# taz.de -- Kampagne für Toleranz in Saudi-Arabien: Wer ist dieses Biest? | |
> In Saudi-Arabien wachsen die religiösen Spannungen. Die Behörden werben | |
> mit einem Video für Toleranz. Aber gegenüber wem? | |
Bild: Apokalypse: Eine solche will Saudi-Arabien vermeiden. | |
BERLIN taz | „Es gibt einen verborgenen Mörder“, flüstert der Sprecher mit | |
tiefer, geheimnisvoller Stimme. „Einen Mörder, den viele von uns nicht | |
kennen, der aber Hunderttausende Menschen getötet hat.“ Kinder sind ihm zum | |
Opfer gefallen, Frauen und Alte. Ganze Nationen hat der Killer ins | |
Verderben gestürzt. So beginnt ein neuer Videoclip aus Saudi-Arabien. | |
Das dreieinhalbminütige Filmchen hat das König-Abdulaziz-Zentrum für | |
Nationalen Dialog auf seinem Youtube-Kanal veröffentlicht. Der im Januar | |
verstorbene König Abdullah hatte das Zentrum 2003 als Kronprinz ins Leben | |
gerufen, um die Einheit der Nation zu sichern, soziale Probleme zu | |
diskutieren – und religiöse Toleranz zu fördern. | |
„Soll ich Dir noch etwas erzählen?“, fragt der Sprecher weiter. „Der Mö… | |
lebt unter uns.“ Er läuft frei umher. Vielleicht ist er bereits sehr nah, | |
in deinem Haus! | |
Wer ist dieses gnadenlose Biest? | |
Um es nicht allzu spannend zu machen: Der verborgene Mörder, das könnte | |
jeder sein, denn er steckt in allen Menschen. „Du denkst, du bist | |
unschuldig? Denk noch einmal nach!“, fordert der Sprecher auf. Das | |
Mörderische, so suggeriert das Video, trete dieser Tage in Form von | |
Extremismus überall in der Region ans Licht: in Syrien, im Irak, im Jemen. | |
Und auch in Saudi-Arabien könne es seine Untaten treiben. Das Video zeigt | |
ein Höllenfeuer. In den Flammen: Ruinen, Bewaffnete, Tote. Apokalypse pur. | |
## „Iranoia“ in Riad | |
Für die Führung in Riad sind offene religiöse Konflikte im eigenen Land – | |
zu Recht – ein Horrorszenario. Immer mehr Staaten der Region versinken im | |
Chaos. Der „Islamische Staat“ beherrscht weite Teile Iraks und Syriens. Und | |
auch die Grenze zum Königreich haben Extremisten bereits überschritten und | |
mehrere Grenzsoldaten getötet. | |
Hinzu kommt die Lagerbildung von Sunniten und Schiiten. Nie in der jüngeren | |
Vergangenheit waren die Spannungen zwischen den Konfessionen so hoch wie | |
heute. In Syrien kämpfen der schiitische Iran und das sunnitische | |
Saudi-Arabien um die regionale Vorherrschaft. Das saudische Bombardement | |
der Huthis im Jemen hat den Konfessionalismus schließlich auf die Spitze | |
getrieben. Die Saudis halten die Huthis für schiitische Agenten. Überall | |
wittert Riad mittlerweile den Iran. Von „Iranoia“ der saudischen Regierung | |
sprach jüngst ein Kenner des Königreichs. | |
Davon bleiben auch die Menschen in Saudi-Arabien nicht verschont. Zwischen | |
der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung und den Schiiten, die vor allem im | |
ölreichen Osten Saudi-Arabiens leben, verschärfen sich die Spannungen. Ende | |
Mai erschütterten zwei Anschläge das Land. Erst riss ein Attentäter über 20 | |
Menschen in den Tod, als er vor einer schiitischen Moschee in der Nähe der | |
Stadt al-Katif seinen Sprengstoffgürtel zündete – während des | |
Freitagsgebets. Einen perfideren Zeitpunkt hätten die Extremisten nicht | |
wählen können. Nur eine Woche später, wieder am Freitag, verkleidete sich | |
ein Mann als Frau und sprengte sich vor einer schiitischen Moschee in | |
Dammam in die Luft. Vier Menschen starben. | |
Die Bluttaten beanspruchte der IS für sich. Die schiitischen Opfer seien | |
„Ketzer und Ungläubige“, der Attentäter von Dammam dagegen sei „ein Sol… | |
des Kalifats“. Nach den Anschlägen zogen aufgebrachte Bewohner durch die | |
Straßen und skandierten pro-schiitische Parolen. | |
## „Bedrohlich viele Sympathisanten“ | |
Die saudische Publizistin Samar Fatany warnt vor den Anhängern des IS in | |
Saudi-Arabien. Wie viele es seien, wisse zwar niemand. „Aber es gibt | |
Sympathisanten, bedrohlich viele sogar“, sagt sie. Der Feind komme von | |
innen. | |
Die Schuld für die Anschläge auf den IS zu schieben, sei allerdings zu | |
einfach, sagt der im Berliner Exil lebende Menschenrechtler Ali al-Dubisi. | |
Die saudische Regierung sei mitverantwortlich. Zwar predige sie religiöse | |
Toleranz, fördere aber gleichzeitig das extremistische Gedankengut, das sie | |
zu bekämpfen vorgebe. „Die Ministerien folgen alle derselben Ideologie, der | |
zufolge Schiiten keine Muslime sind“, sagt er. Damit sähe die Regierung den | |
konfessionellen Hass, der die Terroristen ansporne. | |
Wie fern religiöse Toleranz in dem streng sunnitischen Königreich ist, | |
zeigt auch der Videoclip selbst. Wer aufmerksam zusieht, wird sich fragen: | |
Wer soll hier eigentlich friedlich zusammenleben? Bilder von schiitischen | |
Mitbürgern zeigt das Zentrum für Nationalen Dialog nicht. Stattdessen sind | |
die Figuren animiert wie in einem Computerspiel, dazu abstraktes Gerede von | |
„Zusammenleben“. „Du wirst wild“, warnt die geheimnisvolle Stimme, „w… | |
es nicht schaffst, mit Menschen zusammenzuleben, die anders sind als du.“ | |
Noch nicht einmal das Wort Schiiten nimmt der Sprecher in den Mund. Die | |
religiöse Minderheit namentlich zu erwähnen, das wäre zu viel des Guten | |
gewesen. | |
18 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
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