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# taz.de -- Missbrauch in der katholischen Kirche: Liebesverlangen und Verblend…
> Regisseur Pablo Larraín inszeniert in „El club“ den Missbrauch der
> katholischen Kirche in Chile als klischeefreien Thriller.
Bild: Wütende Beichten: Padre Vidal (Alfredo Castro, l.), Padre Ortega (Alejan…
El Club, das ist die sarkastische Bezeichnung für eine mysteriöse
Wohngemeinschaft am Rand eines Fleckens irgendwo an der rauen Nordküste
Chiles. Vier ältere Männer, trotz Pullover- und Windjackenlook eher
versprengte Städter als Dörfler, ordnen sich schweigsam und
selbstverständlich der ritualisierten Hausordnung einer fleißigen
Haushälterin unter.
Vom ersten Moment an verspricht das obskure Setting in Pablo Larraíns Drama
packenden Suspense. Ein diesiger Cinemascope-Himmel hängt über den
niedrigen Häusern unterhalb des Rückzugsorts.
Halbdunkel und Dämmerstimmungen, leichte Unschärfen und minimal verzerrte
Nahaufnahmen, die bewusst mit alten analogen Objektiven aufgenommen wurden,
breiten die intensive Atmosphäre einer Parallelwelt aus. Hier verwandelt
sich wie unter dem Brennglas in eine Anklage, eine offene Konfrontation,
einen veritablen Kino-Thriller, was wir seit einigen Jahren über die realen
Verschleierungstaktiken der katholischen Kirche zur Verheimlichung des
Kindesmissbrauchs in ihren Reihen wissen.
Die Expadres Vidal, Silva, Ramirez und Ortega (Alfredo Castro, Jaime
Vadell, Alejandro Sieveking und Alejandro Goic) leben, dem Zugriff der
Justiz entzogen, in ihrem komfortablen Quasikloster an der Seite von
Exmissionarin Monika (Antonia Zeger) – auch sie wegen einer Affäre um ihre
afrikanische Adoptivtochter abdelegiert.
Nur einzeln dürfen die Männer das gelbe Haus auf den Klippen zu
Spaziergängen verlassen, Kontakte zu Einheimischen sind verboten. Man isst
gut, was Monika gekocht hat, betet gemeinsam, baut Gartengemüse an und
trainiert den Windhund an einer seltsamen Rundlauf-Apparatur am stürmischen
Strand. Trickreich kommt Geld in die Kasse, wenn Monika den laufstarken
Liebling von Padre Vidal bei Hunderennen im Dorf zum Sieg führt.
## Perverse, religiös mystifizierte Rechtfertigungen
Die überraschende Ankunft eines neuen Hausbewohners macht der Routine ein
Ende. Noch während die WG den schweigenden Neuling widerwillig einführt,
erscheint Sandokan (Roberto Farías), eines seiner Missbrauchsopfer, vor dem
Haus und setzt zu einer hemmungslos lauten Litanei an, in der er outet, was
ihm der Priester seit seiner Kindheit antat und mit welch perversen,
religiös mystifizierten Rechtfertigungen er das Himmelreich auf Erden
versprach.
Sandokan kommt von der schmerzvollen Bindung nicht los, er ist seinem
verhassten Herrn nachgereist und macht unberechenbare Anstalten, in der
Umgebung des Hauses umherzuspuken. Als die aufgestörten, plötzlich an
eigene Taten erinnerten Padres den Neuen zu einem beruhigenden Gespräch mit
seinem Opfer auffordern, erschießt er sich vor den Augen aller.
Obwohl es gelingt, die Waffe des Toten und seine Leiche vor der Polizei
verschwinden zu lassen, trifft kurz darauf ein Kirchenmann ein, der den
zwischen Schockstarre, schlechtem Gewissen und Bockigkeit schwankenden
Club-Mitgliedern das drohende Aus für ihr Domizil verkündet. Eigentlich
eine verwaltungstechnische Maßnahme, steht ab jetzt im Raum, dass der
smarte, sportliche Intellektuelle García (Marcelo Alonso) die Ermittlung zu
dem Todesfall an sich ziehen und jedem der so bescheiden wirkenden
Hausgenossen auf den Zahn fühlen wird. Am Ende soll der Bericht dieses
studierten Jesuiten, Inbegriff einer vielleicht doch neuen katholischen
Kirche, über ihre Zukunft entscheiden.
In Schuss/Gegenschuss-Situationen aufgelöst, entwickeln sich die folgenden
Einzelgespräche zu faszinierend scharfzüngigen Wortgefechten und intensiven
Selbstäußerungen, wie man sie selten im Kino sah. Larraín gewann den
Konfrontationen äußerste Dichte ab, indem er seine Schauspieler auf
Augenhöhe miteinander streiten ließ und so das gängige Muster eines
kirchlichen Tugendtribunals vermied.
## Leidenschaften, die der Film nicht denunziert
Jeder Schauspieler kannte vorab den Text seiner Figur, nicht jedoch die
Entgegnungen seines Gegenübers. So entsteht in den gezeichneten Gesichtern
und trotzigen Gesten wie auch in den Spuren möglicher Empathie hinter der
glatten Stirn des Ermittlers ein Bild ihrer Leidenschaften, die der Film
nicht denunziert. Die wütenden Beichten schildern – alles andere als
schuldbewusst angesichts von Sandokans Elend – das Liebesverlangen aber
auch die Verblendung, mit der die ehemaligen Padres die Gewalttätigkeit
ihrer Missbrauchstaten und kriminelle Energie für „heilig“ erklären.
Tugend und Moral bleiben kein trockener Diskurs. Um ihre idyllische
Randexistenz zu retten, beschließen die vier und ihre fromme Schwester, den
Außenseiter Sandokan aus dem Weg zu räumen. Sein obszöner Singsang verrät
ihn als Zeugen des Selbstmords, und längst geht es um Erpressung, denn
Sandokan kann die Version erschüttern, mit der die Expadres ihre Mitschuld
am Hergang verleugnen.
Ihre Verletzlichkeit schlägt in brutale Härte um. Eine bizarre nächtliche
Verschwörung nimmt ihren Lauf. Um wie gewohnt jede Schuld abzuwehren,
opfert die Gruppe hinter Vidals Rücken sogar dessen geliebten Hund, tötet
alle Rennhunde des Dorfes, bezichtigt Sandokan und lenkt den Mob auf ihn.
Am Ende überrascht der Film mit einer Wendung, die alle Fragen von Schuld
und Sühne auf einer ganz neuen Ebene zusammenführt. García trifft eine
Entscheidung, die Sandokans Leben rettet und den Bestand der Gemeinschaft
bekräftigt. Ohne jede Belehrung, ohne jedes Moralisieren endet Pablo
Larraíns Film mit einer kuriosen Geste, einem Zukunftsversprechen, von dem
man nicht weiß, ob es eine Komödie oder eine Tragödie wird.
5 Nov 2015
## AUTOREN
Claudia Lenssen
## TAGS
Katholische Kirche
Missbrauch
Priester
Religion
Film
Papst Franziskus
Dokumentation
Heiko Maas
Kindesmissbrauch
Katholische Kirche
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