# taz.de -- Opposition in Syrien: Lasst uns in Ruhe, wir trauern | |
> Die Revolutionsbewegung ist gescheitert, sagt unsere Autorin. Und ist es | |
> leid, ständig sich selbst und die Opposition verteidigen zu müssen. | |
Bild: Kämpfer der Freien Syrischen Armee 2012 in Aleppo | |
Wir saßen unter dem grauen Himmel von Bonn und er sagte mit seinem | |
ägyptischen Englisch: „Wenn Baschar aufhört, Isis zu bekämpfen, dann haben | |
wir alle ein Problem.“ Ich konnte mir nicht helfen. Sehr laut und sehr | |
scharf antwortete ich: „Baschar bekämpft wen?!“ Er schwieg und sah mich an | |
wie ein Teenager, der weiß, dass er davonkommen wird. „Gib mir ein | |
Beispiel, wo Assad gegen den IS gekämpft hat. Nur eines! Denn meines | |
Wissens nach hat die Freie Syrische Armee in Aleppo und die Kurden in | |
Hasaka gegen die Islamisten gekämpft.“ | |
Lächelnd rollte er mit den Augen und ich wünschte, ich könnte ihm eine | |
reinhauen, mitten in sein Lächeln. | |
Was mich wirklich verrückt machte, war die Tatsache, dass er kein | |
schlechter Mensch war. Ich begegne Leuten wie ihm jedes Mal, wenn ich reise | |
und an einer internationalen Konferenz oder einem Workshop teilnehme, so | |
wie hier in Bonn. Dabei bewege ich mich gewöhnlich unter eher | |
linksorientierten Aktivisten oder Bloggern. | |
Und jedes Mal verbringe ich meine Zeit damit, entweder mich selbst oder die | |
Revolution in Syrien zu verteidigen oder zu rechtfertigen und beantworte | |
Fragen nach dem Wann, Warum, Was, Wer und so weiter. Leute fragen mich aus | |
oder verhören mich fast so, als wäre ich die Kriminelle, nicht das Opfer | |
von Gewalt. Am meisten tut dabei weh, dass ich früher immer gedacht habe, | |
wir würden für die gleiche Sache kämpfen. Und noch mehr, dass diese so | |
genannten Menschrechtsaktivisten und -kämpfer häufig Führungsfiguren in | |
ihren Communitys sind. | |
## Wir waren am Arsch | |
Ich ging zurück in mein Hotelzimmer und heulte. Ich wollte dringend zurück | |
zu meinen Freunden in Istanbul, zurück in meine Blase, wo ich mich sicher | |
fühle und niemand mich wie eine Verbrecherin behandelt. Wir sind keine | |
Kriminellen, wir sind nur sehr fragil und gebrochen. Wir haben fast alles | |
verloren, alle Träume von einer Zukunft für unser Land sind kaputt. | |
Wir sind auf die Straße gegangen, haben die Freiheit mit unserer ganzen | |
Seele verteidigt, so lange, bis es nicht mehr möglich war, friedlich zu | |
bleiben, dann waren wir am Arsch, was wir ja zugeben. Aber was hätten wir | |
tun können, um das zu verhindern? Nichts. | |
Wir haben so hart für unseren Traum gearbeitet, aber wir konnten ihn nicht | |
verwirklichen. Wir haben vielen Menschen auf unserem Weg verloren, Leute | |
sterben in Assads Gefängnissen unter Folter, andere verhungern, andere | |
werden vergast und erschossen. Ja, wir sind gescheitert und wir kennen auch | |
unsere Fehler und brauchen bestimmt keine Fremden, die mit dem Finger auf | |
uns zeigen und sich so schlau dabei fühlen. | |
Wir zahlen für unsere Fehler und wir haben aufgehört, die Welt anzuklagen, | |
nach dem wir begriffen haben, dass diese Welt nicht aus vereinten Nationen | |
besteht, die Menschenrechte nicht verteidigt werden und all die schönen | |
Labels von der Freiheit und den Menschenrechten Lügen sind und nur dazu | |
dienen, politische Interessen zu wahren. Wir trauern, und die Welt könnte | |
uns einfach mal in Ruhe lassen. | |
## Wie der singende Hund | |
Am gleichen Tag aß ich nachts mit einer deutschen Frau zu Abend. Sie machte | |
einen sehr ruhigen und entspannten Eindruck, und das war genau das, was ich | |
brauchte. Deutsche scheinen allgemein sehr respektvoll mit persönlichen | |
Freiräumen und auch Werten umzugehen. | |
Und so war das Abendessen sehr angenehm, bis die Frau überraschenderweise | |
plötzlich völlig überrascht war. | |
Das Flüchtlingsthema kam auf den Tisch und auf einmal fühlte ich mich wie | |
dieser kleine Hund, der auf YouTube singt. Das Video von ihm war vor ein | |
paar Monaten der Renner. Die Frau war erstaunt über so gut wie alles, was | |
ein Syrer heute noch so machen kann. | |
Dass sie versuchen, schnell Deutsch zu lernen, dass viele gut Englisch | |
sprechen, dass einige von ihnen Künstler und Musiker sind, andere weiter | |
für ihr Leben kämpfen und Kinder kriegen. Die Liste war noch lang. Ich bin | |
aber kein Kind, genauso wenig wie die meisten Syrer. Wir haben einen Krieg | |
in unserem Land, ja, und ja, wir mussten vieles ertragen, aber das macht | |
uns nicht zu Tieren, das macht nicht jede Kreativität von uns zu einer | |
Sensation. | |
## Und dann noch die Waffen | |
Am nächsten Morgen sprach mich ein tunesisches Mädchen an und fragte mich | |
am Frühstückstisch: „Warum habt ihr euch bewaffnet?“ Weil wir es lieben, | |
wir sind als Wilde geboren. Sie dachte, ich hätte einen Witz gemacht. | |
Machte ich aber nicht. Ich war verletzt. Verletzt und wütend. | |
Ob ich das ernst meinte, fragte sie nach. Ja, sagte ich lächelnd, und fügte | |
hinzu: „Wir sind eine brutale Nation, weil wir unter einem sehr blutigen | |
Regime aufgewachsen sind, das auch heute nicht aufhört, Menschen zu töten, | |
während Menschen es super finden, sich hier hinzusetzen und mich über die | |
Revolution auszufragen.“ Dann machte ich eine Pause. | |
Ich wollte noch hinzufügen: „Wir sind gewalttätig, weil ich im Alter von 12 | |
Jahren in der Schule lernte, wie man eine Waffe auseinandernimmt und wieder | |
zusammensetzt.“ Wir sind gewalttätig, weil wir in Militäruniformen zur | |
Schule gingen und zwei Mal die Woche exerzierten. Wir sind gewalttätig, | |
weil wir für sehr lange Zeit so leben mussten, wir hatten keine Wahl, und | |
als wir hofften, etwas verändern zu können und in den Widerstand gingen, | |
beschimpft und in Frage gestellt wurden und unsere Revolution rechtfertigen | |
mussten. Doch merkte ich nur, wie ich sie anlächelte und Tschüss sagte. | |
(Aus dem Englischen von Ines Kappert) | |
11 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Sherien Alhayek | |
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