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# taz.de -- Änderung im Sexualstrafrecht: Gegen das Ausnutzen der Angst
> Derzeit können viele Arten von sexuellen Übergriffen nicht bestraft
> werden. Das Justizministerium will die Lücken nun schließen.
Bild: Viele Übergriffe aus der Grauzone sollen bald auch strafbar sein: Frau i…
Freiburg taz | Justizminister Heiko Maas (SPD) will den Schutz der
sexuellen Selbstbestimmung insbesondere von Frauen verbessern. Zu diesem
Zweck will er Schutzlücken im Sexualstrafrecht schließen. So soll es
künftig etwa strafbar sein, die Angst eines Opfers vor einem „empfindlichen
Übel“ sexuell auszunutzen.
Der Justizminister hat jetzt einen Gesetzentwurf erarbeitet, der der taz
vorliegt. Er hat 19 Seiten und wurde vorige Woche an die anderen
Ministerien zur Ressort-Abstimmung geschickt. Kern des Entwurfs ist ein
neuer Paragraf 179 im Strafgesetzbuch, der die Überschrift „Sexueller
Missbrauch unter Ausnutzung besonderer Umstände“ tragen soll. Neben der
Ausnutzung der Angst des Opfers soll dort auch der überraschende sexuelle
Angriff unter Strafe gestellt werden.
Seit den 1990er Jahren ist das Grunddelikt des Sexualstrafrechts die
sexuelle Nötigung (Paragraf 177). Als „Vergewaltigung“ wird diese
bezeichnet, wenn der Täter dabei in den Körper des (weiblichen oder
männlichen) Opfers eindringt. Nach derzeitigem Recht gilt ein
Geschlechtsverkehr nur in drei Konstellationen als Vergewaltigung: wenn er
entweder mit Gewalt oder mit bestimmten Drohungen erzwungen wird oder wenn
der Täter eine schutzlose Lage ausnutzt. Es genügt also nicht, dass eine
Frau eindeutig Nein sagt und der Mann dann trotzdem in sie eindringt.
Zahlreiche Handlungen, die Frauen als Verletzung ihrer sexuellen
Selbstbestimmung ansehen, sind deshalb im Sexualstrafrecht nicht erfasst.
So verneint die Rechtsprechung eine „sexuelle Nötigung“, wenn der Täter d…
Frau so schnell packt, dass sie gar keinen entgegenstehenden Willen fassen
oder gar äußern kann. Teilweise werden solche überraschenden Griffe an die
Brust oder zwischen die Beine dann als Beleidigung (mit niedrigem
Strafrahmen) bestraft, weil sie eine „entwürdigende Herabsetzung“
beinhalten. Das ist aber schon lange umstritten, weil es ja nicht um die
Ehre, sondern die sexuelle Selbstbestimmung geht.
Auch bei Drohungen des Täters, die nicht auf eine „Gefahr für Leib und
Leben“ abzielen, versagt das Sexualstrafrecht. Der Gesetzentwurf nennt nun
den beispielhaften Fall, dass ein Täter droht, „mit seinem Auto in ihr
Wohnzimmer reinzufahren und die Wohnung kurz und klein zu schlagen“.
Keine Vergewaltigung ist bisher auch, wenn der Täter einer Frau mit
unklarem Aufenthaltsstatus droht, er werde beim Ausländeramt ihre
Abschiebung veranlassen. Solche Taten können bisher nur als einfache
Nötigung (mit niedrigem Strafrahmen) bestraft werden.
Andere Konstellationen können bisher gar nicht bestraft werden. So erkennt
die Rechtsprechung nur dann das Ausnutzen einer „schutzlosen Lage“ an, wenn
die Lage objektiv schutzlos ist. Das sei aber zum Beispiel nicht der Fall,
wenn andere Menschen in Hörweite sind und durch Rufe alarmiert werden
könnten. Es genügt bisher also nicht, dass die Frau davon ausgeht, sie sei
in einer schutzlosen Lage, weil sie von den potenziellen Helfern nichts
weiß oder in der Bedrängnis nicht an sie denkt.
Auch wenn die Frau Angst vor der Gewalt des Mannes hat, dieser in der
konkreten Situation aber weder Gewalt anwendet noch Gewalt androht, kann
sich der Mann bisher straflos über die erkennbare Ablehnung der Frau
hinwegsetzen. Typischer Fall ist eine Beziehung, in der ein allgemeines
Klima der Gewalt herrschte, das auch jenseits konkreter Akte des Mannes
wirkt.
## Missbrauch von schwachen Lagen
Künftig sollen alle diese Konstellationen im Sexualstrafrecht erfasst
werden. Maas will sie allerdings nicht unter „sexueller Nötigung“ in
Paragraf 177 regeln, sondern in Paragraf 179. Es gehe in diesen Fällen
nämlich weniger darum, den Willen der Frau zu brechen (wie bei der
Gewaltanwendung und der Drohung mit Gewalt), sondern um den Missbrauch
ihrer schwachen Lage.
Bisher hatte Paragraf 179 die Überschrift „sexueller Missbrauch
widerstandsunfähiger Personen“. Der Missbrauch von Kranken, Behinderten und
Drogenabhängigen soll auch weiterhin ein Unterfall dieser Vorschrift sein.
Er soll aber durch zwei weitere Tatformen ergänzt werden, bei denen
ebenfalls „besondere Umstände“ ausgenutzt werden, etwa wenn jemand
„aufgrund der überraschenden Begehung der Tat zum Widerstand unfähig ist“.
Kern der neuen Strafvorschrift soll es aber sein, wenn der Täter eine
Situation ausnutzt, in der das Opfer im Fall seines Widerstandes „ein
empfindliches Übel befürchtet“. Hierzu soll künftig zum Beispiel das
Ausnutzen der (tatsächlich oder vermeintlich) schutzlosen Lage gehören.
Auch die Drohung mit Abschiebung, Sachbeschädigung oder sonstigen
erheblichen Nachteilen würde hier erfasst. Vor allem aber geht es hier um
Fälle, bei denen das Opfer latent Angst vor der Gewalt des Täters hat und
der Täter diese Angst ausnutzt, um den Willen des Opfers zu übergehen.
19 Jul 2015
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Heiko Maas
Vergewaltigung
Sexuelle Gewalt
Sexualstrafrecht
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Schule
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