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# taz.de -- Essay Krise im Jemen: Der Krieg der Anderen
> Im Jemen tobt ein Stellvertreterkrieg auf dem Rücken der Schwächeren: Sie
> ertragen den Hunger und viele Tote, aber nicht die Hoffnungslosigkeit.
Bild: Jemenitinnen protestieren in Sanaa gegen einen saudi-arabischen Luftangri…
Der Krieg im Jemen ist das Ergebnis von unfähigen Führern – und zwar auf
regionaler wie lokaler Ebene. Sie haben es schlicht versäumt, das Land
durch die Übergangsphase zu führen und politische Lösungen für die internen
Verwerfungen zu finden. Hinzu kommt das Unvermögen der internationalen
Gemeinschaft, die den Konflikt zusätzlich anheizte, anstatt zu
deeskalieren. Einseitige Regelungen und Konzessionen zugunsten nur der
jeweils mächtigen Gruppierungen trieben den innenpolitischen Keil immer
tiefer und schwächten den Staat.
Entsprechend konnte der unter UN-Schirmherrschaft geführte Dialog zwischen
den jemenitischen Parteien den Krieg auch nicht verhindern. Stattdessen
stürzten die Huthis die legitime Führung, zogen in der Hauptstadt Sanaa ein
und stellten den Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi unter Hausarrest. Mit
dessen Flucht nach Aden und seinem Ruf nach ausländischer Intervention
geriet die Lage vollends außer Kontrolle. Damit trat ein, was die Jemeniten
am meisten gefürchtet hatten: Krieg.
Die internen Kämpfe im Land eskalierten, als die Militärallianz unter
Führung Saudi-Arabiens ihre „Sturm der Entschlossenheit“ genannte Offensive
gegen die Huthis und die bewaffneten Anhänger von Expräsident Ali Abdullah
Salih startete. Die Einmischung Saudi-Arabiens und der Golfstaaten in die
jemenitische Krise mit dem Ziel, den gestürzten Präsidenten Hadi wieder zu
installieren, hat jede politische Option zunichtegemacht und denen die
Macht übertragen, die den militärischen Weg anstreben.
Seither sind zwei Monate vergangen, ohne dass eine Partei die Schlacht für
sich hätte entscheiden können. Stattdessen toben überall im Land bewaffnete
Kämpfe. Gleichzeitig bombardiert die Allianz unausgesetzt die Stellungen
der Huthis und der Anhänger Salihs. Eine Reihe von Fehlschlägen haben
Hunderte von Zivilisten das Leben gekostet. Hinzu kommt, dass die
Versorgung zusammengebrochen ist. Es fehlt an Brennstoff und
Nahrungsmitteln. Zu Tausenden fliehen die Zivilisten in die ländlichen
Gebiete oder über den Seeweg nach Dschibuti und Somalia.
## Entfremdung der Bevölkerung
Die gegenwärtige Krise im Jemen erwächst aus einer tiefgreifenden
Entfremdung verschiedener Bevölkerungsgruppen untereinander, die sich im
Lauf der Zeit aufgebaut hat und mittlerweile die ganze Region bestimmt. Der
Schaden ist unermesslich. Es sterben so viele Menschen, von den materiellen
Schäden nicht zu reden.
Keine der an diesem doppelten Krieg beteiligten Seiten besitzt moralische
Legitimität. Vielmehr handelt es sich dabei um einen Stellvertreterkrieg,
also einen Krieg der Regionalmächte, der auf dem Boden des Schwächeren
ausgefochten wird. Dieser Krieg wird zur Zersplitterung des Jemen in
verfeindete Gebiete führen. Der Jemen ist dabei, zu einem Tummelplatz
regionaler Konflikte mit konfessionellem Etikett zu werden. Denn er bietet
bewaffneten Terrorgruppen ein sehr gutes Terrain. Das gilt für die
schiitische Fraktion, vertreten durch die Huthis, genauso wie für die
sunnitische Fraktion, vertreten durch die al-Qaida.
Auch wenn die Realität im Jemen schon jetzt das Schlimmste befürchten
lässt, beruft sich keine der Konfliktparteien auf die Menschlichkeit, um
die angelaufene Kriegsmaschinerie zu stoppen. Keiner der Beteiligten
fordert den Dialog oder eine politische Lösung. Stattdessen schalten sie
allesamt auf stur und setzen auf die militärische Aufrüstung.
Diese Haltung zeigte sich auch deutlich im Rahmen der Riad-Konferenz, deren
Ergebnis eine jemenitische Front war, die aus dem Landesinneren heraus den
abgesetzten Präsidenten Hadi und die Allianz unterstützt. Gleichzeitig sind
die Huthis gemeinsam mit Salih entschlossen, das Land in Schutt und Asche
zu legen. Wenn die internationale Gemeinschaft nicht doch noch vermittelnd
einschreitet, wird der Jemen in einem langen, blutigen Krieg versinken.
## Gleichgültigkeit der USA
Um eine politische Lösung zu ermöglichen und weitere militärische
Eskalationen und humanitäre Katastrophen zu verhindern, braucht es einen
strukturierten Aufbau von Vertrauen. Nur dann kann ein
jemenitisch-jemenitischer Dialog unter der Schirmherrschaft der UN
erfolgreich sein.
Genau daran aber fehlte es bei dem von den UN für Ende Mai in Genf
anberaumten jemenitischen Verhandlungen. Sie kamen daher auch nicht
zustande.
So lehnte die legitime jemenitische Führung jede Teilnahme an Gesprächen
ab, die sich nicht auf die Autorität der Golf-Initiative, die Inhalte des
nationalen Dialogs und die UN-Resolution 2216 berufen. So weit, so
schlecht.
Eine neue Gesprächsrunde müsste sich qualitativ von den bisherigen
Versuchen unterscheiden und die Flickschusterei beenden. Statt eilige
Rettungsmaßnahmen zu ergreifen, die keine belastbare und nachhaltige Lösung
herbeiführen, sondern den Konflikt nur verschärfen, braucht es ein
tatsächliches Friedenskonzept.
Doch mich, die ich in Sanaa lebe, stimmt der bisherige Ansatz wenig
optimistisch. Genauso wenig wie die Gleichgültigkeit der USA. Es bleibt
also nur die EU.
Vor allem Deutschland, Frankreich und Großbritannien könnten aufgrund ihrer
historisch gewachsenen Beziehungen zum Jemen etwas bewirken. Sie könnten
vermittelnd eingreifen und einen wirklichen Dialog initiieren.
## Machtpolitische Interessen
Dabei wären im Grunde zwei Dialoge zu führen: ein nationaler Dialog
zwischen den jemenitischen Konfliktparteien. Und ein regionaler Dialog
zwischen dem Iran und Saudi-Arabien, die ihre machtpolitischen Interessen
im Jemen geltend machen. Der Krieg lässt sich nur beenden, wenn die
Einmischung der beiden Länder in jemenitische Angelegenheiten unterbunden
wird.
Fraglos ist die Befriedung kein leichtes Unterfangen, sondern eine große
Herausforderung für die internationale Gemeinschaft und all jene, die das
Blutvergießen beenden wollen. Sowohl lokale als auch regionale Probleme
erschweren die Lage.
Ein Dialog ist nur möglich, wenn an beide Parteien die gleichen
Anforderungen gestellt werden. Die Huthis und Salihs Truppen müssen die
Angriffe auf die Zivilbevölkerung einstellen und sich aus den Gebieten
zurückziehen, die sie erobert haben. Gleiches gilt für die Allianz. Sie
muss ihre Militäroffensiven einstellen. Zusätzlich sind internationale
Beobachter vonnöten, die den Waffenstillstand sichern. Nicht zuletzt auch,
damit die Hilfsgüter in die betreffenden Gebiete gelangen können.
Die geopolitischen Hürden dagegen resultieren aus der Politik des Iran und
Saudi-Arabiens. Beiden Ländern ist aus eigenen machtpolitischen Interessen
an einer dauerhaften Krise im Jemen gelegen, und daher heizen sie diese
aktiv an, ungeachtet der verheerenden Folgen, die der Krieg für Millionen
von Menschen hat.
## Frauen helfen Opfern
Nachdem alle zivilen und politischen Kräfte vom Krieg absorbiert worden
sind, gibt es im Jemen keine zivilgesellschaftlich-politischen Stimmen
mehr. Der Fanatismus hat die revolutionären Kräfte von der Bildfläche
verschwinden lassen. Die jungen Leute, die 2011 protestierend durch die
Straßen zogen, sind – nun ideologisch, konfessionell und lokalpolitisch
polarisiert – zum Instrument des Konflikts geworden. Nur einige wenige
Personen aus der Aufbruchsbewegung haben sich nicht in den Krieg oder in
enge ideologische und konfessionelle Zusammenhänge einbinden lassen.
Doch gerade sie sind politisch völlig machtlos. Denn sie haben kein
mediales Forum und sind außerstande, ein nationales Konzept zu entwickeln,
das den internen Konflikt lösen und Frieden schaffen könnte. Also sind sie
zu anderen Taktiken übergegangen. Sie haben humanitäre Aufgaben übernommen
und bieten Flüchtlingen und Kriegsopfern Hilfe an. Vor allem Frauen
engagieren sich in diesem Bereich.
Doch diese zivilen Kräfte konnten, eben weil sie politisch unabhängig sind,
noch keine gesellschaftlich übergreifende, dritte Linie formieren, zumal
sich im Land mittlerweile eine tiefe Kluft aufgetan hat. Nicht zuletzt auch
durch Zutun der internationalen Gemeinschaft, die mit ihrer falschen
Politik die Konfliktparteien gestärkt, den Dialog nicht ausreichend
gefördert und gegenüber den kriegswilligen, destruktiven Kräften keine
klare Gegenposition eingenommen hat.
Die Jemeniten befinden sich in einem Krieg, der nicht nur ihr Leben,
sondern auch ihre Visionen zerstört. Die Menschen nehmen Tod und Hunger mit
sagenhafter Geduld hin. Doch sorgenvoll schauen sie in die Zukunft und
fragen sich: Wer wird den Bruderkrieg beenden? Wann wird ein Funken
Hoffnung aufleuchten und dem Leid ein Ende setzen?
Aus dem Arabischen von Leila Chamaa
19 Jun 2015
## AUTOREN
Bushra Al-Maqtary
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