| # taz.de -- Musik im Iran: Sündhafte Musik | |
| > Im Iran werden oft Kulturveranstaltungen verboten. Obwohl Präsident | |
| > Rohani dies „für eine Missachtung der Rechte der Bürger“ hält. | |
| Bild: Musikerinnen spielen bei einem Internationalen Musikfestival in Teheran i… | |
| „Ich werde keine Konzerte mehr im Iran geben, solange Kunst und Kultur als | |
| Geisel im Machtkampf zwischen den politischen Fraktionen benutzt werden und | |
| es keine klaren Richtlinien für kulturelle Veranstaltungen gibt“, sagt der | |
| international bekannte iranische Kamantschespieler Kayhan Kalhor. Der | |
| Meister der Kamantscheh (Langhalslaute, persisch: Setar), der wie kaum ein | |
| anderer auf der Welt dieses Instrument beherrscht, sollte am 10. Juni | |
| gemeinsam mit dem New Yorker Streichquartett Brooklyn Rider in Teheran | |
| auftreten. Doch zwei Tage davor wurde das lang vorbereitete Konzert in der | |
| iranischen Hauptstadt abgesagt. | |
| Verantwortlich für kulturelle Veranstaltungen ist das Ministerium für | |
| Kultur und Islamische Führung. Das Ministerium hatte die Erlaubnis zu | |
| Kalhors Konzert erteilt, was aber offenbar die Ordnungskräfte nicht daran | |
| hinderte, den Auftritt zu untersagen. Gegen diese Maßnahme protestierte | |
| wiederum der für Musikveranstaltungen verantwortliche Staatssekretär im | |
| Kulturministerium, Pirus Ardscomandi. | |
| Das Untersagen von Musikveranstaltungen, insbesondere mit ausländischen | |
| Künstlern, und die damit verbundene Kulturauffassung stünden im Widerspruch | |
| zu der Politik der aktuellen Regierung, die eine enge Zusammenarbeit mit | |
| der Außenwelt anstrebe, sagte Pirus Ardscomandi. Und der Sprecher des | |
| Ministeriums teilte weiter mit: „Die Ordnungskräfte haben kein Recht, ein | |
| Konzert zu verbieten.“ | |
| Aber sie tun es halt doch, da die Regierung nicht genug Macht hat, um es | |
| ihnen zu verbieten. So war das Konzert von Kalhor nicht das einzige, das | |
| nicht stattfinden durfte. In den letzten drei Monaten wurden rund 20 | |
| Musikveranstaltungen in Teheran und anderen Großstädten untersagt. Das | |
| Konzert von Parwaz Homay wurde wenige Stunden vor Beginn ohne Nennung von | |
| Gründen abgesagt. | |
| ## Begründung: Autounfall | |
| Auch das Konzert mit dem Ensemble Paywar durfte nicht stattfinden. Eine | |
| Veranstaltung mit der Gruppe Saman Dschalili in der Stadt Sabsewar wurde | |
| mit der Begründung abgesagt, die Künstler seien wegen eines Autounfalls | |
| nicht in der Lage, zu spielen. Doch ein Mitglied der Gruppe sagte zur | |
| Presse, den Musikern sei untersagt worden, nach Sabsewar zu fahren. | |
| Die Absage von Musik- und Theaterveranstaltungen, die Schließung von | |
| Galerien, die Zensur von Büchern und das Verbot von Zeitungen sind Ausdruck | |
| eines Kulturkampfs in der Islamischen Republik, der sich in den letzten | |
| Monaten besonders zugespitzt hat. Es ist ein Kampf zwischen der Regierung, | |
| den Reformern und Laizisten auf der einen und den Konservativen und | |
| extremen Islamisten auf der anderen Seite. | |
| Kulturschaffende hatten nach den dunklen Jahren unter Präsident | |
| Ahmadinedschad gehofft, mit der Übernahme der Regierung durch Hassan Rohani | |
| werde sich das Land nach innen und außen öffnen. Das hatte Rohani auch | |
| während des Wahlkampfs 2013 angekündigt. Doch je entschlossener die | |
| Regierung versucht, diese Politik durchzusetzen, desto vehementer versuchen | |
| Konservative und Ultras dagegen vorzugehen. Es sind viele der | |
| Freitagsprediger, die meisten Großajatollahs, die Justiz, große Teile der | |
| Revolutionsgarden sowie der Wächterrat und Revolutionsführer Ali Chamenei, | |
| deren rückwärtsgerichtete Auffassungen von der Gesellschaft mehrheitlich | |
| abgelehnt werden. Doch sie haben die Macht, können jede Reform vereiteln. | |
| Es ist in der Geschichte der Islamischen Republik ohne Beispiel, dass ein | |
| Staatspräsident so deutlich wie Rohani gerade für die Musik Partei | |
| ergreift. Dies hat er bei seiner wichtigen Rede zum zweiten Jahrestag | |
| seines Amtsantritts direkt ausgedrückt. Rohani sagte: „Wir sind nicht gegen | |
| Freude und Unterhaltung. Wir möchten ein Volk sein, das die Werte des | |
| Glaubens achtet, aber auch glücklich und lebensfroh ist. Was kann man | |
| dagegen einwenden, wenn wir uns an musikalischen Darbietungen ergötzen?“. | |
| Rohani weiter: „Wenn für eine Musikveranstaltung die Erlaubnis erteilt | |
| worden ist und die Interessierten sich zur Teilnahme vorbereitet haben, | |
| bedeuten solche Interventionen (wie die der Ordnungskräfte oder der Justiz) | |
| nichts anderes als eine Missachtung der Rechte der Bürger.“ | |
| ## Inszenierte Proteste | |
| Trotz dieser eindeutigen Positionierung ist es der Regierung nicht | |
| gelungen, spürbare Schritte zugunsten der Musikkünstler zu unternehmen. Zu | |
| den wenigen Pluspunkten, die das Kulturministerium im Bereich der Musik für | |
| sich buchen kann, gehört aber immerhin die Wiedereröffnung des Teheraner | |
| Symphonieorchesters. Das Orchester, das auf eine lange Tradition | |
| zurückblickt, war jahrelang geschlossen. Im März vergangenen Jahres trat es | |
| mit der neunten Symphonie von Beethoven wieder an die Öffentlichkeit. In | |
| den vergangenen Monaten standen unter anderem Werke von Tschaikowski, | |
| Grieg, Brahms und Korsakow mit weltbekannten Solisten auf dem Spielplan. | |
| Doch der Wirkungsbereich des Orchesters ist ziemlich begrenzt. Man erreicht | |
| nicht so viele wie die Popkünstler. Doch die populären iranischen | |
| Musikgruppen stehen besonders unter Druck. Viele Auftritte werden von den | |
| Ordnungskräften und der Justiz von vornherein untersagt. Als Vorwand dienen | |
| dafür oftmals von den Islamisten inszenierte Protestkundgebungen, die im | |
| Vorfeld aggressiv auftreten und mit Störungen drohen. | |
| Doch andere wie der Gouverneur der Stadt Schiras, Mostafa Amiri, verzichten | |
| gleich auf solche Vorwände. Er erklärte völlig ungeniert, dass er in seiner | |
| Stadt überhaupt keine Musikveranstaltungen mehr zulassen werde. Viele | |
| iranische Musiker haben das Land verlassen und arbeiten im Ausland. | |
| Der weitaus populärste Sänger Irans, Mohammad-Resa Schadscharian hat seit | |
| fünf Jahren Auftrittverbot, weil er sich mit den Protesten gegen Rohanis | |
| Amtsvorgänger Ahmadinedschad 2009 solidarisiert hatte. | |
| Rohani hat bei seinem Amtsantritt Musiker Schadscharian als einen Künstler | |
| bezeichnet, auf den die ganze Nation stolz sein könne. Auch wollte er sich | |
| für die Aufhebung des Auftrittsverbots gegen Schadscharian einsetzen. | |
| Allein, dem Präsidenten ist es bis heute nicht gelungen. „Ich lebe in einem | |
| Land, in dem ich seit Jahren für meine Landsleute nicht singen darf“, | |
| stellte Schadscharian so bei einem Besuch im Ausland kürzlich fest. | |
| Zur Legitimierung von Verboten und Störungen berufen sich die extremen | |
| Islamisten auf die Argumente ihrer geistlichen Instanzen. So erklärt | |
| Großajatollah Makarem Schirasi, jede Musik, die Freude, Vergnügen, | |
| Zerstreuung und Unterhaltung bringe, sei aus religiöser Sicht sündhaft. Und | |
| sein Kollege Großajatollah Safi Golpaygani meint sogar, Kauf und Verkauf | |
| von Musikinstrumenten, die zum Spielen sündhafter Musik verwendet würden, | |
| sollten untersagt werden. | |
| ## Die weibliche Stimme | |
| Besonders empfindlich reagieren reliöse Instanzen und ihre konservativen | |
| Anhänger, wenn es um Auftritte von Frauen bei musikalischen Darbietungen | |
| geht. Dabei geht es weniger um die Kleidungsvorschriften, die die Frauen | |
| mehr oder weniger penibel einhalten. Aus der Sicht der meisten religiösen | |
| Instanzen werden Männer, die eine Frau auf der Bühne stehen sehen, zu | |
| sündhaften Blicken verleitet. Noch schlimmer sei, wenn sie auch noch die | |
| melodische Stimme einer Frau hören. | |
| Verwunderlich ist diese Sichtweise nicht, wenn man weiß, dass es unter den | |
| konservativen Geistlichen welche gibt, die sogar meinen, das Geräusch hoher | |
| Absätze von Frauen könne bei Männern Gefühlswallungen hervorrufen. Bei | |
| einem kürzlich veranstalten Konzert der Gruppe Chonia in Teheran, bei dem | |
| zwei Sängerinnen und zwei Sänger auftraten, wurde ohne Wissen der | |
| Betroffenen das Mikrofon einer Sängerin ausgeschaltet. „Wir wollten | |
| verhindern, dass die Stimmen der Frauen über die der Männer herausragen“, | |
| erklärten die Verantwortlichen. | |
| So kommt es, dass seit der Gründung der Islamischen Republik musizierende | |
| und singende Frauen erheblichen Einschränkungen ausgesetzt sind. Dabei | |
| haben iranische Frauen auch im Bereich der Musik traditionell eine wichtige | |
| Rolle gespielt. Sängerinnen wie Delkasch, Marsieh und Gugusch sind auch | |
| nach Jahrzehnten in der Erinnerung nahezu eines jeden Iraners präsent. Die | |
| Tageszeitung Schargh schrieb, „die Musikerinnen im Iran stehen vor einer | |
| roten Ampel. Es ist nicht vorauszusehen, wann die Ampel auf Grün schalten | |
| wird.“ | |
| Iranische Musiker haben nun auf die Zunahme der Verbote mit der Gründung | |
| einer „Kampagne zur Unterstützung der Musiker und zum Kampf gegen | |
| Einschränkungen“ reagiert. Unter den Teilnehmern der Kampagne befinden sich | |
| einige der populärsten der Musikszene. Mohammad-Resa Nurbchsch, Leiter des | |
| „Hauses der Musik“, sagte, er habe sich nicht vorstellen können, dass nach | |
| der Amtsübernahme der Rohani-Regierung Musikschaffenden solche | |
| beleidigenden Einschränkungen auferlegt würden. Schließlich habe Rohani | |
| mehr Offenheit und Freiheit versprochen. | |
| 10 Jul 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Bahman Nirumand | |
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