# taz.de -- „Landesverrat“-Affäre um Harald Range: Maaßen, der Strippenzi… | |
> Die „Landesverrat“-Affäre ist ein klassisches Schurkenstück. Im | |
> Mittelpunkt steht Harald Range. Der wahre Schurke bleibt diskret im | |
> Hintergrund. | |
Bild: Unauffällig: Verfassungsschutzchef Maaßen. | |
In der Juli-August-Hitze erwartet das Publikum das landesübliche mediale | |
Polittheater im Sommerloch. Aber das Publikum wurde enttäuscht. Geboten | |
wird stattdessen ein Schurkenstück, also alles andere als eine seichte | |
Farce. Im Mittelpunkt des Stücks steht der Generalbundesanwalt Harald | |
Range. Und wie in jedem Schurkenstück bleibt der wirkliche Schurke diskret | |
im Hintergrund: an der Kölner Merianstraße, im Bundesamt für | |
Verfassungsschutz (BfV), während der Generalbundesanwalt in Karlsruhe bis | |
zum Dienstagabend noch hilflos im Netz des Schurken zappelte, aber dann vom | |
Bundesjustizminister Heiko Maas im letzten Akt mit einem Schlag befreit und | |
in den Ruhestand geschickt wurde. | |
Der zweitletzte Akt im Schurkenstück hatte durchaus Sommertheaterniveau: | |
Der politische Beamte Harald Range trat am Dienstagmorgen vor die Presse, | |
um seinen Vorgesetzten – Justizminister Maas – brutalstmöglich zu | |
attackieren. Wörtlich: „Auf Ermittlungen Einfluss zu nehmen, weil deren | |
mögliches Ergebnis politisch nicht opportun erscheint, ist ein | |
unerträglicher Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz.“ Einen so groben | |
Brocken von einem weisungsgebundenen Staatsanwalt kann kein Justizminister | |
schlucken – schon gar nicht, wenn jener vom Generalbundesanwalt serviert | |
wird. So viel weiß jeder „Tatort“-Zuschauer. Justizminister in der | |
Bundesrepublik machen von ihrem Weisungsrecht, wenn überhaupt, sehr | |
vorsichtig Gebrauch – außer in den rechtsstaatlichen Entwicklungsländern | |
Bayern und Sachsen. | |
Der Generalbundesanwalt dürfte sich zu seinem Harakiriauftritt entschlossen | |
haben, weil er sich vom Schurken im Hintergrund in eine Sackgasse getrieben | |
sah. Das BfV unter seinem Präsidenten Hans-Georg Maaßen lockte die | |
Bundesanwaltschaft im Frühjahr auf eine rechtliche Leim- und Schleimspur: | |
Zwei Veröffentlichungen im Blog netzpolitik.org sollten nach Maaßen den | |
Tatbestand des Landesverrats beziehungsweise des Verrats von | |
Staatsgeheimnissen erfüllen. Ein Hausjurist des Verfassungsschutzes | |
lieferte dazu auf zehn Seiten ein Rechtsgutachten. Das BfV stellte | |
Strafanzeige, die sich gegen unbekannt richtete, aber auch zwei Redakteure | |
von netzpolitik.org namentlich erwähnte. | |
Als der Fall öffentlich geworden war, besaßen die Verfassungsschützer die | |
Dreistigkeit zu bestreiten, dass sie in ihrer Strafanzeige und in ihrer | |
Aufforderung an den Bundesanwalt, Ermittlungen einzuleiten, Namen genannt | |
hatten. Es nicht gewesen zu sein, ist nachträglich immer der Part des | |
Schurken im Stück. | |
## Kumpanei mit Rechtsextremen | |
Den Kern des Problems bilden nicht Verfahrensfragen oder juristische | |
Nickeligkeiten. Das Problem ist der Verfassungsschutz und sein | |
Selbstverständnis. Brauchen wir einen Verfassungsschutz, der auf die vom | |
Obrigkeitsstaat erfundenen Straftatbestände („Landesverrat“, | |
„Staatsgeheimnis“) zurückgreift – die unter demokratisch-rechtsstaatlich… | |
Verhältnissen längst obsolet geworden sind? Von Spezialfällen abgesehen | |
(Verrat von Dienstgeheimnissen, Verrat militärischer Geheimnisse und | |
Spionage), sind die Begriffe Landesverrat und Staatsgeheimnis bestenfalls | |
Anachronismen, mit denen nicht die Verfassung, also die Grundrechte der | |
Bürgerinnen und Bürger, geschützt werden, sondern die | |
Verfassungsschutzbehörden von Kritik und Kontrolle durch Politik, Parlament | |
und Presse abgeschottet werden. | |
Der Präsident des Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen, der das | |
Schurkenstück inszeniert hat, beklagte sich vor einigen Monaten, seine | |
Behörde werde von der Presse „sturmreif“ geschossen, weil diese das | |
offenkundige und vollständige Versagen des Verfassungsschutzes bei der | |
Verhinderung und Aufklärung der NSU-Morde anprangerte und die | |
Zusammenarbeit der Behörde mit V-Leuten kritisierte. Maaßens Klage ist ein | |
Relikt aus den Zeiten des monarchischen Obrigkeitsstaates, als | |
Sozialdemokraten wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ angeklagt wurden, weil | |
sie mit der Forderung nach einem „freien Volksstaat“ – ein Tarnwort für | |
Republik – die Monarchie „sturmreif“ geschossen hätten. | |
Maaßen holte zum Gegenschlag gegen die Presse aus wie Adenauer 1962 gegen | |
den Spiegel („ein Abgrund von Landesverrat“). Wie ein Echo darauf hört sich | |
auch der biedere Satz in Ranges Attacke auf den Justizminister an: „Presse- | |
und Meinungsfreiheit“ entbinden „Journalisten nicht von der Einhaltung der | |
Gesetze“. Das hat sich herumgesprochen, auch ganz ohne Nachhilfe durch den | |
obersten Ankläger. Aber es geht nicht um Gesetzestreue, sondern um das | |
ramponierte Image des Verfassungsschutzes. | |
Der befindet sich seit den NSU-Morden in einer tiefen Legitimationskrise. | |
Sein Ansehen sank in dem Maße, wie im NSU-Prozess und diversen | |
parlamentarischen Untersuchungsausschüssen deutlich wurde, dass die | |
V-Leute-Praxis der Verfassungsschutzbehörden im Bund und in den Ländern bis | |
hart an die Grenze zu Kumpanei und Komplizenschaft mit der Rechten | |
heranreicht: „Der Verfassungsschutz half, Verfassungsfeinde aufzubauen, | |
anstatt die Verfassung zu schützen“, meint die Bundestagsvizepräsidentin | |
Petra Pau. | |
## Ein Fall für die interne Kontrolle | |
Schwer angeschlagen ist das Selbstverständnis der Staatsschützer auch, seit | |
Edward Snowden und seine Helfer die Öffentlichkeit mit handfesten | |
Informationen über die Machenschaften der Geheimdienste, die | |
Abhörpraktiken, Bräuche und Zustände unter den Regierenden versorgen. | |
Angesichts der miesen Stimmung und Verunsicherung im BfV sowie dessen | |
enormer Imageprobleme packte Hans-Georg Maaßen den Stier bei den Hörnern | |
und ermunterte die Bundesanwaltschaft forsch, wegen einer Lappalie gegen | |
das Portal netzpolitik.org und gegen unbekannt wegen des Verrats von | |
Staatsgeheimnissen zu ermitteln. | |
Die Blogger hatten den Haushaltsplan der Kölner Behörde für 2013 | |
veröffentlicht sowie ein Papier über die Einrichtung und Finanzierung eines | |
Referats zur Unterstützung der Internetüberwachung. Beide | |
Veröffentlichungen sind presserechtlich gedeckt, aber im Kölner Amt ärgerte | |
man sich über das Loch im eigenen Laden, durch das die Papiere an die | |
Öffentlichkeit kamen. Das ist ein Fall für die interne Kontrolle und im | |
Erfolgsfall für ein Dienstaufsichtsverfahren, aber nicht für ein | |
Strafverfahren gegen Journalisten, das auf Abschreckung baut. | |
Zu welchen Kapriolen und juristischen Verrenkungen die konservative Presse | |
in der Lage ist, wenn es um „Staatsgeheimnisse“ geht, bewies der Jurist | |
Reinhard Müller in der FAZ vom 4. August. Als schützenswerte | |
„Staatsgeheimnisse“ stellte er „Taktiken gegen Terroristen, Erkenntnisse | |
über Extremisten und sensible Daten über zu schützende Personen“ auf eine | |
Stufe mit „Plänen für Asylbewerberheime“. Das passt zwar in die populäre | |
Vermengung der Einwanderungs- mit der Flüchtlingsfrage im Leitartikelwesen, | |
aber selbstverständlich haben simple Pläne für Flüchtlingsunterkünfte | |
nichts mit legitimen Staatsgeheimnissen zu tun. | |
Wie wäre es, wenn man – statt papierene Pläne – Menschen und Häuser, in | |
denen sie untergebracht sind, schützte? Dazu könnten Bundeskriminalamt und | |
Verfassungsschutz mehr beitragen, genauso zur Aufklärung der rund 200 | |
terroristischen Angriffe auf Flüchtlingseinrichtungen von rechtsextremen | |
Tätern quer durch die Republik im ersten Halbjahr. | |
## Sicherheitsbehörden, um sich selbst besorgt | |
Die vom Bundesinnenministerium verbreitete Zahl von Anschlägen ist ein | |
Armutszeugnis für die Sicherheitsbehörden, die ganz offensichtlich mehr mit | |
ihrer eigenen Sicherheit befasst sind als mit der Sicherheit jener, für die | |
sie gedacht sind. Der Ernstfall für Demokratie und Rechtsstaat tritt ein, | |
wenn das BfV stattdessen ein Schurkenstück gegen die Pressefreiheit | |
inszeniert und dabei die Bundesanwaltschaft als Komplizin | |
instrumentalisiert — und das alles nur, um das Publikum vom eigenen | |
Versagen abzulenken. | |
Dass Justizminister Maas den gegenüber Grundrechten „unsensiblen“ (SZ, 5. | |
8. 2015) Generalbundesanwalt entlassen musste, ist klar und war von diesem | |
selbst provoziert worden. Aber nur wenn man den Strippenzieher Maaßen im | |
Kölner Amt ausblendet, kann man den Bundesanwalt als Buhmann darstellen. Er | |
ist vielmehr der Sündenbock, zu dem ihn der Verfassungsschutz machte, als | |
sich „Landesverrat“ und „Staatsgeheimnis“ als das erwiesen, was sie sin… | |
winkeladvokatische Finten und juristische Luftnummern. | |
Wenn der Justizminister monatelang zuschaute und nichts unternahm, als eine | |
ihm untergeordnete Behörde „Landesverrat“ witterte, und der Innenminister | |
von den Machenschaften des ihm unterstellten Verfassungsschutzes angeblich | |
gar nichts erfuhr, stellt sich nur eine Frage: In welcher Republik leben | |
wir? | |
7 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
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