# taz.de -- Staatslobbyismus: Der Wirtschaftstrojaner | |
> Wie die Wirtschaft sich im Staat einnistet: das Märchen von der | |
> öffentlich-privaten Partnerschaft. Eine Firma maßgeschneidert nach den | |
> Interessen der Industrie. | |
Bild: Die Elbphilharmonie. Derzeitiger "Festpreis" für die Stadt Hamburg: 323 … | |
Die Mär lautete: Der Staat ist fett und träge. Die Wirtschaft macht es | |
besser. Diese bis zur Finanzkrise gültige Formel der Marktliberalen wurde | |
genutzt, um ein Dickicht von Interessenverflechtungen aufzubauen und zu | |
legitimieren. So entstand in Deutschland eine Beratungsfirma, an der sich | |
der Staat beteiligt und zugleich Großbanken, Baukonzerne und Berater: die | |
"ÖPP Deutschland AG". | |
Diese Firma gibt Empfehlungen ab, wie Kommunen, Länder oder Bundesbehörden | |
ihre Infrastrukturprojekte finanzieren sollen: konventionell oder ebenfalls | |
als öffentlich-privates Projekt. Sie präsentiert sich als unabhängige | |
Institution. Doch schon die Konstruktion legt eine Befangenheit nahe. Nach | |
Recherchen der taz verfestigt sich der Verdacht, dass es hier vor allem um | |
eins geht: Bereicherung. | |
Das beginnt schon mit der Ursprungsidee. Die stammt von der | |
Unternehmensberatung McKinsey, einem klandestinen Konglomerat von Banken | |
und britischen Topjuristen. Das belegen vertrauliche Dokumente, die der taz | |
vorliegen. Die Spindoktoren unterbreiteten 2007 Vertretern von Bundes- und | |
Landesministerien ihrer Pläne für diese Firma. | |
Kurze Zeit später schon hob das Bundesfinanzministerium (BMF) die "ÖPP | |
Deutschland AG" aus der Taufe. Die Firma entsprach fast exakt derjenigen, | |
die von Banken und Beratern gewünscht worden war. Der deutsche Steuerzahler | |
finanzierte das Konstrukt zunächst mit über 10 Millionen Euro. | |
Seither arbeiten die Berater dort mit Tagessätzen zwischen 900 und 2.200 | |
Euro. Insgesamt erhielt die ÖPP Deutschland AG für Grundlagenarbeit und | |
Beratungsleistungen 3.424.316,59 Euro vom Staat. Kritiker sagen, mit der | |
ÖPP Deutschland AG würde erstmals der Staat für den Lobbyismus der | |
Industrie selbst aufkommen. | |
## Sowohl privat wie auch öffentlich | |
Welchen Zweck erfüllt diese Firma, in der der Staat mit 57 Prozent die | |
Mehrheit hält, aber 43 Prozent der privaten Wirtschaft gehören? Die | |
spezielle Konstruktion ist sowohl privat wie auch öffentlich. Das ist vor | |
allem nützlich, weil die Mitarbeiter bei der Kundenberatung auf ihren | |
staatlichen Charakter verweisen können. Das klingt nach Objektivität. | |
Dass auch die Konzerne beteiligt sind, wird nicht betont. Das Vertrauen, | |
das die vermeintliche Staatlichkeit ausstrahlt, ist Gold wert. Die | |
Kundschaft schätzt das Etikett der Staatlichkeit. Denn die Kundschaft ist | |
der Staat selbst: die Kommunen, Städte, Länder und der Bund. | |
Die berät die ÖPP Deutschland AG in Fragen der Teilprivatisierung. Sie | |
agiert in einem äußerst komplexen Geschäftsfeld, in dem ebenjene Konzerne | |
Platzhirsche sind, die sich an der ÖPP Deutschland AG beteiligen. Und jene | |
Banken, die diese Firma erfanden. Das Who-is-Who der deutschen Wirtschaft: | |
von der Deutschen Bank bis zu Hochtief, rund 70 Firmen. | |
Die Firma arbeitet im Bereich der öffentlich-privaten "Partnerschaften", | |
lange verwendete die Branche den englischen Begriff: Public Private | |
Partnership. Die Abkürzungen lauten ÖPP oder PPP. | |
Der Markt mit öffentlich-privaten "Partnerschaften" wurde so für Banken, | |
Berater und Baukonzerne immer größer, allein in den letzten zehn Jahren | |
investierte die öffentlichen Hand rund 6,7 Milliarden Euro, mit steigender | |
Tendenz. Die wortreichen Berater mit sechsstelligen Gehältern haben es | |
immer leichter, die Beamten in Städten und Kommunen zu "überzeugen". Das | |
Geschäftsfeld ist mittlerweile zum Selbstläufer geworden. Das ist der | |
Erfolg der geschickten Interessenpolitik. | |
Denn die Zahlen unabhängiger Stellen zeichnen ein anderes Bild. Eines, in | |
dem die Adjektive nicht "effizient" und "wirtschaftlich" lauten. Erst im | |
September 2011 veröffentlichten die Landesrechnungshöfe einen gemeinsamen | |
Bericht über öffentlich-private Partnerschaften. Die dort untersuchten | |
Projekte im Gesamtwert von 3,2 Milliarden Euro erwiesen sich als eher | |
nachteilig für die öffentlichen Auftraggeber. Der wirtschaftliche Nutzen | |
öffentlich privater Partnerschaften fällt einseitig aus: zugunsten der | |
Wirtschaft. | |
Entscheidend ist die Funktion der "ÖPP Deutschland AG" - eine Firma, | |
maßgeschneidert nach den Interessen der Industrie. Das sieht auch einer der | |
Initiatoren so, wie als "vertraulich" gekennzeichnete Dokumente belegen. | |
Klaus Droste, Topmanager der Deutschen Bank, kam im Jahr 2000 von McKinsey | |
zur Deutschen Bank. Dort wurde er beim Global Investmentbanking Leiter der | |
Sparte Europa - direkt unter Josef Ackermann, dem späteren Bankchef. | |
## Der Deal Flow | |
In einem Strategiepapier beklagt Klaus Droste am 13. Februar 2007: "Ein | |
echter ,Deal Flow' ist bislang trotz starken Interesses der Bauwirtschaft | |
und Finanzindustrie nicht zustande gekommen. […] Das Image von PPP in der | |
Öffentlichkeit ist eher negativ." Doch er sieht jetzt die Chance, das zu | |
ändern. Mit Hilfe von Politikern. | |
"Insbesondere auch das derzeit durch die Führung insbesondere des BMF | |
gegebene Momentum pro PPP könnte von der IFD (Initiative Finanzstandort | |
Deutschland, Anm. d. Red.) dazu genutzt werden, eine völlig neue Initiative | |
zu starten: die Schaffung einer von Privatwirtschaft und öffentlicher Hand | |
getragenen Beratungsgesellschaft für PPP-Projekte – Arbeitstitel | |
,Partnerschaften Deutschland GmBH (PDG)' – mit maßgeschneidertem Auftrag | |
und Struktur." | |
Maßgeschneidert für die Wirtschaft, in Kooperation mit dem | |
Bundesfinanzministerium. Ideal, denn "die enge Anbindung an das BMF" sei | |
"entscheidend", so Droste. Daraus ergebe sich eine "abgeleitete Macht: Die | |
PDG muss Schlagkraft erhalten idealerweise durch die Etablierung von | |
,abgeleitetem' formalem und informellem Einfluss über vom BMF gesteuerte | |
Anreiz- und Sanktionsmechanismen", heißt es unverhohlen. | |
Sein Strategiepapier erarbeitet der Banker Droste im Auftrag der Initiative | |
Finanzstandort Deutschland (IFD). Diese Topbankerloge wurde 2003 gegründet, | |
begleitet von feierlichen Worten des damaligen Bundesbankchef Ernst | |
Welteke. Die IFD wurde 2011 aufgelöst. Sämtliche Spuren der eigenen | |
Internetpräsenz sind aus dem Netz getilgt. Ihr Sprecher war: Josef | |
Ackermann, der Boss von Klaus Droste, dem die enge Beziehung ins | |
Finanzministerium so am Herzen lag. | |
So verwundert es auch nicht, dass als Kontakt für die "PR-Steuerungsgruppe" | |
der IFD im gleichen Jahr Torsten Albig (SPD), der Pressesprecher des | |
damaligen Bundesfinanzministers Peer Steinbrück (SPD), aufgeführt wird. | |
Albig kam als Konzernsprecher von der Dresdner Bank AG. Heute ist er | |
Spitzenkandidat seiner Partei für die Landtagswahl in Schleswig-Holstein. | |
Das Bundesfinanzministerium (BMF) selbst war seit Gründung 2003 Mitglied | |
der IFD. | |
Und auch die Ursprünge der ÖPP Deutschland AG führen zur Initiative | |
Finanzstandort Deutschland und zu Klaus Droste und der "Initiativgruppe" | |
zur Gründung dieser Firma. Die Arbeitsgruppe nannte sich: "IFD-Initiative | |
,Partnerschaften Deutschland GmbH' ". Der erste Name der späteren ÖPP | |
Deutschland AG. | |
## Klare Interessenkollision | |
Stets waren Vertreter verschiedener Ministerien eingeweiht. Am 12. Juni | |
2007 um 19 Uhr treffen sich laut Protokoll der Initiative Finanzstandort | |
Deutschland, das der taz vorliegt, 23 Banker und vier Vertreter der | |
öffentlichen Hand in der KfW-Bankengruppe in Berlin. Der "Lenkungsausschuss | |
Initiativgruppe PDG" tagt. Die öffentlich-privaten Partner sind sich | |
parteiübergreifend einig: Walter Arnold (CDU), Staatssekretär im hessischen | |
Finanzministerium der damaligen Regierung von Roland Koch, regt die | |
"Entsendung von Mitarbeitern der Gesellschafter der | |
Beteiligungsgesellschaft" an. | |
In dieser Gesellschaft sind die privaten Firmen organisiert, die Anteile an | |
der ÖPP Deutschland AG halten. Es wird also ein personeller Wechsel von | |
Mitarbeitern jener Firmen angeregt, die von den Beratungsempfehlungen der | |
ÖPP Deutschland AG abhängen. Eine klare Interessenkollision. | |
Unterstützung erfährt Arnold von Hermann-Josef Lamberti, Vorstandsmitglied | |
der Deutschen Bank. Lediglich der Vertreter der Bayern LB, Stefan Georg, | |
"verwies auf die rechtliche Problematik der Entsendung von Mitarbeitern der | |
Gesellschafter der Beteiligungsgesellschaft in die PDG". | |
Die IFD hatte eine britische Kanzlei mit der juristischen Konstruktion der | |
ÖPP Deutschland AG beauftragt, die in diesem Sektor weltweit führend ist: | |
Freshfields Bruckhaus Deringer. Die legt am 5. Juli 2007 ein 229-seitiges | |
[1][Gutachten] vor. Darin geht es unter anderem darum, wie für die Kommunen | |
die Beratung durch die ÖPP Deutschland AG nahezu zum Zwang wird. | |
Vertreter der kommunalen Spitzenverbände unterzeichnen demnach eine | |
"Rahmenvereinbarung" mit der ÖPP Deutschland AG. Die Kommunen können dann | |
bei allen Partnerprojekten "möglichst unkompliziert und u. U. sehr schnell | |
ohne vorherige, ggf. europaweite Ausschreibung der Beraterleistung auf die | |
PDG zurückgreifen." | |
## Der unhinterfragte TÜV | |
Die sogenannten Begutachtungen durch die ÖPP Deutschland AG sollen zur | |
Regel werden. Sie sollen zu einem möglichst unhinterfragten TÜV in Sachen | |
öffentlich-privater Partnerschaften werden. Walter Arnold vom hessischen | |
Finanzministerium, heißt es im Protokoll, "sprach sich dafür aus, die PDG | |
als Gütesiegel zu etablieren, das für die Wirtschaftlichkeit der Projekte | |
steht". Rolf Ulrich, Commerzbank, "unterstütze den Gedanken". Zudem: "Hr. | |
Ulrich verwies auf das starke Interesse der Kommunen an der PDG, da diese | |
das ,Gesicht des Bundes' trägt". | |
Die Juristen von Freshfields flankieren diese Idee sehr subtil. Statt von | |
TÜV sprechen sie von der "Zertifizierungswirkung gegenüber der öffentlichen | |
Hand". Sie schlagen vor, "dass im Falle einer PDG-Beratung keine weiteren | |
Prüf- und Kontrollerfordernisse mehr erforderlich werden". Konkret: "Es | |
stellt sich die Frage, ob die Regierungen (Landesregierungen, Anm. d. Red.) | |
diese Kontrolle durch eine Dienstanweisung oder Verwaltungsvorschrift | |
einschränken können." | |
Die gesetzliche Aufsicht soll ausgehebelt werden. Auch bezogen auf die | |
lästigen Rechnungshöfe gibt es einen Vorschlag: "Danach kann der | |
Bundesrechnungshof nach seinem Ermessen die Prüfung beschränken und | |
Rechnungen ungeprüft lassen. Entsprechende Vorschriften gibt es auf | |
Länderebene." Die Anregung: "dass der jeweilige Rechnungshof z. B. auf eine | |
Überprüfung der Wirtschaftlichkeitsberechnung … verzichten kann, weil er | |
keinen Anlass für die Fehlerhaftigkeit der Berechnung der PDG sieht und von | |
deren Fehlerlosigkeit ausgeht". | |
Und zusammenfassend: "Die Zertifizierungswirkung gegenüber den | |
Kommunalaufsichten könnte sich dahingehend entfalten, dass die | |
Kommunalaufsicht bei PPP-Projekten, die von der PDG beraten wurden, ihren | |
Prüfungsmaßstab verringert oder diesen PPP-Projekte grundsätzlich ohne | |
Prüfung zustimmt." Die Innenministerien der Länder könnten eine Weisung | |
erteilen: "Die Prüfaufsicht könnte also durch Verwaltungsvorschrift | |
beschränkt werden." | |
Ein Einspruch von Mitarbeitern der Bundes- oder Landesministerien gegen die | |
offenkundige Beschneidung gesetzlicher Kontrollinstanzen ist nicht | |
überliefert. | |
"Die ÖPP Deutschland AG zeigt, wie sich die Wirtschaft im Staat einnistet", | |
sagt eine Expertin, die anonym bleiben will. "Dort ist im Gewande der | |
neutralen Beratung eine Lobbyorganisation tätig, die den Kommunen im | |
Auftrag der Finanzindustrie einen überhelfen soll", sagt der grüne | |
Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter, der viele Anfragen zum Thema an die | |
Regierung stellt. | |
Beim Treffen der Banker in Juni 2007 ist auch Johannes Schuy als Vertreter | |
des Bundesfinanzministerium zugegen. Der Mann, der später Vorstand der ÖPP | |
Deutschland AG wird. Sein Wechsel aus dem Ministerium hat sich finanziell | |
gelohnt: 310.252,86 Euro verdiente er 2010. | |
## Osmose von Wirtschaftsvertretern | |
Sein Vorstandskollege Martin Weber brachte es auf 354.605,83 Euro. 2011 | |
verließ Weber die ÖPP Deutschland AG und wurde von Bernward Kulle abgelöst. | |
Es wundert nicht, dass Kulle zuvor Vorstandsmitglied der Hochtief | |
Concessions AG war. Des Konzerns, der im Geschäft mit öffentlich-privaten | |
Partnerschaften viel Geld verdient. Von den rund 6,7 Milliarden Euro | |
Gesamtvolumen seit 2002 entfielen circa 4,4 Milliarden auf den Hochbau und | |
rund 2,3 Milliarden auf den Straßenbau, schreiben die Kollegen aus dem BMF. | |
In der heiklen Rechtskonstruktion der ÖPP Deutschland AG ist nicht nur die | |
Osmose von Wirtschaftsvertretern zu beobachten. Auch Mitarbeiter des | |
Bundesfinanzministerium wechseln fleißig hin und her. Im Ministerium selbst | |
gibt es einen Referenten und eine Mitarbeiterin, die für die AG zuständig | |
sind. Ein Kenner sagt, der Sprung in die ÖPP Deutschland AG sei eine | |
Adelung für die Ministerialen. So kam beispielsweise Karl-Heinz Nöhrbaß | |
2009 als Referent aus dem BMF in die ÖPP Deutschland AG und wurde | |
Prokurist. 2011 kehrte er als Referatsleiter zurück in BMF. | |
Praktischerweise ist Franz Drey im Aufsichtsrat der AG. Hauptberuflich ist | |
er stellvertretender Chefredakteur des Behörden Spiegel, Auflage ca. | |
100.000. Diese Personalie findet der Grüne Anton Hofreiter "extrem | |
interessant. Eigentlich sollte der Behörden Spiegel neutral informieren. | |
Ich weiß nicht, ob das den Lesern auf kommunaler Ebene bewusst ist." | |
Der Behörden Spiegel, die Fachzeitung der deutschen Beamten, liefert eine | |
ÖPP-Freudenfeuerwerk. Pressemitteilungen der ÖPP Deutschland AG werden | |
mitunter übernommen. Gemeinsam mit dem BPPP, dem Bundesverband Public | |
Private Partnership, also den offiziellen Cheflobbyisten, lobt der Behörden | |
Spiegel den "Innovationspreis PPP" aus. 2011 gewann in der Rubrik Freizeit | |
das Freibad Trier Süd. | |
Auch im Rechnungshofbericht taucht das Projekte auf – es wird gerügt: Die | |
angeblich vorbildliche öffentlich-private Partnerschaft ergab tatsächlich | |
einen "Barwertnachteil von 3,2 Millionen Euro" gegenüber herkömmlicher | |
Finanzierung. 2008 bekommen die Kindertagesstätten Halle (Saale) den | |
Innovationspreis PPP. Auch dieses Projekt rubrizieren die Rechnungsprüfer | |
Ende 2011 als Negativbeispiel. | |
## Manipulierbar, weil geheim | |
Die Berechnung der Wirtschaftlichkeit, auf denen die Entscheidung für oder | |
gegen eine öffentlich-private Partnerschaft fußt, ist oft ein Kniff, um | |
ÖPP-Projekte gegenüber herkömmlichen Projekten Vorteile zu verschaffen, | |
sagen Kritiker wie der Betriebswirt Holger Mühlenkamp von der Deutschen | |
Verwaltungshochschule in Speyer. Dabei handele es sich zumeist um | |
Prognosen. Der durchschnittliche Effizienzgewinn werde systematisch | |
"überschätzt". | |
"Es ist das Problem von Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen, dass sie in der | |
Regel manipulierbar sind, vor allem wenn sie geheim sind", sagt Hofreiter. | |
Eine Antwort zum Auftragsvolumen und den konkreten Aufträgen der ÖPP | |
Deutschland AG bekommt Hofreiter nicht von der Bundesregierung. Sie stuft | |
die Antwort als "VS - vertraulich" ein. | |
Es gehe hier um "schützenswerte Geschäftsgeheimnisse der ÖPP Deutschland | |
AG". Bei einer Firma, die sich mit dem Etikett des Öffentlichen brüstet und | |
die die öffentliche Hand über die Qualität privater Angebote beraten soll, | |
ist dies Geheimniskrämerei besonders pikant. | |
Renommierte Experten nennen die ÖPP Deutschland AG "zwielichtig". Holger | |
Mühlenkamp sagt, "es ist naiv, zu glauben, dass die Beteiligten keine | |
eigenen Interessen verfolgen". | |
Dass sich so viele Politiker trotzdem auf ÖPP einlassen, hat einen simplen | |
Grund. Durch die Stückelung der Zahlung auf einen Zeitraum von bis zu 30 | |
Jahren lassen sich Haushaltsbeschränkungen umgehen und Lasten in die | |
Zukunft verschieben. Mühlenkamp sagt, "die Schuldenbremse ist keine gute | |
Nachricht für den Steuerzahler" - sie wirke wie ein Anreizprogramm für ÖPP. | |
Als wäre das geplant. | |
## Die A1 | |
Der Auftrag: 2008 vergibt das Bundesverkehrsministerium den Auftrag zur | |
Sanierung, Verbreiterung und Betrieb der A1 zwischen Bremen und Hamburg an | |
ein Konsortium unter Führung des Hochbauriesen Bilfinger Berger. | |
Die Vertag läuft über 30 Jahre. Im Gegenzug erhält das Konsortium einen | |
monatlichen Anteil an der Maut: je mehr LKW den Abschnitt passieren, um so | |
höher die Einnahmen. Die genauen Regelungen bleiben geheim. | |
Der Bau: Nicht geheim bleiben die Konsequenzen: Trotz zahlreicher | |
Baustellen, Fahrspurverengungen und verkürzten Ausfahrten lässt man den | |
Verkehr auf vollen Touren weiterlaufen, so dass der Abschnitt bald zum | |
gefährlichsten im deutschen Autobahnnetz wird. Die Unfälle häufen sich, | |
doch leider hat man sich auch die üblichen Rettungsgassen für Feuerwehr und | |
Krankenwagen gespart. | |
Anklagen führen dazu, dass einige Umleitungen gebaut werden, Warnanlagen | |
und Umleitungsschilder müssen jedoch vom Staat bezahlt werden – die | |
Investoren machen hier geltend, dass dies, in einem Vertragswerk von | |
immerhin 36.000 Seiten, nicht geregelt sei. Einblick dürfen Abgeordnete | |
ohnehin nur in der Geheimschutzstelle des Bundestages nehmen, und was sie | |
zu lesen bekommen, darf der Öffentlichkeit nicht weitergeben werden. | |
Bal nach der Sanierung zerbröselt der Belag. Ein von Bilfinger Berger | |
bestelltes Gutachten, kommt zu dem Schluss, dass nicht der Investor, | |
sondern das Material die Schuld trage. | |
Der Rechnungshof bemängelt nicht nur die Vergabepraxis des Bundes, die | |
darauf verzichtete, einen Kostenvoranschlag für ein konventionelles | |
Finanzierungsmodell zu erstellen. Zudem wird das sogenannte | |
Lebenszykluskonzept grundsätzlich kritisiert. Es ist gerade dieses Konzept, | |
auf das sich ÖPP-Befürworter immer wieder gerne berufen, um die | |
vermeintliche höhere Wirtschaftlichkeit und Sorgfalt und Qualität von | |
ÖPP-Projektrealisierungen zu behaupten. Demgegenüber stellt der | |
Rechnungshof fest, dass die Privaten sich weniger am Lebenszyklus | |
orientieren, sondern an der Vertragslaufzeit. Gebaut und gepflegt wird | |
dementsprechend nur in dem Zukunftshorizont, der im Falle der A1 auf 30 | |
Jahre berechnet wird. Nachhaltigkeit sieht anders aus. | |
## Das Forschungsministerium | |
Der Neubau des Bundesforschungsministeriums wird das erste zivile | |
Bundesgebäude, das als PPP-Projekt realisiert wird. Es ist ebenfalls das | |
erste Projekt auf Bundesebene, bei dem die Partnerschaften Deutschland AG | |
mit der Projektsteuerung, wirtschaftlichen Beratung und Durchführung des | |
Vergabeverfahrens beauftragt wurde. | |
Das Projektvolumen beträgt 260 Millionen Euro. Den Bauauftrag erhielt ein | |
Konsortium, bestehend aus den Firmen BAM Deutschland AG und Amber | |
Infrastructure. | |
Die BAM Deutschland AG ist ein Tochterunternehmen der niederländischen | |
Royal BAM Group, einer der großen Global Player in der Bauindustrie und im | |
PPP Business. | |
Die BAM Deutschland ist außerdem Gesellschafterin der | |
Beteiligungsgesellschaft der ÖPP Deutschland AG. | |
## Das Stadtbad Trier Süd | |
Projekt: Der Stadtrat beschloss am 29. September 2005, das Südbad zu | |
sanieren. | |
ÖPP-Annahme: Projektiert wurde ein Barwertvorteil bei einer ÖPP-Variante | |
von rund 750.000 Euro. Das wäre gegenüber konventioneller Finanzierung ein | |
Vorteil von 4 Prozent, so die Rechnungsprüfer. | |
Realität: Das Prüfungsergebnis ergab, dass die ÖPP-Variante einen | |
Barwertnachteil von 3,2 Millionen Euro ergab. Das Projekt ist laut | |
Rechnungsprüfern um 21,5 Prozent teurer. | |
Fazit der Rechnungsprüfer: "Die Prüfung ergab, dass fehlerhafte und nicht | |
zutreffende Berechnungsannahmen korrigiert werden mussten, weil die Stadt | |
in ihrer Berechnung eine unwirtschaftliche konventionelle | |
Beschaffungsvariante als Vergleichsmaßstab zugrunde gelegt hatte. … Mit der | |
Stadt Trier konnte über wesentliche Feststellungen kein Konsens erzielt | |
werden. Nach ihrer Auffassung beruhen die maßgeblichen Differenzen in den | |
Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen der Stadt und des Rechungshofs." | |
## Die Elbphilharmonie | |
Die Vergabe: 2006 erhält der Baukonzern Hochtief den Zuschlag zur | |
Realisierung des kulturellen Prestigeprojektes Elbphilharmonie in Hamburg. | |
Versprochen wird ein Festpreis 241 Millionen Euro, 114 Millionen übernimtm | |
die Hamburger Bürgerschaft. | |
Die Verzögerung: Bei Baubeginn 2007 wurde die Eröffnung für den Sommer 2010 | |
terminiert. 2011 verkündet Hochtief im November 2013 fertig zu werden. | |
Derzeit ist die Rede von einer Eröffnung im April 2014. | |
Die Kostenexplosion: So flexibel wie die Termine, ist auch der Festpreis. | |
Nachdem der Baukonzern zwischenzeitlich wegen Extrakosten mit Baustopp | |
gedroht hatte, wird der "Festpreis" neu verhandelt. Derzeit lautet er für | |
die Stadt Hamburg 323 Millionen Euro. Und während Auftraggeberin und | |
Auftragnehmer sich gegenseitig mit Klagen überziehen, schrauben sich die | |
Kostenschätzungen weiter nach oben im Gleichschritt mit den | |
Eröffnungsprognosen, die sich weiter in die Zukunft verschieben. | |
27 Jan 2012 | |
## LINKS | |
[1] /fileadmin/static/pdf/RechtsgutachtenFreshfields.pdf | |
## AUTOREN | |
Kai Schlieter | |
Eva Berger | |
## TAGS | |
Autobahn | |
Nordrhein-Westfalen | |
LobbyControl | |
Deutsche Bank | |
Betrug | |
ÖPP | |
PPP | |
ÖPP | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Privatisierung der Autobahnen: Erst machen, dann prüfen | |
Die Große Koalition will eine neue Autobahngesellschaft gründen. Dazu muss | |
sie das Grundgesetz ändern. Ob das wirtschaftlicher ist, weiß sie noch | |
nicht. | |
EnergieAgentur.NRW: Fragwürdige Interessenverflechtung | |
Ein privates Unternehmen nimmt für das Land NRW staatliche Aufgaben wahr. | |
Die taz und das ARD-Magazin Monitor enthüllen die Gefahr von Vorteilsnahme. | |
Falschangaben von US-Investmentbank: „Goldmänner“ haben gepfuscht | |
Die US-Investmentbank Goldman Sachs korrigiert Angaben zum Lobbying im | |
EU-Register um das Sechzehnfache. Viele Einträge sind nicht auf dem | |
neuesten Stand. | |
Öffentlich-Private Partnerschaften: Gabriels Milliarden-Angebote | |
Der Wirtschaftsminister verspricht neue Infrastruktur. Für Steuerzahler | |
wird das teuer, zeigen interne Papiere. Um das zu kaschieren, soll der | |
ÖPP-Begriff weg. | |
Bonner Bauskandal: Der Investor, der keiner war | |
Beim Bau des Bonner Konferenzzentrums kam es zum Millionenbetrug. Die | |
städtischen Projektleiter stehen deshalb seit Dienstag vor Gericht. | |
Öffentlich-Private Partnerschaften: Gekaufte Inhalte | |
Beim 8. Bundeskongress ÖPP vernetzen sich Wirtschaft und Politik. Gemeinsam | |
verleihen sie Preise, vor denen man weglaufen sollte. | |
Bauingenieur über ÖPP-Machenschaften: „Ich wäre dafür im Knast gelandet“ | |
Manche Politiker haben nichts gegen frisierte Gutachten. Das sei gut für | |
die Bauindustrie und schlecht für die Allgemeinheit, meint | |
Privatisierungskritiker Carl Waßmuth. | |
Öffentlich-Private Partnerschaften: Gekaufte Gutachten | |
Bei der Teilprivatisierung der A6 sollen die Zahlen frisiert worden sein. | |
Verkehrsminister Ramsauer will die Gutachten geheim halten. Mal sehen, was | |
drinsteht. | |
Lobbyismus in Brüssel: EU-Experten fest im Unternehmensgriff | |
Die Beratergruppen der EU-Kommission werden von der privaten Wirtschaft | |
dominiert. Dabei ginge es aber nicht um „politische Entscheidungen“, sagen | |
die Politiker. | |
Öffentlich-private Partnerschaften: Die staatliche Selbstauflösung | |
Die ÖPP Deutschland AG gehört mehrheitlich dem Staat und berät Kommunen bei | |
Teilprivatisierung. An der Unabhängigkeit der Gesellschaft zweifeln einige | |
Parlamentarier. | |
Öffentlich-Private Partnerschaften: Satzungsgemäßes Schmarotzertum | |
Politiker und Initiativen fordern die Auflösung der Öffentlich-Privaten | |
Beratungsgesellschaft ÖPP Deutschland AG. Vorausgegangen war ein | |
"taz"-Bericht. | |
Kommentar öffentlich-private Verträge: Ideologie kommt uns teuer zu stehen | |
Die öffentlich-privaten Verträge offenbaren ein Demokratieproblem. Denn in | |
Deutschland gilt das Prinzip: Je größer ein öffentlicher Auftrag, desto | |
intransparenter ist er. | |
Autor Klaus Wicher über Hamburgs Armut: "Das bedeutet Not pur" | |
Hamburg ist das nach Einkommen und pro Kopf-Vermögen reichste aller | |
Bundesländer und zugleich das Land mit der größten sozialen Ungleichheit. | |
Klaus Wicher hat darüber ein Buch mit dem Titel "Armes Reiches Hamburg" | |
geschrieben. Ein Gespräch über die zunehmende soziale Kluft in der Stadt | |
und den Versuch ihrer Bewohner, sich dagegen zur Wehr zu setzen. | |
Prinzip Privatisierung: Konzerne kassieren, der Bürger zahlt | |
Straßen, Wasser, Schulen: Public Private Partnership ist die Formel des | |
geheimen Ausverkaufs, mit dem die öffentliche Hand seit Jahren Aufgaben | |
privatisiert. | |
Wenn Gemeinden teuer privatisieren: Schuld sind nicht die Neoliberalen | |
Die taz-Enthüllung der Berliner Wasserverträge zeigt: Verkaufen Kommunen an | |
Private, verlieren meist die Bürger. Doch oft haben die Gemeinden gar keine | |
andere Wahl. |