# taz.de -- Wildwuchs bei Krankenhaus-Hygiene: Der Keim-Skandal und seine Folgen | |
> Im November 2011 sorgte der Tod dreier Babys im Bremer Klinikum | |
> Bremen-Mitte für Aufsehen: Schuld waren nicht behandelbare Keime. Was hat | |
> sich seither geändert? | |
Bild: Umkämpfte Körper: Frühchen im Klinikum Bremen-Mitte, Anfang 2012 | |
BREMEN taz | Alexandra F.* zögerte nicht lange. Als ihre Schwangerschaft | |
ungewohnte Beschwerden bereitete, ließ sie sich ins Krankenhaus einweisen. | |
Weil sie Zwillinge erwartete, kam sie in die Klinik Links der Weser, | |
Bremens einziges Krankenhaus mit einer Neugeborenen-Intensivstation der | |
Kategorie „Level 1“: Dort haben auch Kinder unter 1.000 Gramm eine | |
Überlebenschance. | |
Noch bis Anfang 2012 war Bremen-Mitte für Risikoschwangerschaften | |
zuständig. Das größte kommunale Krankenhaus der Stadt geriet allerdings ab | |
dem 2. November 2011 für Monate in die Schlagzeilen – nachdem dort drei | |
Frühgeborene an einer Infektion mit multiresistenten Keimen gestorben | |
waren. Heute wird in den Kinderabteilungen an Bremens kommunalen | |
Krankenhäusern bei der Aufnahme routinemäßig auf multiresistente Keime | |
getestet und wöchentlich kontrolliert. Wird eine Besiedlung festgestellt, | |
besteht eine gute Chance, das Kind vor allem durch Waschungen zu | |
„sanieren“. | |
## Jedes siebte Kind besiedelt | |
Jutta Dernedde hat, so scheint es, Wort gehalten. Bei ihrem Amtsantritt im | |
März 2012 hatte die Medizinische Geschäftsführerin des kommunalen | |
Klinikverbunds Gesundheit Nord (Geno) versprochen, Konsequenzen aus den | |
desaströsen Hygienemängeln bei der Frühgeborenenversorgung zu ziehen. Das | |
sorgfältige Screening bei den Kindern, das grampositive Keime wie | |
Staphylococcus aureus (MRSA) und die weitaus schwerer zu behandelnden | |
gramnegativen Keime wie Klebsiellen und Escherichia coli umfasst, hat | |
Beunruhigendes zu Tage gefördert: Rund 15 Prozent der Kinder, die mit einem | |
gebrochenen Bein oder einer Mandelentzündung, mit Leukämie oder als | |
Neugeborenes auf eine Kinderstation kommen, sind laut dem | |
Krankenhaushygieniker Martin Eikenberg mit resistenten Keimen besiedelt. | |
Für die Erwachsenenstationen folgt daraus allerdings nichts. „Abstriche vor | |
geplanten Operationen werden nur bei sehr alten Menschen, bei Patienten aus | |
Heimen und aus der Landwirtschaft gemacht“, erklärt Eikenberg, den die Geno | |
nach dem Tod der Frühgeborenen einstellte. Man halte sich strikt an die | |
Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention | |
(KRINKO), versichert er. Dass es kaum zu verstehen ist, warum Kinder | |
gescreent werden und die meisten Erwachsenen nicht, mag er gar nicht | |
bestreiten. Denn falls multiresistente Keime ins Blut gelangen, etwa durch | |
eine Operationswunde, können auch völlig fitte Erwachsene an einer | |
Blutvergiftung sterben, weil die eingesetzten Antibiotika nicht mehr | |
wirken. | |
## Wildwuchs bei Keimprophylaxe | |
Tatsächlich herrscht in Bremens kommunalen Krankenhäusern irrationaler | |
Wildwuchs bei der Keimprophylaxe. Als Nora B.* wegen eines Eingriffs ins | |
Krankenhaus Mitte kam, wurde sie nicht auf Keimbefall getestet, weil sie | |
keiner Risikogruppe angehört. Beim ausführlichen Gespräch vor der Operation | |
fragte niemand nach vorherigen Krankenhausaufenthalten, obwohl PatientInnen | |
danach häufiger mit multiresistenten Keimen besiedelt sind. Erst als Nora | |
B. nachdrücklich um einen Abstrich bat, veranlasste die Case Managerin der | |
Station einen Test. | |
Zwei Wattestäbchen, je ein Abstrich von Nasenschleimhaut und Pofalte, und | |
die Sache war erledigt. Die Operation war für den nächsten Morgen | |
angesetzt. Der Schnelltest liefert den Keimstatus innerhalb einer Stunde | |
und kostet 30 Euro. Nora B. erhielt allerdings den Standardtest zum Preis | |
von zwei Euro, das Ergebnis lag erst nach dem Eingriff vor. | |
Im Krankenhaus Mitte werden erwachsene PatientInnen, die keiner | |
Risikogruppe angehören, nur auf Keime überprüft, bevor sie auf die | |
Intensivstation kommen. Ganz anders im Geno-Krankenhaus Bremen-Ost, | |
zumindest in einer Abteilung: Seit dort kürzlich die Leitung wechselte, | |
wird Keimprophylaxe groß geschrieben. Wer neu auf die Abteilung kommt, wird | |
getestet, auch wenn es eine Überweisung aus einer anderen Geno-Klinik oder | |
aus dem eigenen Haus ist. „Wir sehen auf diese Weise, dass viele | |
PatientInnen mit Keimen zu uns kommen“, erzählt eine Pflegekraft der | |
Abteilung. | |
PatientInnen mit Keimen werden isoliert und saniert, erst dann dürfen | |
ÄrztInnen, Pflegekräfte und Besuch ohne Schutzmaßnahmen in ihr Zimmer. | |
Durchschnittlich ein Zimmer pro Erwachsenenstation ist nach Beobachtung von | |
Krankenhaushygieniker Eikenberg mit einem von multiresistenten Keimen | |
besiedelten Patienten belegt. An der offiziellen Geno-Testpraxis ändert | |
sich deshalb zwar nichts. Aber man arbeite „bei geplanten Operationen gut | |
mit den HausärztInnen zusammen“, versichert Eikenberg. Diese sollen | |
feststellen, ob ein Patient frei von multiresistenten Keimen ist, bevor sie | |
ihn zur Operation überweisen. | |
## Hausärzte ahnungslos | |
„Ich weiß nichts davon, dass ich für die Keimprophylaxe zuständig sein | |
soll“, erklärt indes die Bremer Hausärztin Dagmar Neitz. Auch dem Sprecher | |
der dortigen Kassenärztlichen Vereinigung „sind keine Vereinbarungen oder | |
Arrangements bekannt, wonach einweisende ÄrztInnen vor der Einweisung in | |
die Klinik den Keimstatus prüfen“. | |
Immerhin: Seit einigen Monaten kann Neitz Keimtests nach der Entlassung | |
abrechnen. Im Fall einer Besiedlung bezahlt die Kasse aber nicht die | |
Sanierung. | |
Auch Neitz’ Kollege Burkhard F.* ist überrascht, dass er sich als Hausarzt | |
um die Keimbesiedlung seiner PatientInnen vor einer OP kümmern soll. Er | |
selbst hat bei der Keimprophylaxe eine beunruhigende Erfahrung gemacht: Als | |
seine Frau Alexandra wegen Problemen während ihrer Zwillingsschwangerschaft | |
ins Krankenhaus Links der Weser kam, wurde sie zur Beobachtung in einem | |
Zweibettzimmer untergebracht. Später stellte sich heraus: Die Bettnachbarin | |
war mit resistenten Keimen besiedelt. | |
* Name geändert | |
21 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Gabi Mayr | |
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