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# taz.de -- Hotpantsverbot an Schulen: Aufreizend? Am Arsch!
> Wer Mädchen vorschreibt, wie viel sie bei heißem Wetter anziehen sollen,
> meint es nur gut. Wie so oft. Ein Lehrstück in Rape Culture.
Bild: Endlich eine Mode, die niemanden reizt!
Die Hitze kann einen ganz fertig machen. Oder nachdenklich. In Horb am
Neckar hat die Schulleiterin einer Werkrealschule am Freitag [1][einen
Brief] an die Eltern der SchülerInnen geschickt: „Sehr geehrte Eltern, in
letzter Zeit müssen wir gehäuft feststellen, dass Mädchen der
Werkrealschule sehr aufreizend gekleidet sind. Diese Entwicklung stimmt uns
nachdenklich und wir haben entschlossen, dass wir an unserer Schule keine
aufreizende Kleidung dulden wollen.“ Die Schule werde, bis eine eigene
Kleiderordnung gefunden ist, große T-Shirts an die betroffenen SchülerInnen
verteilen, die diese bis zum Schultagsende tragen müssen.
Es gehe dabei, so die Schulleiterin Bianca Brissaud, „nicht um die
Unterdrückung der Individualität Ihres Kindes“. Vielmehr wolle sie „damit
ein kleines Stück zu einem gesunden Schulklima beitragen, in dem sich alle
wohlfühlen und in dem gesellschaftliche und soziale Werte gelebt und
gefördert werden“. Sie sei von Lehrerinnen und Lehrern darum gebeten
worden, „dringend“ etwas zu tun, [2][sagte die Schulleiterin] dem
Schwarzwälder Boten.
Ja, aber warum? Und was für Werte sind das, die da so dringend gelebt und
gefördert werden sollen?
Die Erklärung liefert die Schulleitung in ihrer Wortwahl: Hotpants und
bauchfreie T-Shirts seien „aufreizend“. Wird nicht weiter erläutert, heißt
aber: Die knappen Klamotten könnten jemanden reizen, etwas zu tun.
Hinzugucken. Hinzugreifen. Die Werte, die hier vertreten werden, heißen:
[3][Rape Culture] und Victim Blaming. Es geht nicht um den Stoff, es geht
um Schuld, um Kontrolle und Autonomie.
Aber der Reihe nach.
Eigentlich dürfen SchülerInnen in öffentlich Schulen anziehen, was sie
wollen. Es gibt keine Kleiderordnung. „Gefährdeten Hotpants allerdings den
Schulfrieden – sprich schauen die Jungs eher auf die Beine der Mädchen denn
an die Tafel – darf die Schule eingreifen“, schreibt der Schwarzwälder
Bote.
Die Notfallvariante mit großen T-Shirts wird an einigen Schulen
praktiziert: An der Friedrich-Voith-Hochschule in Heidenheim muss, wer
„aufreizend“ kommt, ein T-Shirt mit Schullogo tragen. Am Stuttgarter
Heidehof-Gymnasium, einer Privatschule, liegen ebenfalls T-Shirts bereit,
schwarz, XXL. Die Stuttgarter Nachrichten berichten, die Shirts seien erst
[4][zwei Mal zum Einsatz] gekommen: Bei zwei Jungs, die „Hänge-Hosen“
trugen, bei denen man die Unterhose hinten sehen konnte.
## Kein Minirock, kein Augenkontakt
Im [5][brandenburgischen Michendorf] schlug ein Schulleiter gleich zwei
Fliegen mit einer Klappe. Weil seit Anfang Juni Flüchtlinge in der
Turnhalle des Gymnasiums untergebracht sind, wies der Schulleiter die
Mädchen an, keine Miniröcke oder kurzen Hosen zu tragen und den
Asylbewerbern nicht direkt in die Augen zu schauen. Das könnte in deren
Kultur „falsch verstanden werden“, erklärte der Schulleiter der Berliner
Zeitung. Sexismus und Rassismus – you can have it all.
Warum müssen wir jetzt aber gleich von Vergewaltigung reden? Was haben
diese freundlichen, kleinen Hinweise, die die SchülerInnen doch nur
schützen sollen, mit Rape Culture zu tun? Warum Victim Blaming?
## Sexismus in beide Richtungen
Bis auf die zwei Stuttgarter Jungsärsche wird in allen genannten Fällen
davon ausgegangen, dass Mädchen, die sich zu knapp kleiden, das Problem
sind: Wenn Jungs oder Lehrer von Mädchen abgelenkt werden, müssen die
Mädchen sich etwas anziehen. Als wenn Frauenkörper etwas sind, was
versteckt werden muss, damit nichts Schreckliches passiert. Weil – und das
ist ebenso sexistisch – davon ausgegangen wird, dass Jungs und Männer sich
dann nicht mehr unter Kontrolle halten können.
Es ist genau dieselbe Rhetorik, die angewandt wird, wenn Frauen belästigt
oder vergewaltigt wurden, und dann hören müssen: Du hättest etwas anderen
anziehen / dein Getränk nicht stehen lassen / diesen Weg nicht langlaufen
sollen. Diese Art von Schuldumkehr nennt sich Victim Blaming: Das Opfer
wird beschuldigt, an einer Tat selbst Schuld zu sein.
Victim Blaming wiederum gehört in den größeren Zusammenhang von Rape
Culture: Eine Kultur, in der davon ausgegangen wird, dass sexualisierte
Gewalt etwas ist, was eben passiert. Übergriffe sind dann etwas, was
einzelne Opfer eben hinnehmen müssen, wenn sie sich nicht hinreichend
verteidigt haben. Das ist dann dumm gelaufen. Nächstes Mal besser
aufpassen. Dass es immer wieder dieselben Muster sind, nach denen Grenzen
überschritten und Machtstrukturen ausgenutzt werden, kann man ignorieren,
wenn man die Schuld den Opfern gibt.
## Ein Sack löst das Problem nicht
Natürlich ist es komplizierter, Jungs und Männern zu erklären, wie sie sich
verhalten sollten, als Frauen einen Sack überzustülpen. Es gibt keine
einfache und schnelle Lösung für das Problem. Das „Culture“ in „Rape
Culture“ beschreibt eben eine ganze Kultur, und die beruht unter anderem
auf sehr tief verwurzelten Ansichten darüber, was Frauen in der
Öffentlichkeit alles tun und lassen sollten. Die völlige
Selbstverständlichkeit, mit der Männer am Strand oben ohne rumlaufen und
Frauen nicht, ist nur ein Beispiel. Eine Gesellschaft, in der nackte Frauen
in der Werbung einerseits Aufmerksamkeit auf Produkte ziehen sollen und in
der Frauen im Alltag andererseits aufpassen sollen, nicht „aufzureizen“,
hat ein sehr grundsätzliches Problem.
Sicher ist: Wenn Jungs im Unterricht nicht mehr auf die Tafel schauen,
sondern auf den Bauchnabel des Mädchens neben ihnen, dann ist jede Lösung,
die sich nur um den Bauchnabel kümmert, und nicht um den Jungen, eine
schlechte. Im schlimmsten – aber nicht unwahrscheinlichen – Fall führt sie
dazu, dass Mädchen sich, wenn ihnen etwas Unangenehmes passiert, nicht
trauen, es zu erzählen, weil sie denken, sie seien selber Schuld.
## #croptopday und #hotpantsverbot
In Kanada wurde [6][vor ein paar Wochen] eine Schülerin aus dem Unterricht
geworfen, weil sie ein bauchfreies Top trug. Sie organisierte ihre Protest
über eine Facebookseite, unter den Hashtags [7][#croptopday] und
[8][#standinsolidarity] teilten daraufhin Mädchen und Jungs Bilder von sich
in vermeintlich „ablenkenden“ Klamotten.
Der Fall aus Horb am Neckar hat nun eine Twitter-Diskussion unter dem
[9][#hotpantsverbot] ausgelöst. „Bald wird vor der Schule mit einem
Zollstock die Länge von Hosen und Röcken kontrolliert... die 50er Jahre
lassen grüßen“, [10][schrieb eine Twitterin-Nutzerin]. [11][Eine andere
erzählte]: „Sowas gab‘s vor 10 Jahren an meiner katholischen
Mädchen-Realschule auch. Die Folge: Wettbewerb, wer die meisten Shirts
kassiert.“ [12][Jemand anders schrieb]: „Auch Mädchen mit großen Brüsten
sind ab sofort vom Unterricht ausgeschlossen.“ Ein weiterer Nutzer
[13][twitterte ein Foto vom Rhein], der so schön sei, dass er vom Lernen in
der Bibliothek ablenke. „Schnell ein langes T-Shirt drüber ziehen!“,
antwortete jemand.
6 Jul 2015
## LINKS
[1] http://www.schwarzwaelder-bote.de/inhalt.horb-zu-sexy-hotpants-verbot-an-sc…
[2] http://www.schwarzwaelder-bote.de/inhalt.horb-zu-sexy-hotpants-verbot-an-sc…
[3] /!5075574/
[4] http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.hitze-in-baden-wuerttemberg-da…
[5] http://www.berliner-zeitung.de/brandenburg/fragwuerdige-schueler-tipps-in-b…
[6] http://globalnews.ca/news/2018351/toronto-students-wear-crop-tops-to-school…
[7] http://twitter.com/search?q=%23croptopday&src=typd
[8] https://twitter.com/search?q=%23standinsolidarity&src=typd
[9] https://twitter.com/hashtag/hotpantsverbot?src=hash
[10] http://twitter.com/HappySchnitzel/status/618016820868591616
[11] http://twitter.com/Riotschminke/status/618016261100990465
[12] http://twitter.com/la_petitechou/status/618050983415955456
[13] http://twitter.com/moeffju/status/618030668954644480
## AUTOREN
Margarete Stokowski
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