| # taz.de -- Schlagloch Konvertiten: Deutscher Islam | |
| > Erst Nischenreligion einer Elite, dann Gastarbeiter-, heute | |
| > Outcast-Religion. Wer heutzutage zum Islam konvertiert, gilt als | |
| > potenzielle Bombe. | |
| Bild: Adams Apfel als Handgranate missbrauchen? Für viele Menschen ein Sinnbil… | |
| Konvertit – das Wort hat einen metallischen Klang. Bei der Konversion von | |
| Rüstungsgütern ist das künftige Produkt friedlicher; beim Menschen scheint | |
| es umgekehrt, da wird die Pflugschar zum Schwert. Wer heutzutage zum Islam | |
| konvertiert, gilt als potenzielle Bombe. | |
| In den Büchern über die Kolonial- und Missionsgeschichte Afrikas finden wir | |
| eine andere Formulierung: Sie nahmen das Christentum an. Ein schöner | |
| Ausdruck; da schwingt die Freiheit der Entscheidung mit – Religion als eine | |
| Einladung, die sich annehmen oder ablehnen lässt. (Als wär’s so unblutig | |
| zugegangen.) Dass die weiße Geschichtsschreibung in diesem Fall nicht von | |
| Konversion spricht, hat natürlich einen Grund: die Verachtung der älteren | |
| Glaubenssysteme Afrikas. Sie waren Naturzustand, Heidentum, nicht | |
| „Religion“ genug, um einen Wechselkurs zu besitzen. | |
| Unter Muslimen ist es gleichfalls üblich, von der „Annahme des Islam“ zu | |
| sprechen. Nach islamischer Auffassung wird jeder Mensch als Muslim geboren | |
| – das ist die weite Definition von Muslim-Sein: der Mensch als Abbild | |
| Gottes, ohne Erbsünden-Konstrukt. Den Islam bewusst anzunehmen, ist dann | |
| eine bloße „Bezeugung“ mit wenigen Worten, keine Umwandlung. | |
| Ein Großteil der heutigen muslimischen Welt hat, neudeutsch gesprochen, | |
| einen Konversions-Hintergrund, kam der Islam doch zu Zoroastriern, Juden, | |
| Christen usw. Wer seinen vermeintlichen Stammbaum bis auf die | |
| Prophetenfamilie zurückführen kann, dünkt sich indes etwas Besseres – | |
| selbst im Iran, wo Araber nicht wohlgelitten sind. Alle Multikulturalität | |
| des Islam konnte die Vormachtstellung des Arabischen letztlich nicht | |
| aufheben. Deutsche Neumuslime legen sich häufig einen zweiten, arabischen | |
| Vornamen zu, erstaunlich eigentlich; als brauche das private Bekenntnis | |
| einen Akt der Taufe, ein neues Türschild am eigenen Leben. | |
| So hielten es schon die Mütter und Väter eines deutschen Islam, vor knapp | |
| einem Jahrhundert. Der Islam gehört nämlich viel länger zu Deutschland als | |
| die leidigen Debatten über Integration. | |
| ## Meinung statt Forschung | |
| Die Ahmadiya-Moschee in Berlin-Wilmersdorf war in den 1920er Jahren ein | |
| Treffpunkt von Intellektuellen und Literaten, Muslimen wie Nichtmuslimen. | |
| Konvertiten gehörten damals zur Elite, es waren Aristokraten darunter, und | |
| manche wurden später Mitglieder der NSDAP. Dies schreibt Esra Özyürek, | |
| Professorin an der London School of Economics, in ihrem Forschungsbericht | |
| „Being German, Becoming Muslim“. | |
| In Deutschland begnügt man sich lieber mit Meinungen über Konvertiten, | |
| statt zu forschen. Die „Deutsche Muslim-Liga“ wurde 1954 im Restaurant des | |
| Hamburger Schauspielhauses gegründet. Die erste Satzung verlangte von | |
| Mitgliedern die deutsche Staatsangehörigkeit; der Islam sollte nicht als | |
| eine „Ausländerreligion“ wahrgenommen werden, so Fatima Grimm, Veteranin | |
| der Liga. Ihre kürzlich posthum erschienenen Erinnerungen „Mein | |
| verschlungener Weg zum Islam“ sind in mehrfacher Hinsicht ein Dokument der | |
| Zeitgeschichte. | |
| Die Autorin war ein Täterkind, ihr Vater ein SS-General, Vertrauter | |
| Himmlers. Aus seinem Schatten herauszutreten, so formulierte es Fatima | |
| Grimm, war eines ihrer Motive für die Hinwendung zum Islam. In | |
| Süddeutschland mieteten die ersten Muslime für islamische Feste Bierlokale | |
| an; Moscheen gab es noch nicht. Kopftücher waren unbekannt, die wenigen | |
| Musliminnen trugen kurze Röcke. Die ersten Moscheen wurden dann in München, | |
| Aachen und Hamburg aus dem akademischen Umfeld initiiert: von arabischen | |
| Studenten und deutschen Konvertiten. Für den Vortragssaal der Münchner | |
| Moschee spendete der Erzbischof die Stühle. | |
| Das Klima war damals unvorstellbar anders als heute: Ägyptische | |
| Muslimbrüder wurden, da als Gegner Nassers politisch willkommen, sogar | |
| offiziell zur Eröffnung des Oktoberfests eingeladen. | |
| Fatima Grimms Erinnerungen in Gesprächsform sind im Narrabila-Verlag | |
| erschienen, seinerseits von einer Neumuslimin gegründet. Auch die | |
| Islamische Zeitung, die gerade 20-jähriges Bestehen feierte, geht auf | |
| Konvertiten zurück. Deren Beiträge zum geistigen Leben des Islam werden von | |
| der deutschen Mehrheitsgesellschaft geflissentlich übersehen – um die | |
| eigenen Stereotype nicht zu gefährden. | |
| ## Muslim oder Pfadfinder | |
| Wolf Ahmed Aries wurde 1954 Muslim, mit 16 Jahren, in einem bürgerlichen | |
| Haushalt Hannovers. Die Familie kommentierte seinen Entschluss damals so: | |
| Manche werden Pfadfinder, er wird eben Muslim. Aries leitete ein | |
| Vierteljahrhundert lang eine Volkshochschule. Das qualifiziert nicht, um in | |
| eine Talkshow zum Thema Islam eingeladen zu werden, im Gegenteil. Denn dort | |
| werde heute, so Aries, nur nach dem schrillen Gegensatz gesucht. | |
| Also muss ständig über radikale Konvertiten gesprochen werden, über die | |
| Verrückten, die Hassprediger – die Schwerter. Die Theologin Rabeya Müller, | |
| 1957 in der Eifel geboren, ursprünglich Katholikin, ist von einer anderen | |
| Radikalität. Sie war schon in der Frauenbewegung, bevor sie konvertierte, | |
| wurde dann eine muslimische Feministin, Mitbegründerin des Kölner „Zentrums | |
| für islamische Frauenforschung“. Eine Imamin, die Gebete leitet und | |
| Trauungen durchführt. | |
| Spiegelt sich in der Sozialgeschichte der Konversion in Deutschland ein | |
| Ansehensverlust des Islam? Dies ist die These der Forscherin Esra Özyürek: | |
| Erst Nischenreligion einer Elite, dann Gastarbeiterreligion, heute | |
| Outcast-Religion. „Je mehr der Islam in der deutschen Gesellschaft | |
| marginalisiert und kriminalisiert wird, desto attraktiver wird er für | |
| marginalisierte Nichtmuslime.“ Aber reicht diese These weit genug? Die | |
| häufig genannte Zahl von 100.000 Konvertiten in Deutschland mag zutreffend | |
| sein oder nicht – jedenfalls sind es zu viele, um sie auf ein einziges | |
| Phänomen zu reduzieren. | |
| Deutsche, die nicht aus Frust, sondern aus Lust an der Religion den Islam | |
| annehmen, sind von den gebürtigen Muslimen oft enttäuscht: weil sie die | |
| Schönheit islamischer Lehre und Spiritualität zu wenig verkörpern. Die | |
| Politik sieht es umgekehrt: Sie findet Muslime (notgedrungen) akzeptabel, | |
| nicht den Islam. | |
| 7 Jul 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Charlotte Wiedemann | |
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