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# taz.de -- Staatslobbyismus: Der Wirtschaftstrojaner
> Wie die Wirtschaft sich im Staat einnistet: das Märchen von der
> öffentlich-privaten Partnerschaft. Eine Firma maßgeschneidert nach den
> Interessen der Industrie.
Bild: Die Elbphilharmonie. Derzeitiger "Festpreis" für die Stadt Hamburg: 323 …
Die Mär lautete: Der Staat ist fett und träge. Die Wirtschaft macht es
besser. Diese bis zur Finanzkrise gültige Formel der Marktliberalen wurde
genutzt, um ein Dickicht von Interessenverflechtungen aufzubauen und zu
legitimieren. So entstand in Deutschland eine Beratungsfirma, an der sich
der Staat beteiligt und zugleich Großbanken, Baukonzerne und Berater: die
"ÖPP Deutschland AG".
Diese Firma gibt Empfehlungen ab, wie Kommunen, Länder oder Bundesbehörden
ihre Infrastrukturprojekte finanzieren sollen: konventionell oder ebenfalls
als öffentlich-privates Projekt. Sie präsentiert sich als unabhängige
Institution. Doch schon die Konstruktion legt eine Befangenheit nahe. Nach
Recherchen der taz verfestigt sich der Verdacht, dass es hier vor allem um
eins geht: Bereicherung.
Das beginnt schon mit der Ursprungsidee. Die stammt von der
Unternehmensberatung McKinsey, einem klandestinen Konglomerat von Banken
und britischen Topjuristen. Das belegen vertrauliche Dokumente, die der taz
vorliegen. Die Spindoktoren unterbreiteten 2007 Vertretern von Bundes- und
Landesministerien ihrer Pläne für diese Firma.
Kurze Zeit später schon hob das Bundesfinanzministerium (BMF) die "ÖPP
Deutschland AG" aus der Taufe. Die Firma entsprach fast exakt derjenigen,
die von Banken und Beratern gewünscht worden war. Der deutsche Steuerzahler
finanzierte das Konstrukt zunächst mit über 10 Millionen Euro.
Seither arbeiten die Berater dort mit Tagessätzen zwischen 900 und 2.200
Euro. Insgesamt erhielt die ÖPP Deutschland AG für Grundlagenarbeit und
Beratungsleistungen 3.424.316,59 Euro vom Staat. Kritiker sagen, mit der
ÖPP Deutschland AG würde erstmals der Staat für den Lobbyismus der
Industrie selbst aufkommen.
## Sowohl privat wie auch öffentlich
Welchen Zweck erfüllt diese Firma, in der der Staat mit 57 Prozent die
Mehrheit hält, aber 43 Prozent der privaten Wirtschaft gehören? Die
spezielle Konstruktion ist sowohl privat wie auch öffentlich. Das ist vor
allem nützlich, weil die Mitarbeiter bei der Kundenberatung auf ihren
staatlichen Charakter verweisen können. Das klingt nach Objektivität.
Dass auch die Konzerne beteiligt sind, wird nicht betont. Das Vertrauen,
das die vermeintliche Staatlichkeit ausstrahlt, ist Gold wert. Die
Kundschaft schätzt das Etikett der Staatlichkeit. Denn die Kundschaft ist
der Staat selbst: die Kommunen, Städte, Länder und der Bund.
Die berät die ÖPP Deutschland AG in Fragen der Teilprivatisierung. Sie
agiert in einem äußerst komplexen Geschäftsfeld, in dem ebenjene Konzerne
Platzhirsche sind, die sich an der ÖPP Deutschland AG beteiligen. Und jene
Banken, die diese Firma erfanden. Das Who-is-Who der deutschen Wirtschaft:
von der Deutschen Bank bis zu Hochtief, rund 70 Firmen.
Die Firma arbeitet im Bereich der öffentlich-privaten "Partnerschaften",
lange verwendete die Branche den englischen Begriff: Public Private
Partnership. Die Abkürzungen lauten ÖPP oder PPP.
Der Markt mit öffentlich-privaten "Partnerschaften" wurde so für Banken,
Berater und Baukonzerne immer größer, allein in den letzten zehn Jahren
investierte die öffentlichen Hand rund 6,7 Milliarden Euro, mit steigender
Tendenz. Die wortreichen Berater mit sechsstelligen Gehältern haben es
immer leichter, die Beamten in Städten und Kommunen zu "überzeugen". Das
Geschäftsfeld ist mittlerweile zum Selbstläufer geworden. Das ist der
Erfolg der geschickten Interessenpolitik.
Denn die Zahlen unabhängiger Stellen zeichnen ein anderes Bild. Eines, in
dem die Adjektive nicht "effizient" und "wirtschaftlich" lauten. Erst im
September 2011 veröffentlichten die Landesrechnungshöfe einen gemeinsamen
Bericht über öffentlich-private Partnerschaften. Die dort untersuchten
Projekte im Gesamtwert von 3,2 Milliarden Euro erwiesen sich als eher
nachteilig für die öffentlichen Auftraggeber. Der wirtschaftliche Nutzen
öffentlich privater Partnerschaften fällt einseitig aus: zugunsten der
Wirtschaft.
Entscheidend ist die Funktion der "ÖPP Deutschland AG" - eine Firma,
maßgeschneidert nach den Interessen der Industrie. Das sieht auch einer der
Initiatoren so, wie als "vertraulich" gekennzeichnete Dokumente belegen.
Klaus Droste, Topmanager der Deutschen Bank, kam im Jahr 2000 von McKinsey
zur Deutschen Bank. Dort wurde er beim Global Investmentbanking Leiter der
Sparte Europa - direkt unter Josef Ackermann, dem späteren Bankchef.
## Der Deal Flow
In einem Strategiepapier beklagt Klaus Droste am 13. Februar 2007: "Ein
echter ,Deal Flow' ist bislang trotz starken Interesses der Bauwirtschaft
und Finanzindustrie nicht zustande gekommen. […] Das Image von PPP in der
Öffentlichkeit ist eher negativ." Doch er sieht jetzt die Chance, das zu
ändern. Mit Hilfe von Politikern.
"Insbesondere auch das derzeit durch die Führung insbesondere des BMF
gegebene Momentum pro PPP könnte von der IFD (Initiative Finanzstandort
Deutschland, Anm. d. Red.) dazu genutzt werden, eine völlig neue Initiative
zu starten: die Schaffung einer von Privatwirtschaft und öffentlicher Hand
getragenen Beratungsgesellschaft für PPP-Projekte – Arbeitstitel
,Partnerschaften Deutschland GmBH (PDG)' – mit maßgeschneidertem Auftrag
und Struktur."
Maßgeschneidert für die Wirtschaft, in Kooperation mit dem
Bundesfinanzministerium. Ideal, denn "die enge Anbindung an das BMF" sei
"entscheidend", so Droste. Daraus ergebe sich eine "abgeleitete Macht: Die
PDG muss Schlagkraft erhalten idealerweise durch die Etablierung von
,abgeleitetem' formalem und informellem Einfluss über vom BMF gesteuerte
Anreiz- und Sanktionsmechanismen", heißt es unverhohlen.
Sein Strategiepapier erarbeitet der Banker Droste im Auftrag der Initiative
Finanzstandort Deutschland (IFD). Diese Topbankerloge wurde 2003 gegründet,
begleitet von feierlichen Worten des damaligen Bundesbankchef Ernst
Welteke. Die IFD wurde 2011 aufgelöst. Sämtliche Spuren der eigenen
Internetpräsenz sind aus dem Netz getilgt. Ihr Sprecher war: Josef
Ackermann, der Boss von Klaus Droste, dem die enge Beziehung ins
Finanzministerium so am Herzen lag.
So verwundert es auch nicht, dass als Kontakt für die "PR-Steuerungsgruppe"
der IFD im gleichen Jahr Torsten Albig (SPD), der Pressesprecher des
damaligen Bundesfinanzministers Peer Steinbrück (SPD), aufgeführt wird.
Albig kam als Konzernsprecher von der Dresdner Bank AG. Heute ist er
Spitzenkandidat seiner Partei für die Landtagswahl in Schleswig-Holstein.
Das Bundesfinanzministerium (BMF) selbst war seit Gründung 2003 Mitglied
der IFD.
Und auch die Ursprünge der ÖPP Deutschland AG führen zur Initiative
Finanzstandort Deutschland und zu Klaus Droste und der "Initiativgruppe"
zur Gründung dieser Firma. Die Arbeitsgruppe nannte sich: "IFD-Initiative
,Partnerschaften Deutschland GmbH' ". Der erste Name der späteren ÖPP
Deutschland AG.
## Klare Interessenkollision
Stets waren Vertreter verschiedener Ministerien eingeweiht. Am 12. Juni
2007 um 19 Uhr treffen sich laut Protokoll der Initiative Finanzstandort
Deutschland, das der taz vorliegt, 23 Banker und vier Vertreter der
öffentlichen Hand in der KfW-Bankengruppe in Berlin. Der "Lenkungsausschuss
Initiativgruppe PDG" tagt. Die öffentlich-privaten Partner sind sich
parteiübergreifend einig: Walter Arnold (CDU), Staatssekretär im hessischen
Finanzministerium der damaligen Regierung von Roland Koch, regt die
"Entsendung von Mitarbeitern der Gesellschafter der
Beteiligungsgesellschaft" an.
In dieser Gesellschaft sind die privaten Firmen organisiert, die Anteile an
der ÖPP Deutschland AG halten. Es wird also ein personeller Wechsel von
Mitarbeitern jener Firmen angeregt, die von den Beratungsempfehlungen der
ÖPP Deutschland AG abhängen. Eine klare Interessenkollision.
Unterstützung erfährt Arnold von Hermann-Josef Lamberti, Vorstandsmitglied
der Deutschen Bank. Lediglich der Vertreter der Bayern LB, Stefan Georg,
"verwies auf die rechtliche Problematik der Entsendung von Mitarbeitern der
Gesellschafter der Beteiligungsgesellschaft in die PDG".
Die IFD hatte eine britische Kanzlei mit der juristischen Konstruktion der
ÖPP Deutschland AG beauftragt, die in diesem Sektor weltweit führend ist:
Freshfields Bruckhaus Deringer. Die legt am 5. Juli 2007 ein 229-seitiges
[1][Gutachten] vor. Darin geht es unter anderem darum, wie für die Kommunen
die Beratung durch die ÖPP Deutschland AG nahezu zum Zwang wird.
Vertreter der kommunalen Spitzenverbände unterzeichnen demnach eine
"Rahmenvereinbarung" mit der ÖPP Deutschland AG. Die Kommunen können dann
bei allen Partnerprojekten "möglichst unkompliziert und u. U. sehr schnell
ohne vorherige, ggf. europaweite Ausschreibung der Beraterleistung auf die
PDG zurückgreifen."
## Der unhinterfragte TÜV
Die sogenannten Begutachtungen durch die ÖPP Deutschland AG sollen zur
Regel werden. Sie sollen zu einem möglichst unhinterfragten TÜV in Sachen
öffentlich-privater Partnerschaften werden. Walter Arnold vom hessischen
Finanzministerium, heißt es im Protokoll, "sprach sich dafür aus, die PDG
als Gütesiegel zu etablieren, das für die Wirtschaftlichkeit der Projekte
steht". Rolf Ulrich, Commerzbank, "unterstütze den Gedanken". Zudem: "Hr.
Ulrich verwies auf das starke Interesse der Kommunen an der PDG, da diese
das ,Gesicht des Bundes' trägt".
Die Juristen von Freshfields flankieren diese Idee sehr subtil. Statt von
TÜV sprechen sie von der "Zertifizierungswirkung gegenüber der öffentlichen
Hand". Sie schlagen vor, "dass im Falle einer PDG-Beratung keine weiteren
Prüf- und Kontrollerfordernisse mehr erforderlich werden". Konkret: "Es
stellt sich die Frage, ob die Regierungen (Landesregierungen, Anm. d. Red.)
diese Kontrolle durch eine Dienstanweisung oder Verwaltungsvorschrift
einschränken können."
Die gesetzliche Aufsicht soll ausgehebelt werden. Auch bezogen auf die
lästigen Rechnungshöfe gibt es einen Vorschlag: "Danach kann der
Bundesrechnungshof nach seinem Ermessen die Prüfung beschränken und
Rechnungen ungeprüft lassen. Entsprechende Vorschriften gibt es auf
Länderebene." Die Anregung: "dass der jeweilige Rechnungshof z. B. auf eine
Überprüfung der Wirtschaftlichkeitsberechnung … verzichten kann, weil er
keinen Anlass für die Fehlerhaftigkeit der Berechnung der PDG sieht und von
deren Fehlerlosigkeit ausgeht".
Und zusammenfassend: "Die Zertifizierungswirkung gegenüber den
Kommunalaufsichten könnte sich dahingehend entfalten, dass die
Kommunalaufsicht bei PPP-Projekten, die von der PDG beraten wurden, ihren
Prüfungsmaßstab verringert oder diesen PPP-Projekte grundsätzlich ohne
Prüfung zustimmt." Die Innenministerien der Länder könnten eine Weisung
erteilen: "Die Prüfaufsicht könnte also durch Verwaltungsvorschrift
beschränkt werden."
Ein Einspruch von Mitarbeitern der Bundes- oder Landesministerien gegen die
offenkundige Beschneidung gesetzlicher Kontrollinstanzen ist nicht
überliefert.
"Die ÖPP Deutschland AG zeigt, wie sich die Wirtschaft im Staat einnistet",
sagt eine Expertin, die anonym bleiben will. "Dort ist im Gewande der
neutralen Beratung eine Lobbyorganisation tätig, die den Kommunen im
Auftrag der Finanzindustrie einen überhelfen soll", sagt der grüne
Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter, der viele Anfragen zum Thema an die
Regierung stellt.
Beim Treffen der Banker in Juni 2007 ist auch Johannes Schuy als Vertreter
des Bundesfinanzministerium zugegen. Der Mann, der später Vorstand der ÖPP
Deutschland AG wird. Sein Wechsel aus dem Ministerium hat sich finanziell
gelohnt: 310.252,86 Euro verdiente er 2010.
## Osmose von Wirtschaftsvertretern
Sein Vorstandskollege Martin Weber brachte es auf 354.605,83 Euro. 2011
verließ Weber die ÖPP Deutschland AG und wurde von Bernward Kulle abgelöst.
Es wundert nicht, dass Kulle zuvor Vorstandsmitglied der Hochtief
Concessions AG war. Des Konzerns, der im Geschäft mit öffentlich-privaten
Partnerschaften viel Geld verdient. Von den rund 6,7 Milliarden Euro
Gesamtvolumen seit 2002 entfielen circa 4,4 Milliarden auf den Hochbau und
rund 2,3 Milliarden auf den Straßenbau, schreiben die Kollegen aus dem BMF.
In der heiklen Rechtskonstruktion der ÖPP Deutschland AG ist nicht nur die
Osmose von Wirtschaftsvertretern zu beobachten. Auch Mitarbeiter des
Bundesfinanzministerium wechseln fleißig hin und her. Im Ministerium selbst
gibt es einen Referenten und eine Mitarbeiterin, die für die AG zuständig
sind. Ein Kenner sagt, der Sprung in die ÖPP Deutschland AG sei eine
Adelung für die Ministerialen. So kam beispielsweise Karl-Heinz Nöhrbaß
2009 als Referent aus dem BMF in die ÖPP Deutschland AG und wurde
Prokurist. 2011 kehrte er als Referatsleiter zurück in BMF.
Praktischerweise ist Franz Drey im Aufsichtsrat der AG. Hauptberuflich ist
er stellvertretender Chefredakteur des Behörden Spiegel, Auflage ca.
100.000. Diese Personalie findet der Grüne Anton Hofreiter "extrem
interessant. Eigentlich sollte der Behörden Spiegel neutral informieren.
Ich weiß nicht, ob das den Lesern auf kommunaler Ebene bewusst ist."
Der Behörden Spiegel, die Fachzeitung der deutschen Beamten, liefert eine
ÖPP-Freudenfeuerwerk. Pressemitteilungen der ÖPP Deutschland AG werden
mitunter übernommen. Gemeinsam mit dem BPPP, dem Bundesverband Public
Private Partnership, also den offiziellen Cheflobbyisten, lobt der Behörden
Spiegel den "Innovationspreis PPP" aus. 2011 gewann in der Rubrik Freizeit
das Freibad Trier Süd.
Auch im Rechnungshofbericht taucht das Projekte auf – es wird gerügt: Die
angeblich vorbildliche öffentlich-private Partnerschaft ergab tatsächlich
einen "Barwertnachteil von 3,2 Millionen Euro" gegenüber herkömmlicher
Finanzierung. 2008 bekommen die Kindertagesstätten Halle (Saale) den
Innovationspreis PPP. Auch dieses Projekt rubrizieren die Rechnungsprüfer
Ende 2011 als Negativbeispiel.
## Manipulierbar, weil geheim
Die Berechnung der Wirtschaftlichkeit, auf denen die Entscheidung für oder
gegen eine öffentlich-private Partnerschaft fußt, ist oft ein Kniff, um
ÖPP-Projekte gegenüber herkömmlichen Projekten Vorteile zu verschaffen,
sagen Kritiker wie der Betriebswirt Holger Mühlenkamp von der Deutschen
Verwaltungshochschule in Speyer. Dabei handele es sich zumeist um
Prognosen. Der durchschnittliche Effizienzgewinn werde systematisch
"überschätzt".
"Es ist das Problem von Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen, dass sie in der
Regel manipulierbar sind, vor allem wenn sie geheim sind", sagt Hofreiter.
Eine Antwort zum Auftragsvolumen und den konkreten Aufträgen der ÖPP
Deutschland AG bekommt Hofreiter nicht von der Bundesregierung. Sie stuft
die Antwort als "VS - vertraulich" ein.
Es gehe hier um "schützenswerte Geschäftsgeheimnisse der ÖPP Deutschland
AG". Bei einer Firma, die sich mit dem Etikett des Öffentlichen brüstet und
die die öffentliche Hand über die Qualität privater Angebote beraten soll,
ist dies Geheimniskrämerei besonders pikant.
Renommierte Experten nennen die ÖPP Deutschland AG "zwielichtig". Holger
Mühlenkamp sagt, "es ist naiv, zu glauben, dass die Beteiligten keine
eigenen Interessen verfolgen".
Dass sich so viele Politiker trotzdem auf ÖPP einlassen, hat einen simplen
Grund. Durch die Stückelung der Zahlung auf einen Zeitraum von bis zu 30
Jahren lassen sich Haushaltsbeschränkungen umgehen und Lasten in die
Zukunft verschieben. Mühlenkamp sagt, "die Schuldenbremse ist keine gute
Nachricht für den Steuerzahler" - sie wirke wie ein Anreizprogramm für ÖPP.
Als wäre das geplant.
## Die A1
Der Auftrag: 2008 vergibt das Bundesverkehrsministerium den Auftrag zur
Sanierung, Verbreiterung und Betrieb der A1 zwischen Bremen und Hamburg an
ein Konsortium unter Führung des Hochbauriesen Bilfinger Berger.
Die Vertag läuft über 30 Jahre. Im Gegenzug erhält das Konsortium einen
monatlichen Anteil an der Maut: je mehr LKW den Abschnitt passieren, um so
höher die Einnahmen. Die genauen Regelungen bleiben geheim.
Der Bau: Nicht geheim bleiben die Konsequenzen: Trotz zahlreicher
Baustellen, Fahrspurverengungen und verkürzten Ausfahrten lässt man den
Verkehr auf vollen Touren weiterlaufen, so dass der Abschnitt bald zum
gefährlichsten im deutschen Autobahnnetz wird. Die Unfälle häufen sich,
doch leider hat man sich auch die üblichen Rettungsgassen für Feuerwehr und
Krankenwagen gespart.
Anklagen führen dazu, dass einige Umleitungen gebaut werden, Warnanlagen
und Umleitungsschilder müssen jedoch vom Staat bezahlt werden – die
Investoren machen hier geltend, dass dies, in einem Vertragswerk von
immerhin 36.000 Seiten, nicht geregelt sei. Einblick dürfen Abgeordnete
ohnehin nur in der Geheimschutzstelle des Bundestages nehmen, und was sie
zu lesen bekommen, darf der Öffentlichkeit nicht weitergeben werden.
Bal nach der Sanierung zerbröselt der Belag. Ein von Bilfinger Berger
bestelltes Gutachten, kommt zu dem Schluss, dass nicht der Investor,
sondern das Material die Schuld trage.
Der Rechnungshof bemängelt nicht nur die Vergabepraxis des Bundes, die
darauf verzichtete, einen Kostenvoranschlag für ein konventionelles
Finanzierungsmodell zu erstellen. Zudem wird das sogenannte
Lebenszykluskonzept grundsätzlich kritisiert. Es ist gerade dieses Konzept,
auf das sich ÖPP-Befürworter immer wieder gerne berufen, um die
vermeintliche höhere Wirtschaftlichkeit und Sorgfalt und Qualität von
ÖPP-Projektrealisierungen zu behaupten. Demgegenüber stellt der
Rechnungshof fest, dass die Privaten sich weniger am Lebenszyklus
orientieren, sondern an der Vertragslaufzeit. Gebaut und gepflegt wird
dementsprechend nur in dem Zukunftshorizont, der im Falle der A1 auf 30
Jahre berechnet wird. Nachhaltigkeit sieht anders aus.
## Das Forschungsministerium
Der Neubau des Bundesforschungsministeriums wird das erste zivile
Bundesgebäude, das als PPP-Projekt realisiert wird. Es ist ebenfalls das
erste Projekt auf Bundesebene, bei dem die Partnerschaften Deutschland AG
mit der Projektsteuerung, wirtschaftlichen Beratung und Durchführung des
Vergabeverfahrens beauftragt wurde.
Das Projektvolumen beträgt 260 Millionen Euro. Den Bauauftrag erhielt ein
Konsortium, bestehend aus den Firmen BAM Deutschland AG und Amber
Infrastructure.
Die BAM Deutschland AG ist ein Tochterunternehmen der niederländischen
Royal BAM Group, einer der großen Global Player in der Bauindustrie und im
PPP Business.
Die BAM Deutschland ist außerdem Gesellschafterin der
Beteiligungsgesellschaft der ÖPP Deutschland AG.
## Das Stadtbad Trier Süd
Projekt: Der Stadtrat beschloss am 29. September 2005, das Südbad zu
sanieren.
ÖPP-Annahme: Projektiert wurde ein Barwertvorteil bei einer ÖPP-Variante
von rund 750.000 Euro. Das wäre gegenüber konventioneller Finanzierung ein
Vorteil von 4 Prozent, so die Rechnungsprüfer.
Realität: Das Prüfungsergebnis ergab, dass die ÖPP-Variante einen
Barwertnachteil von 3,2 Millionen Euro ergab. Das Projekt ist laut
Rechnungsprüfern um 21,5 Prozent teurer.
Fazit der Rechnungsprüfer: "Die Prüfung ergab, dass fehlerhafte und nicht
zutreffende Berechnungsannahmen korrigiert werden mussten, weil die Stadt
in ihrer Berechnung eine unwirtschaftliche konventionelle
Beschaffungsvariante als Vergleichsmaßstab zugrunde gelegt hatte. … Mit der
Stadt Trier konnte über wesentliche Feststellungen kein Konsens erzielt
werden. Nach ihrer Auffassung beruhen die maßgeblichen Differenzen in den
Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen der Stadt und des Rechungshofs."
## Die Elbphilharmonie
Die Vergabe: 2006 erhält der Baukonzern Hochtief den Zuschlag zur
Realisierung des kulturellen Prestigeprojektes Elbphilharmonie in Hamburg.
Versprochen wird ein Festpreis 241 Millionen Euro, 114 Millionen übernimtm
die Hamburger Bürgerschaft.
Die Verzögerung: Bei Baubeginn 2007 wurde die Eröffnung für den Sommer 2010
terminiert. 2011 verkündet Hochtief im November 2013 fertig zu werden.
Derzeit ist die Rede von einer Eröffnung im April 2014.
Die Kostenexplosion: So flexibel wie die Termine, ist auch der Festpreis.
Nachdem der Baukonzern zwischenzeitlich wegen Extrakosten mit Baustopp
gedroht hatte, wird der "Festpreis" neu verhandelt. Derzeit lautet er für
die Stadt Hamburg 323 Millionen Euro. Und während Auftraggeberin und
Auftragnehmer sich gegenseitig mit Klagen überziehen, schrauben sich die
Kostenschätzungen weiter nach oben im Gleichschritt mit den
Eröffnungsprognosen, die sich weiter in die Zukunft verschieben.
27 Jan 2012
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## AUTOREN
Kai Schlieter
Eva Berger
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