| # taz.de -- Krieg in Syrien: Ein Horrorszenario für Assad | |
| > Die Rebellen bekämpfen Regime und IS gleichzeitig. Aber Gemäßigte und | |
| > Islamisten müssen zeigen, dass sie auch die Zivilverwaltung organisieren | |
| > können. | |
| Bild: Das Land zerfällt in Schutt und Asche – wie hier in Damaskus | |
| BERLIN taz | Ein seltenes Bild: Aktivisten, Rebellen und Islamisten | |
| nebeneinander, alle mit Bart und strahlenden Gesichtern. Die einen halten | |
| die schwarz-weiße Fahne der Al-Nusra-Front hoch, die anderen das weiß-grüne | |
| Banner der syrischen Islamistengruppe Ahrar al-Scham. Und Aktivisten, die | |
| zum Bart Wollmütze oder lange Haare tragen, stehen mit der | |
| grün-weiß-schwarzen Revolutionsflagge mittendrin. | |
| Das Foto entstand Ende März kurz nach der Einnahme von Idlib. Während | |
| Bewohner die „Befreiung“ ihrer Stadt feierten, titelten westliche Medien, | |
| Idlib sei in die Hände von al-Qaida gefallen. Aber die Wirklichkeit ist wie | |
| immer komplizierter. | |
| Zur Eroberung der Provinzhauptstadt im Nordwesten Syriens hatten sich | |
| verschiedene islamistische Rebellengruppen mit dem lokalen Al-Qaida-Ableger | |
| Nusra-Front zur Dschaisch al-Fatah („Armee des Sieges“) | |
| zusammengeschlossen. Eigentlich nichts Neues, denn vielerorts brauchen die | |
| Rebellen – gemäßigte und islamistische – die militärische Unterstützung… | |
| besser ausgestatteten al-Nusra, um die Streitkräfte des Assad-Regimes zu | |
| konfrontieren. | |
| Für die Opposition ist das ein zweischneidiges Schwert: Zwar ist die | |
| Nusra-Front im Gegensatz zum „Islamischen Staat“ (IS) unter Syrern wegen | |
| ihres effektiven Kampfes gegen Assad durchaus populär und rekrutiert vor | |
| allem Einheimische. Gleichzeitig unterscheidet sich ihre radikale Auslegung | |
| des Islams kaum von der des IS, was viele Syrer abschreckt. Für den Westen | |
| ist und bleibt die Nusra-Front al-Qaida – und damit ein terroristischer | |
| Feind. Wer mit ihr zusammenarbeitet, kann keine Hilfe erwarten. Gemeinsame | |
| Aktionen mögen aus Rebellensicht lokal notwendig und militärisch | |
| erfolgreich sein – für die Außenwirkung sind sie fatal. | |
| ## Versuchslabor mit Symbolkraft | |
| In Idlib wird sich nun erweisen, ob ein so vielfältiges Rebellenbündnis | |
| bestehen kann, wenn die Kämpfe vorbei sind und es darum geht, ein Gebiet zu | |
| verwalten. Idlib dient folglich als Versuchslabor mit großer Symbolkraft. | |
| Denn der Ort mit den einst 180.000 Einwohnern ist die zweite | |
| Provinzhauptstadt, die die Gegner Assads erobern, und es gilt unbedingt zu | |
| vermeiden, was im Sommer 2013 mit dem befreiten Rakka im Osten Syriens | |
| passierte: Die Stadt fiel am Ende in die Hände des IS, der dort das Zentrum | |
| seines „Kalifatsstaates“ errichtete. | |
| In Idlib bemüht man sich deshalb, die Reihen zu schließen. Nusra-Chef Abu | |
| Bakr al-Golani sagt, seine Organisation wolle die Stadt keinesfalls alleine | |
| regieren, und appelliert an den Zusammenhalt der Rebellen. Ein Sprecher von | |
| Ahrar al-Scham erklärt, die Kämpfer seien nur zum Schutz der Stadt da, | |
| regieren würden Zivilisten. Und die von der Türkei aus agierende | |
| Interimsregierung der Nationalen Koalition plant, Idlibs Verwaltung zu | |
| übernehmen. | |
| Ein Horrorszenario für Baschar al-Assad, der nichts mehr fürchtet als eine | |
| funktionierende Alternative zu seiner eigenen Herrschaft. Wie immer, wenn | |
| er die Kontrolle über ein Gebiet verliert, lässt er es bombardieren. Mit | |
| Raketen und Bomben auf Schulen, Bäckereien und Märkte in Idlib und Umgebung | |
| hat Assads Luftwaffe seit Ende März allein 90 Kinder getötet, viele | |
| Einwohner sind geflohen. | |
| Die Kämpfer der Dschaisch al-Fatah erobern indes die letzten Bastionen des | |
| Regimes in der Region – am Samstag die Stadt Jisr al-Schughur, wo Assads | |
| Soldaten vor ihrem Rückzug noch 18 Gefangene hinrichteten, am Montag die | |
| Militärbasis al-Qarmid. Für Assad wird es dadurch schwieriger, das | |
| angrenzende alawitische Kernland um Latakia zu verteidigen. | |
| Nur in den beiden Küstenprovinzen Latakia und Tartus sowie im Stadtzentrum | |
| von Damaskus ist Assads Macht noch unangefochten. Für die Verbindung | |
| dazwischen braucht er die zentral gelegenen Provinzen Homs und Hama, deren | |
| westliche Teile sowie gleichnamige Provinzhauptstädte das Regime weitgehend | |
| kontrolliert. Die Hauptstraße zwischen beiden, einzelne Stadtviertel und | |
| ländliche Gebiete dort hat Assad jedoch bereits an die Rebellen verloren. | |
| Überall sonst versucht das Regime, Brückenköpfe – Stadtteile, Orte oder | |
| Militärbasen – zu halten, um den Anschein einer landesweiten staatlichen | |
| Präsenz zu erwecken. | |
| ## Hungerblockade steht bevor | |
| Im Osten muss sich Assad die Macht mit dem IS und der kurdischen | |
| PKK-Schwester PYD (Partei der Demokratischen Union) teilen. Der IS ist sein | |
| liebster Feind, weil er sein Image als Antiterrorkämpfer stärkt. Mit der | |
| PYD hat das Regime eine Art Nichtangriffspakt geschlossen. Schmerzhaft ist | |
| der Verlust der drei nordöstlichen Provinzen nur deshalb, weil dort Syriens | |
| ohnehin bescheidene Öl- und Gasvorkommen liegen. Rakka ist weitgehend in | |
| IS-Hand. Hassaka wird von den Kurden dominiert, die sich vielerorts dem IS | |
| entgegenstellen. Deir al-Sor, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, ist | |
| zweigeteilt und beide Seiten, IS und Regime, belagern die jeweils | |
| gegnerischen Stadtviertel, was eine Hungerblockade für mehr als 200.000 | |
| Zivilisten bedeutet. | |
| Im Norden und Süden des Landes droht Assads Brückenkopfstrategie nun nicht | |
| mehr zu funktionieren. Neben Idlib ist fast die gesamte Provinz Aleppo | |
| unter Kontrolle verschiedener Rebellenverbände, der IS rückt von Osten vor, | |
| das Regime hält einen Teil der Stadt Aleppo. Die Versuche Assads, die | |
| frühere Wirtschaftsmetropole einzukreisen, um die von der Opposition | |
| kontrollierten Stadtteile in die Knie zu zwingen, sind bislang gescheitert. | |
| Dafür startete das Regime vor zwei Wochen eine erneute Fassbombenoffensive | |
| auf Aleppo – mit der Folge, dass dort jeden Tag Kinder verschüttet werden. | |
| Der IS griff gleichzeitig Stellungen der Rebellen nördlich von Aleppo mit | |
| zwei Autobomben an. Ob Zufall oder Absicht, wieder einmal werden syrische | |
| Kämpfer zwischen Assad und dem IS aufgerieben. Und während die Kurden beim | |
| Kampf um Kobani Unterstützung von der US-geführten Anti-IS-Allianz hatten, | |
| bombardieren die Amerikaner in Idlib und Aleppo höchstens die Nusra-Front. | |
| Dass diese der syrischen Revolution insgesamt mehr schadet als nutzt, haben | |
| Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA) an der Südfront jetzt erkannt. | |
| Sie distanzierten sich von der dschihadistischen Ideologie der Nusra-Front | |
| und forderten sie auf, mit al-Qaida zu brechen. Bis dahin wollen sie nicht | |
| mehr mit al-Nusra zusammenarbeiten. | |
| ## Die nationale Revolution | |
| Anders als die Rebellen im Norden können und müssen die Brigaden im Süden | |
| zu al-Nusra auf Abstand gehen, schließlich werden sie auch von westlichen | |
| Staaten unterstützt. Ein FSA-Sprecher betonte, man wolle der Nusra-Front | |
| nicht den Krieg erklären, aber die Revolution lehne nun mal alle „nicht | |
| syrischen oder transnationalen Ziele“ ab – egal ob diese von staatlichen | |
| oder nicht staatlichen Akteuren verfolgt würden. | |
| Noch bis vor Kurzem hatten FSA-Einheiten, islamistische Gruppen und | |
| al-Nusra auch im Süden kooperiert. In den Provinzen Daraa und Kuneitra | |
| verlor das Regime dadurch an Boden – trotz massiver Verstärkung durch | |
| Hisbollahkämpfer und iranische Milizionäre. | |
| Mehrere strategisch wichtige Orte, einen Militärstützpunkt und den | |
| Grenzübergang Nasib zu Jordanien haben Rebellen in den letzten Wochen | |
| erobert, darunter Kafr Schams, einen Schlüsselstandort zwischen Daraa, | |
| Kuneitra und dem bereits seit Langem von Rebellen gehaltenen Umland von | |
| Damaskus. Sollte Assad seinen Einfluss in Kuneitra und damit auf dem an | |
| Israel grenzenden Golan einbüßen, wäre das geostrategisch ein schwerer | |
| Schlag – nicht nur für ihn, sondern auch für seinen Bündnispartner | |
| Hisbollah. | |
| Faktisch ist Syrien bereits in verschiedene Einflusszonen und multiple | |
| Realitäten zerfallen. Assad ist einer von mehreren Warlords. Je mehr er in | |
| Bedrängnis gerät, desto stärker wird er sich auf sein Kerngebiet | |
| konzentrieren und überall sonst möglichst viel Terror verbreiten, damit | |
| dort, wo er unterliegt, am Ende wenigstens der IS obsiegt und nicht die | |
| Gemäßigten gewinnen. Solange der IS international den meisten Schrecken | |
| verbreitet, kann Assad ungestraft tun, was er will, und bekommt die | |
| Unterstützung, die er braucht, um an der Macht zu bleiben. | |
| 27 Apr 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Kristin Helberg | |
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