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# taz.de -- Syrische Oppositionelle über Revolution: „Eines Tages kehren wir…
> Sofie Haddad arbeitete für die syrische Opposition und erinnert daran,
> wie die gescheiterte Revolution begann und wie sie sich zu einer Fratze
> verzog.
Bild: Mittlerweile sind viele Kämpfer der Freien Syrischen Armee geflüchtet
taz: Frau Haddad, wie sah Ihr Leben vor der Revolution aus?
Sofie Haddad: Ich war eine ganz normale junge Frau und habe Archäologie in
Damaskus studiert. Aber das Leben war in meinen Augen schon länger
irgendwie sinnlos. Egal, wie hart man arbeitete, wer nicht reich war oder
gute Kontakte mit dem syrischen Regime pflegte, konnte kaum etwas aus sich
machen. Ich war frustriert. Und dann kam im Februar 2011 ein Freund aus
Homs auf mich zu und sagte: Morgen werden wir das syrische Regime stürzen.
Bist du dabei? Und ich sagte selbstbewusst Ja. Mit anderen Studenten
planten wir dann eine Demonstration vor dem Innenministerium in Damaskus.
Hatten Sie keine Angst?
Am Abend vor der Demonstration gingen wir durch die Altstadt von Damaskus,
als ob wir uns vom alten Syrien verabschieden wollten. Wir waren voller
Hoffnung. Doch als wir uns am nächsten Morgen versammelten, begannen
syrische Soldaten eine Hetzjagd auf die Demonstranten. Sie drückten
Menschen zu Boden und schlugen auf sie ein. Ich rannte so schnell ich
konnte davon. Später traf ich andere, die auch davongekommen waren. Wir
starrten einander an und erst da kroch eine unbeschreibliche Angst langsam
in uns hoch. Mit so viel Brutalität von Seiten des Regimes hatten wir nicht
gerechnet. Wir fühlten uns, als hätten wir das Tor zur Hölle geöffnet.
Im April 2011 erschossen syrische Soldaten in Homs einundzwanzig
Demonstranten. War die Idee einer friedlichen Revolution hinfällig?
Wir hatten gesehen, wie die Regime in Tunesien und Ägypten gestürzt wurden.
Natürlich ging dort alles schneller und teils einfacher, als wir es in
Syrien erwarteten. Wir wussten, dass wir mit Blut bezahlen werden. Dass man
uns gefangen nehmen, foltern und erschießen würde. Aber wir wollten das
Regime stürzen. Wir wollten einen Neustart. Zu dem Zeitpunkt konnte sich
aber noch niemand ausmalen, dass man uns ein paar Monate später in Grund
und Boden bomben würde.
Es entstand ein bewaffneter Widerstand gegen das Assad-Regime. Was ist die
Freie Syrische Armee (FSA) eigentlich?
Nach Homs verübte das Regime weitere Massaker in Dschisr al-Schughur,
Idlib, Banias und in anderen Städten. Viele syrische Soldaten verweigerten
aber den Befehl, auf wehrlose Demonstranten zu schießen und desertierten.
Sie schloßen sich dann zur Freien Syrischen Armee zusammen, um die
Zivilisten an den Brennpunkten zu verteidigen. Im Gegenzug versorgten die
Zivilisten die Soldaten mit allem, was sie brauchten: Unterkünfte, Essen,
Zigaretten und Medizin.
Auch Sie haben sich der Freien Syrischen Armee angeschlossen. Warum?
Ich habe nicht einfach nur demonstriert, ich war eine Vollblutaktivistin
und reiste im Land herum. Doch ich fühlte mich schutzlos, denn ich kannte
keine einflussreichen Personen, die mir im Falle des Falles aus der Klemme
hätten helfen können. Also nahm ich Kontakt mit den Leuten auf, die die FSA
unterstützten – zu meinem Schutz. Gleichzeitig bewarb ich mich im syrischen
Kulturministerium um eine Arbeitsstelle als Archäologin in Deraa in
Südsyrien, wo schon viele Demonstranten erschossen wurden. Ich bekam den
Job und konnte von da an die FSA mitversorgen – bezahlt vom syrische
Regime.
Wann war Ihnen klar, dass Sie sich im Krieg befanden?
Im März 2012 baten mich befreundete Aktivisten, nach Homs zu reisen, um die
Bombardierung durch die syrische Luftwaffe zu dokumentieren und die Videos
auf YouTube hochzuladen. Die Welt sollte das Ausmaß des Grauens vor Ort
sehen. Tatsächlich betrat ich eine Stadt des Todes. In Deraa und Damaskus
schossen sie auf uns. In Homs waren ganze Straßen dem Erdboden
gleichgemacht worden, und unter den eingestürzten Häusern waren immer noch
etliche Leichen verschüttet. Da wurde mir klar, dass die Offensive in Homs
der Anfang eines langen Krieges sein würde.
Wie kann man mit einer derart apokalyptischen Realität umgehen?
Das hört sich verrückt an. Aber ich habe so viele Tote vor meiner Kamera
gehabt und habe trotzdem weitergemacht. Dass ich selbst noch am Leben war,
dass ich bis jetzt überlebt hatte, gab mir eine Art Adrenalinkick. Ich saß
elf Tage in Homs fest, während pro Minute 48 Mörser und drei Raketen in
unmittelbarer Nähe einschlugen. Danach fühlte ich mich unverwundbar.
Islamistische Kräfte wie die Nusra-Front schlossen sich der FSA im Kampf
gegen das Assad-Regime an. Sie wirken wie jemand, der eine säkulare
Weltordnung vorzieht. Dennoch arbeiteten Sie später auch mit den Islamisten
zusammen. Warum?
Ich hatte Angst. Das Gesicht der Revolution verzog sich zu einer Fratze.
Und das konnte ich nicht geschehen lassen. Es war immer noch unsere
Revolution. Wäre ich an diesem Punkt ausgestiegen, hätten die Islamisten
unsere ganze harte Arbeit für sich beansprucht. Deshalb blieb ich. Die
Nusra-Front war außerdem auf mich angewiesen, denn ich koordinierte die
Schmugglerroute von Jordanien über Damaskus nach Homs bis in den Libanon
mit. Meine Hauptaufgabe war es, den Transport von medizinischen Hilfsgütern
zu regeln. Dafür hatte ich ein großes Netzwerk aus Doktoren und Aktivisten
aufgebaut, um die medizinische Versorgung in den umkämpften Regionen zu
sichern.
Und Sie wurde einfach so als weibliche Aktivistin akzeptiert?
Natürlich haben einige Männer der Nusra-Front versucht, mir das Kopftuch
aufzuzwingen. Aber ich stand unter dem Schutz des Nusra-Prinzen, des
sogenannten Emirs. Ein Anruf genügte, und man ließ mich sogar in kurzen
Hosen eintreten. Die meisten Medienaktivisten waren zwar Männer, aber sie
waren nicht so gut wie ich. Einmal schmuggelte ich 20 Kameras aus dem
Herzen von Damaskus durch 18 Checkpoints des syrischen Regimes und wurde
dabei nicht erwischt. Das hat mir viel Anerkennung eingebracht. In der FSA
war mein Deckname Abu Arab – Vater des Arab. Der Namenszusatz Abu wird
normalerweise nur für Männer benutzt.
Im März 2014 brachen sie Ihre Arbeit mit der Nusra-Front und der FSA in
Syrien plötzlich ab. Was war geschehen?
Der sogenannte Islamische Staat begann in Syrien zu wüten. Er und das
syrische Regime eröffneten die Jagd auf Medienaktivisten. Auch in den
Reihen der FSA waren Verräter, die die Positionen von Aktivisten
preisgaben. Ich konnte niemandem mehr trauen. Dann kamen Gerüchte auf, dass
jemand dem Regime meinen wahren Namen verraten hätte. Ich packte sofort
meine Sachen und reiste in den Libanon. Zwei Wochen später wurden
Medienaktivisten und medizinische Helfer in der Nähe meines Hauses in
Damaskus bombardiert. Mein Verlobter, der mit der FSA kämpfte, starb
während eines Einsatzes. Insgesamt verlor ich im März 2014 auf einen Schlag
76 Personen, die mir nahestanden. Jeden Tag las ich bis zu fünf
Todesanzeigen auf Facebook. Es war nicht mehr sicher für mich in Syrien.
Wer ist jetzt noch im Sinne der Revolution von 2011 in Syrien aktiv?
Kaum jemand; die FSA liegt am Boden. Einige Aktivisten sind in Syrien
untergetaucht. Andere sind nach Europa, Kanada oder in die USA gereist. Ich
respektiere deren Entscheidung. Sie verdienen eine Pause, damit sie sich
von den letzten vier Jahren erholen können. Es hilft nichts, wenn sie in
Syrien bleiben und sterben. Ich bin Archäologin und ich weiß, dass in
diesem Teil der Welt etliche Kriege stattgefunden haben. Aber das hat uns
nicht davon abgehalten, eine einzigartige Kultur, Sprache, Musik und Kunst
zu erschaffen. Eines Tages werden wir zurückkehren als Doktoren,
Ingenieure, Poeten und unser Land gemeinsam neu aufbauen.
War es das wert?
Die Revolution war es wert. Das syrische Volk hat den ganzen Schmerz der
letzten Jahre nicht verdient, aber ich sage immer wieder, wir wollten eine
friedliche Lösung. Und ich glaube, wir einfachen Syrer sind bis zum
heutigen Tag die einzigen, die wollen, dass dieser Krieg endlich endet.
4 May 2015
## AUTOREN
Juliane Metzker
## TAGS
Revolution
Schwerpunkt Syrien
Al-Nusra-Front
Syrischer Bürgerkrieg
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Feminismus
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