bedroht“, schrieb einer. „Welchen Grund gibt es da noch, nicht zur Waffe zu | |
greifen?“ | |
## Pegida als Brandbeschleuniger | |
Politiker gehören hier seit Jahren zum festen Feindbild. Die Szene stellt | |
Drohlisten mit missliebigen Parlamentariern ins Internet, ein Neonazi warf | |
jüngst im Namen einer „Deutschen Widerstandsbewegung“ Brandsätze auf den | |
Bundestag oder die CDU-Zentrale. Und auch hier vergrößert Pegida den Hass: | |
Die Politikerschmähung als „Volksverräter“ ist dort Standardparole. Sie | |
erschallte auch nach dem Köln-Attentat ungerührt weiter. | |
Weite Teile der Politik haben der Eskalation lange zugesehen, von | |
„berechtigen Sorgen“ der Pegida-Teilnehmer und AfD-Anhänger gesprochen, | |
auch mit Rücksicht auf Sorgenträger in der eigenen Wählerschaft. Es ist | |
dieser Geist, der nun das Zögern begründet, von rechtsextremem Terror zu | |
sprechen. | |
Nur gibt es kein Innehalten der Rassisten, auch nach Köln nicht. Zwei Tage | |
nach dem Attentat wurde in Bernau dem Bürgermeister mit einem Graffito | |
gedroht: „Erst Henriette Reker, dann André Stahl.“ Es führt kein Weg daran | |
vorbei, rechtsextreme Gewalt klar als das zu benennen, was sie ist – und | |
die Bedingungen, die sie befördern. Wie es derzeit aussieht, muss der | |
Terror von Köln nicht die letzte Tat gewesen sein. | |
22 Oct 2015 | |
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[1] /Anschlag-auf-Koelns-OB-Kandidatin-Reker/!5243925 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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