# taz.de -- Keime im Krankenhaus: Resistent gegen alles | |
> In den USA starb eine Frau, weil sie sich bei einer Operation infizierte | |
> und kein Antibiotikum wirkte. Ein Einzelfall – oder ein Grund zur Panik? | |
Bild: Pharmaunternehmen forschen bisher kaum, um Alternativen für existierende… | |
Wahrscheinlich dringt der Keim ein, als die Rentnerin auf einem | |
Operationstisch in Indien liegt. Die Amerikanerin lebt schon lange dort. | |
Sie hat sich den rechten Oberschenkel gebrochen – und muss ihn jetzt | |
richten lassen. | |
Die Operation geht gut. Trotzdem folgen in den nächsten zwei Jahren weitere | |
Untersuchungen. Wahrscheinlich weil nach der Entlassung die Wunden nicht | |
richtig abheilen. Das ist oft das erste Anzeichen. Wahrscheinlich bleibt | |
auch der Schmerz. Die Ärzte stellen eine Entzündung des Knochenmarks fest. | |
Die Rentnerin beschließt, in ihre Heimat nach Nevada zurückzukehren. Sofort | |
begibt sie sich ins Krankenhaus. | |
Nach einer Blutprobe wird die Rentnerin isoliert, Pfleger müssen in ihrer | |
Nähe Handschuhe und Atemmaske tragen. Der Grund: eine Infektion mit | |
Klebsiella pneumoniae. Normalerweise werden solche Bakterieninfektionen mit | |
Antibiotika behandelt. Doch dieser Keim ist panresistent. Er ist immun | |
gegen alle 26 in den USA zugelassenen Antibiotika. Die Ärzte können nichts | |
mehr tun. | |
Mittlerweile ist der Keim im Blutkreislauf der Rentnerin. Sie hat eine | |
Blutvergiftung. Ihre Organe versagen. Die Nieren. Die Leber. Die Lunge. | |
Zuletzt das Herz. Sie stirbt im September 2016. Vor einigen Tagen gab das | |
amerikanische Seuchenabwehrzentrum einen Bericht dazu heraus. | |
Auch in Deutschland werden Infektionen mit resistenten Bakterien immer | |
häufiger. Vorsichtig schätzt das Robert-Koch-Institut, dass jedes Jahr | |
Tausende Patienten an den Folgen sterben. Auch an Infektionen mit | |
Klebsiella-Bakterien. Noch ist die Resistenz gegen alle Antibiotika sehr | |
selten. Der Tod der Rentnerin in Nevada ist ein dramatischer Einzelfall. | |
Oder? | |
Klebsiella pneumoniae: Klingt komisch. Was ist das? | |
Die Bakteriengattung Klebsiella, zu der Klebsiella pneumoniae gehört, kommt | |
bei den meisten Menschen vor. Die stäbchenförmigen Bakterien helfen bei der | |
Verdauung, sind also nicht schlimm. Dringen sie aber über eine Verletzung | |
in den Blutkreislauf ein, können sie andere Organe befallen. Vor allem wenn | |
das Immunsystem schwach ist. Das passiert besonders häufig in | |
Krankenhäusern, auf Operationstischen, bei Injektionen oder der | |
Wundversorgung. Deswegen gehören Klebsiella zu den Krankenhauserregern. | |
Kann ich mir einen solchen Erreger einfangen, wenn ich im Krankenhaus bin? | |
Ja. Etwa fünf Prozent der Patienten in deutschen Krankenhäusern tragen | |
einen Krankenhauserreger in sich oder auf der Haut. Dorthin gelangt er | |
durch Hygienemangel. Ärzte und Pflegepersonal übertragen ihn, wenn sie sich | |
nicht gründlich genug die Hände waschen. Oder wenn sie nach der Behandlung | |
eines infektiösen Patienten nicht die Kleidung wechseln. | |
Verursacht einer der Erreger eine Infektion, kann man sie normalerweise | |
noch mit Antibiotika behandeln. Das sind Substanzen, die die Vermehrung von | |
Bakterien verhindern oder die Außenhülle der Bakterien durchlöchern, sodass | |
diese absterben. Das erste Antibiotikum war Penizillin, es wurde vor 90 | |
Jahren entdeckt und wird heute noch eingesetzt. Dabei warnte sein Entdecker | |
Alexander Fleming bereits während seiner Nobelpreisrede vor falschem | |
Gebrauch. Denn dann könne es zu Resistenzen kommen. | |
Können die Erreger in mir auch resistent werden? | |
Grundsätzlich ja. Denn es fängt immer mit einer Mutation an – die Bakterien | |
verändern sich. Zuerst ihre Gene, also das Bakterienerbgut, dann ihr | |
Äußeres. Und diese Mutationen sind zufällig. In den meisten Fällen sind die | |
Nachkommen nicht überlebensfähig. Ganz selten passiert es, dass die | |
zufällig neu zusammengesetzten Gene einen Vorteil bringen. Zum Beispiel | |
ändert sich dann die charakteristische Außenhülle des Bakteriums. An dieser | |
Außenhülle haben Antibiotika zuvor den gefährlichen Erreger erkannt. | |
Nach der Mutation ist er praktisch unsichtbar für die Medikamente. Das | |
Perfide: Die Erreger können den Bauplan für die neue Außenhülle | |
weitergeben. Empfänger müssen nicht mal von derselben Spezies sein. So kann | |
das bekannte Darmbakterium Escherichia coli seine Resistenz auf Klebsiella | |
pneumoniae übertragen – und umgekehrt. Und beide vermehren sich | |
ungehindert. | |
In manchen Gebieten der Welt hat dieser Mechanismus für eine Resistenz | |
gegen das Reserveantibiotikum Colistin gesorgt. Das darf nur im äußersten | |
Notfall eingesetzt werden. Zumindest bei Menschen. | |
Ganz anders in der Tierhaltung. Hier ist es üblich, die ganze Herde zu | |
therapieren, auch wenn nur ein Tier krank ist. Oft mit Colistin. Man ahnte, | |
dass in manchen Tieren resistente Keime entstehen könnten. Aber man ahnte | |
nicht, dass die tierischen Erreger Resistenzen weitergeben könnten. An | |
Erreger, die auch Menschen krank machen. | |
Bei Klebsiella sind bereits zwei Antibiotikaresistenzen bekannt. Einerseits | |
gegen die Familie der Cephalosporine, andererseits gegen Antibiotika vom | |
Typ Carbapeneme – die ebenfalls zu den Reserveantibiotika zählen. Besitzen | |
Bakterien mehrere Resistenzen, ist es schwer, gegen sie vorzugehen. | |
Das klingt schlimm – muss ich Angst haben? | |
Nein. Denn in Deutschland ist die intravenöse Behandlung mit dem | |
Antibiotikum Fosfomycin, ebenfalls einem Notfallantibiotikum, zugelassen. | |
Das hätte auch gegen den Keim der Rentnerin in Nevada geholfen. In Amerika | |
verwendet man jedoch nur Tabletten. | |
„Außerdem liegt die Zahl der Klebsiella mit einer Multiresistenz in | |
Deutschland deutlich unter einem Prozent aller Klebsiella“, sagt Sören | |
Gatermann. Er ist Leiter des Nationalen Zentrums für Krankenhauserreger, zu | |
denen auch die Klebsiella zählen. Diese Art von Erregern ist den Experten | |
schon lange bekannt, und sie wird beobachtet. „Wir kennen die Hotspots – in | |
Indien, wo sich die Rentnerin angesteckt hat, kommen die multiresistenten | |
Keime häufig vor. Aber auch in Griechenland und Italien“, sagt Gatermann. | |
In Indien vor allem, weil dort im Abwasser von Pharmaunternehmen immer | |
wieder Antibiotika nachgewiesen wurden. Hier entstehen die gefährlichen | |
multiresistenten Erreger; nur angepasste Bakterien überleben. „Deswegen | |
trägt jeder zehnte Inder einen solchen Erreger in sich“, sagt Gatermann. | |
In Italien und Griechenland würden hingegen zu oft und falsch Antibiotika | |
verschrieben. Griechen nehmen mehr als doppelt so häufig wie Deutsche | |
Antibiotika. Halten sie sich nicht an die richtige Dosierung, kommt es zu | |
Resistenzen. | |
Muss ich Antibiotika bis zum Packungsende nehmen? | |
Das ist nicht so einfach zu beantworten. Tatsächlich kann es schaden, wenn | |
Antibiotika zu lange, aber auch, wenn sie zu kurz geschluckt werden. Es | |
gilt: So lange wie nötig, so kurz wie möglich. „Das Wissen um die richtige | |
Anwendung von Antibiotika sollte verbessert werden“, sagt Sören Gatermann – | |
„auch unter Ärzten.“ | |
Die Therapie mancher Lungenentzündung könne stoppen, sobald die Symptome | |
verschwunden seien. Aber manche Blutvergiftung müsse über Wochen behandelt | |
werden. Vieles wurde erst in den vergangenen Jahren erforscht. | |
Gibt es neue Antibiotika? | |
Wenige. Obwohl die Weltgesundheitsorganisation, die Vereinten Nationen und | |
die Europäische Seuchenschutzbehörde immer wieder auf die vermehrten | |
Resistenzen hinweisen, gibt es kaum Bewegung. | |
Antibiotika stellen für Pharmaunternehmen ein finanzielles Risiko dar. Sie | |
werden nur im Notfall und dann für kurze Zeit verschrieben. „Es gibt die | |
Idee, Antibiotikaforschung zu subventionieren“, sagt Christine Geffers, | |
stellvertretende Leiterin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin an | |
der Berliner Charité. „Aber von einer Umsetzung ist man noch entfernt.“ | |
In Deutschland gibt es drei Reserveantibiotika, die in den allermeisten | |
Fällen helfen. Das geht gut, solange Fälle wie in Nevada das bleiben, was | |
sie bisher sind: Einzelfälle. | |
22 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Johannes Giesler | |
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