| # taz.de -- Museumschefin Schulze über neue Islam-Abteilung: „Wir sind auf K… | |
| > Hamburgs Museum für Kunst und Gewerbe hat seine Islam-Abteilung erweitert | |
| > wieder eröffnet. Das sei ein Bekenntnis, sagt die Museumschefin. | |
| Bild: Emanzipatorische islamische Kunst: Neueingerichtete Sammlung Islamischer … | |
| taz: Frau Schulze, Ihre neu eröffnete Islam-Abteilung ist mit 400 | |
| Quadratmetern doppelt so groß wie die alte. Ist das eine politische | |
| Aussage? | |
| Sabine Schulze: Natürlich ist das ein Bekenntnis. Eine so reiche Kultur | |
| braucht Entfaltungsmöglichkeiten, und wir haben viele Dinge aus den Depots | |
| geholt. Trotzdem war unser Hauptanliegen nicht, mehr zu zeigen, sondern die | |
| Dinge anders zu sortieren. Und da kommen uns unsere Bestände zugute, so | |
| dass wir sowohl Antikes als auch Heutiges präsentieren können. | |
| Was ist überhaupt „islamische Kunst“? | |
| Es gibt kein Alleinstellungsmerkmal. Die betreffenden Räume heißen zwar | |
| „islamische Kunst“, weil es ein griffiger Begriff ist. Aber letztlich geht | |
| es um die islamisch geprägten Länder. Und was sie tatsächlich eint: Der | |
| Islam ist überwiegend eine Objektkultur. Bei den meisten Objekten ist | |
| allerdings nicht klar, ob sie für religiöse oder profane Zwecke benutzt | |
| wurden. | |
| Inwiefern? | |
| Teppiche zum Beispiel können sowohl in einer Moschee als auch in normalen | |
| Wohnräumen liegen. Darin liegt die Ambivalenz und das Besondere der | |
| islamischen Kunst: Viele Gegenstände sind von religiösen Vorstellungen | |
| durchdrungen, aber es gibt kaum spezifisch religiöse Objekte. Das ist etwas | |
| Strukturelles, letztlich Philosophisches, das die islamische Kunst eint - | |
| trotz aller Vielfalt im Detail. | |
| Aber der Raum „Herrschaft und Design“ zeugt nicht von Vielfalt, sondern vom | |
| Stildiktat im einstigen osmanischen Reich. | |
| Natürlich haben die Osmanen mit ihrem einheitlichen ornamentalen Design, an | |
| dem wir noch heute „islamische Kunst“ erkennen, ihr Herrschaftsterrain | |
| abgesteckt. Entwickelt aber wurde dieses uniforme Design aus ganz | |
| verschiedenen fremden Einflüssen und Vorbildern, die über den Handel und | |
| die Wanderungen der Künstler aus dem Iran und China in die Türkei | |
| gelangten. | |
| Welche zum Beispiel? | |
| In der Abteilung „Vielfalt und Wechselwirkungen“ zeigen wir Keramik-Objekte | |
| aus islamischen Ländern von Spanien und Ägypten über den Iran bis nach | |
| China, die eine ganz unterschiedliche Ästhetik haben. In der islamisch | |
| geprägten Kunst findet man zum Beispiel auch viele chinesische Motive. | |
| Woran erkennt man sie? | |
| In der persischen Buchkunst oder auf persischen Teppichen sind oft | |
| chinesische Fabeltiere und eindeutig chinesische Pflanzen dargestellt. Das | |
| chinesische Porzellan zum Beispiel führte auch zu technischen Innovationen | |
| in den islamischen Ländern. Das sind nur zwei Beispiele dafür, dass die | |
| Kultur der islamischen Länder nie hermetisch war. Und neben unserem | |
| Prachtkoran steht ein mittelalterliches europäisches Aquamanile - ein | |
| liturgisches Handwasch-Gefäß - in Form eines Löwen. Solche Gießgefäße in | |
| Tiergestalt stammen aus der islamischen Kultur. Und ein spanisches Gewand | |
| mit dem eingewebten Wort für Allah wurde im 15. Jahrhundert in christlichem | |
| Zusammenhang verwendet. Es steht für eine glückliche Zeit, als die drei | |
| abrahamitischen Religionen in Spanien eng miteinander lebten. Daraus könnte | |
| man eine Vision für die Zukunft ableiten. | |
| Aber müsste man das nicht eher den IS-Kämpfern in Syrien erklären als uns | |
| Europäern? | |
| Ich kann nur hoffen, dass uns die IS-Kämpfer übersehen, denn sonst würden | |
| sie unsere antiken Idole vom Sockel hauen als etwas Vor-Islamisches. Das | |
| ist aber wichtig als Gegenposition: erst kam die Vielgötterei der Antike | |
| und dann die Konzentration auf Mohammed. Und für wen wir das machen? Als | |
| hamburgisches Museum für alle, die in Hamburg und Umland leben. Ihnen | |
| möchten wir zeigen, dass Christentum, Judentum und Islam gemeinsame Wurzeln | |
| haben. | |
| Kann der träge Dampfer Museum Vorurteile abbauen? | |
| Wir können nicht die Welt verändern, aber zum gegenseitigen Verständnis | |
| beitragen. Dafür ist ein Museum wie unseres auch deshalb geeignet, weil es | |
| immer schwieriger wird, in islamisch geprägte Länder zu reisen. Da kann man | |
| froh sein, wenn Objekte hier bei uns sind, wenn man sieht, wie gefährdet | |
| Museen und Kulturdenkmäler in Nahost sind - in die diese Länder in den | |
| letzten Jahrzehnten übrigens viel investiert haben. Das ist ja das | |
| Traurige: dass man sich in Aleppo und Damaskus sehr um den Erhalt des | |
| Kulturerbes bemüht, von dem wir jetzt den Eindruck haben müssen, dass es | |
| leichtfertig aufgegeben wird. | |
| Die Kümmerer und die Zerstörer… | |
| … sind verschiedene Leute, das ist klar. Aber die Gefährdung bleibt. | |
| Apropos: Hatten Sie erwogen, auch Mohammed-Karikaturen des Satiremagazins | |
| Charlie Hebdo zu zeigen? | |
| Nein. Das widerstrebt mir auch persönlich, denn ich akzeptiere, dass der | |
| gläubige Muslim die Darstellung Mohammeds unerträglich findet. Es ist eben | |
| ein Unterschied: Wir in Europa haben die Freiheit, auch Karikaturen über | |
| Christus und den Papst zu zeigen. Es ist schön, dass wir das können, und | |
| wir können es einordnen. Wenn Muslime da andere Kriterien ansetzen, | |
| akzeptiere ich das. Natürlich haben wir uns mit den Toten und | |
| Hinterbliebenen des Anschlags auf Charlie Hebdo solidarisiert, zumal unser | |
| Museum eine große Karikaturensammlung hat. Aber inhaltlich mische ich mich | |
| da nicht ein. | |
| Warum nicht? | |
| Ich glaube, dass wir eine neue Sensibilität lernen müssen. In den reichen | |
| Städten des Westens ist alles möglich, und wir dominieren die Kultur, auch | |
| über die Medien. Aber ich finde es oft zu laut, zu grell und würde mir mehr | |
| Fingerspitzengefühl für die Gefühle anderer wünschen. | |
| Würden Sie Bilder muslimischer Karikaturisten zeigen, die sich über | |
| IS-Kämpfer mokieren? | |
| Ich schließe es nicht aus. Die Videos und Karikaturen in unserer | |
| Ausstellung sollen ja wechseln, und da werden wir sehr genau diskutieren, | |
| welche Positionen für uns interessant sein könnten. | |
| Und wie passt Lotte Reinigers Silhouettenfilm „Die Abenteuer des Prinzen | |
| Achmed“ von 1926 in Ihre Ausstellung? Er repräsentiert das westliche | |
| Orientklischee zu 100 Prozent. | |
| Er war einer der ersten Animationsfilme überhaupt und ist in der Tat ein | |
| Beispiel für die seit dem 19. Jahrhundert herrschende Orient-Begeisterung | |
| des Westens. Er führt mitten in eine Traumwelt, aber auch das gehört zur | |
| islamisch geprägten Kultur. Wie die Poesie übrigens - unser prächtig | |
| ausgeschmückter persischer Gedichtband aus dem 16. Jahrhundert bezeugt das. | |
| Denn auch das ist ambivalent: dass die muslimische Kultur oft von Menschen | |
| und Gefühlen handelt, den Menschen aber nur sehr eingeschränkt darstellt. | |
| Und Frauen bis heute oft nicht achtet. | |
| Ja, aber auch da gibt es überraschend Emanzipatorisches - zum Beispiel die | |
| pakistanische Fernsehserie „Burka Avenger“, ein Animationsfilm, aus dem wir | |
| Ausschnitte zeigen. Darin wird eine Burka tragende Lehrerin zur | |
| Superheldin, die für Bildung auch für Mädchen kämpft. Die Burka ist dort | |
| kein diskriminierendes Kleidungsstück, sondern eine Waffe, ein | |
| Superwoman-Kostüm. Die Serie läuft in Pakistan mit großem Erfolg. | |
| Sind die Filmemacher in Pakistan nicht in Gefahr? | |
| Soweit ich informiert bin, wird die Serie immer noch produziert. Es gibt | |
| allerdings unterschiedliche Meinungen darüber, ob sie mit der | |
| Diskriminierung der Frau spielt oder nicht. | |
| Und? Tut sie es? | |
| Ich persönlich sehe das nicht. Ich finde es schön, dass die Burka als etwas | |
| Positives gedeutet wird. Ich weiß aber, dass es auch Frauen gibt, die diese | |
| Serie nicht schätzen. Über all das kann man vor den Exponaten kontrovers | |
| diskutieren. | |
| Sie wünschen sich Protest? | |
| Wir sind auf Kritik von außen sogar angewiesen. Man kann doch nicht nur | |
| durch die Räume laufen und sagen: Ach, wie schön, wie ästhetisch gelungen, | |
| harmonisch! Ich muss die Besucher animieren, sich Fragen zu stellen. | |
| Aber letztlich ist die neue Islam-Abteilung ein geschmeidiger | |
| Marketing-Mix: Um Besucher anzuziehen, gibt es ein bisschen Orient-Klischee | |
| und ein paar Jugend-Videos. | |
| Ich glaube nicht, dass Leute wegen einzelner Dinge kommen, sondern dass das | |
| Ganze funktioniert. Abgesehen davon: Ich rede zwar oft vom Geld, aber | |
| irgendwann kommt der Punkt, an dem es mir um die Sache geht. Und ob die | |
| Islam-Abteilung mehr Eintrittsgelder generiert, kann man ohnehin nicht | |
| messen. Aber natürlich freue ich mich, auch junge Besucher für das Thema zu | |
| interessieren. | |
| Wie politisch muss ein Kunstmuseum überhaupt sein? | |
| Sehr. Wenn wir nicht immer wieder zu den Dingen, die die Menschen heute | |
| bewegen, Stellung nehmen, brauchen wir kein Museum. Nur ein Hort des | |
| Gestrigen zu sein, wäre mir zu wenig. | |
| 22 Jun 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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