# taz.de -- Autor Klaus Wicher über Hamburgs Armut: "Das bedeutet Not pur" | |
> Hamburg ist das nach Einkommen und pro Kopf-Vermögen reichste aller | |
> Bundesländer und zugleich das Land mit der größten sozialen Ungleichheit. | |
> Klaus Wicher hat darüber ein Buch mit dem Titel "Armes Reiches Hamburg" | |
> geschrieben. Ein Gespräch über die zunehmende soziale Kluft in der Stadt | |
> und den Versuch ihrer Bewohner, sich dagegen zur Wehr zu setzen. | |
Bild: Nicht bereit, sich mit der Polarisierung zwischen Arm und Reich abzufinde… | |
taz: Herr Wicher, Sie sind Mit-Herausgeber des Buchs "Armes Reiches | |
Hamburg" in dem Sie die soziale Spaltung in der Hansestadt beleuchten. | |
Warum nicht "Reiches Reiches Hamburg" - schließlich gibt es hier wenigstens | |
etwas zu verteilen? | |
Es gibt in Hamburg eine durchaus funktionierende freiwillige | |
Spendentätigkeit. Zum Beispiel durch eine Reihe von Stiftungen, die auch | |
sehr wohltuend für die Gesellschaft tätig sind. Stiftungen entscheiden | |
allerdings selbst, wo sie tätig werden wollen. Wir sind ein demokratisches | |
Gemeinwesen. Deshalb müssen wir denen, die wir dafür gewählt haben, die | |
Möglichkeit geben, dass sie die soziale Versorgung in der Stadt | |
sicherstellen können. Dazu muss dringend mehr Geld in den Haushalt kommen. | |
Aber geht Public Private Partnership (PPP) nicht ein Stück weit in die | |
gleiche Richtung? | |
Und sie ist der teurere Weg. Letztendlich ist es ja so, dass die | |
öffentlichen Haushalte nicht genug Geld haben, um Vorhaben zu finanzieren. | |
Sie hätten aber genug Mittel, wenn die Steuergesetzgebung eine andere wäre. | |
Da aber Ebbe in der öffentlichen Kasse ist, beteiligen Politiker Private an | |
öffentlichen Vorhaben. Dies ist aber kein humanitärer Vorgang, denn sie | |
wollen ja Geld verdienen. Es ist gut, dass von diesem Weg wieder ein Stück | |
weit abgerückt wird. | |
Ist diese Information in Hamburg schon angekommen? | |
Davon gehe ich mal aus. Die Elbphilharmonie ist ein Symbol dafür. Da ist | |
man diesen Weg gegangen und man sieht das Desaster: ein Geldgrab. Die | |
Privatisierung führt allgemein gesagt dazu, dass die Arbeitsbedingungen | |
schlechter werden, wie man es beispielsweise auch bei privaten Betreibern | |
von Krankenhäusern erkennen kann. Zudem hat sich die Versorgung der | |
Menschen verschlechtert. Außerdem wird der öffentliche Haushalt durch | |
Privatisierungen eher stärker belastet, als entlastet. Die Armut ist | |
relativ gut erforscht. | |
Im Unterschied zum Reichtum - woher haben Sie die Zahlen darüber? | |
Es gibt Fakten, wie die Einkommensreichtumsquote oder der | |
Lebenslagenbericht der Bundesregierung, die zeigen, dass in Hamburg | |
prozentual die meisten Reichen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung leben. | |
Damit sind diejenigen gemeint, die 200 Prozent mehr verdienen als der | |
Durchschnittsverdiener. Eine weitere Ungleichverteilung liegt beim Vermögen | |
vor, was natürlich auch daran liegt, dass seit 1997 keine Vermögenssteuer | |
mehr erhoben wird. | |
War das Beispiel Hamburg nicht immer eklatant? | |
Hamburg zeigt Extreme, aber die Tendenz ist im übrigen Bundesgebiet | |
natürlich die gleiche. Wenn man sich etwa den Anteil der Löhne am | |
Volkseinkommen ansieht, das nennt man Bruttolohnquote, dann lag diese 1980 | |
noch bei 75 Prozent. Heute ist diese bundesweit auf etwa 63 Prozent | |
abgesunken und liegt in Hamburg nur noch bei 50 Prozent, das heißt, hier | |
ist die soziale Spaltung noch deutlicher. | |
Wo sitzt das Geld? | |
Statistisch gesehen, ist das zu den Elbvororten zählende Nienstedten der | |
reichste Stadtteil Hamburgs. Mit einem Durchschnittseinkommen von 150.000 | |
Euro. Im Gegensatz dazu verdient der Durchschnitt in einem Viertel wie Hamm | |
oder Billstedt zum Teil deutlich unter 20.000 Euro. Dort gibt es eine sehr | |
große Konzentration derjenigen, die von staatlichen Transferleistungen | |
leben. | |
Müsste man der Polarisierung nicht mit einer gezielten | |
stadtentwicklungspolitischen Strategie entgegentreten? | |
Es gibt einen Gürtel der ärmeren Stadtteile, der durch Hamburgs Mitte | |
verläuft. Das Problem ist, dass die Menschen, die durch die Armut wenig | |
Chancen haben, dort konzentriert sind. Man spricht bei den | |
Stadtentwicklungsmaßnahmen immer von einer Durchmischung. Dabei sollte es | |
eher darum gehen, die soziale Infrastruktur stärker auszubauen, damit den | |
Kindern beispielsweise die Möglichkeit eröffnet wird, zu gleichen | |
Lebenschancen zu kommen. | |
Lässt sich der Befund verallgemeinern? | |
Es gibt in ganz Europa kaum ein Land, das so viel prekäre Beschäftigung hat | |
wie Deutschland, das sind mittlerweile über sieben Millionen Menschen und | |
dazu kommen sieben Millionen Menschen, die von Hartz IV leben müssen. Die | |
offizielle Armutsquote liegt ziemlich konstant bei 14 Prozent. Je nachdem, | |
welche statistischen Grundlagen man nimmt, liegt der Wert auch deutlich | |
darüber. | |
Und die prekäre Beschäftigung nimmt immer weiter zu. | |
Ja, und ungefähr 35.000 Menschen in Hamburg können von ihrem Lohn nicht | |
leben, das sind die sogenannten Aufstocker, die vom Staat zusätzlich Hartz | |
IV bekommen, damit sie überhaupt an die Schwelle kommen, dass sie | |
existieren können. Die Zahl ist ungewöhnlich hoch. Insgesamt gibt es in | |
Hamburg ungefähr 900.000 Beschäftigte. Darüber hinaus gibt es etwa 340.000 | |
Menschen, die in sogenannten Mini-Jobs und Niedriglohn-Jobs oder in | |
Zeitarbeit arbeiten - deutlich ansteigend und über 30 Prozent. Das ist | |
bedenklich, weil die Menschen auch im Alter Probleme haben werden. Die | |
Suppenküche Pottkieker in Dulsberg ... | |
... das ist einer der ärmeren Stadtteile ... | |
... soll geschlossen werden. Die Leute gehen dort hin, weil sie sich für | |
2,80 Euro satt essen und ein Getränk dazu bekommen. Es sind vor allem | |
ältere Frauen, die sich zum Teil nicht mehr selbst versorgen können. Das | |
nächst günstige ist ein Kaufhaus und da kostet etwas Vergleichbares etwa | |
fünf Euro. Wenn so etwas geschlossen wird, bedeutet das für die Menschen | |
Not pur. | |
Dafür gibt es auch die Tafeln. | |
Die Nutzung der Tafeln nimmt zu. Die Diakonie geht von 25.000 bis 30.000 | |
Menschen allein in Hamburg aus, tatsächlich sind es vermutlich noch mehr. | |
Und zwar nicht nur Menschen, die in der Grundsicherung und von Hartz IV | |
leben, sondern auch Menschen, die bisher dem Mittelstand angehörten, die | |
aber durch prekäre Beschäftigung immer weiter absinken. Wer ein Einkommen | |
zwischen Grundsicherung und der Pfändungsgrenze von 1.028 Euro hat, ist | |
arm, hat aber im Allgemeinen keinen Anspruch auf staatliche Zuschüsse. | |
Sie appellieren dafür, den Druck zu erhöhen. Ist das nicht zu wenig? | |
Gerade im sozialen Bereich zeigt sich, dass man etwas bewegen kann und dass | |
auch etwas passiert. Wir wollen Druck erzeugen, um unseren Vorschlägen | |
Nachdruck zu verleihen. Über Öffentlichkeit und auch auf der Straße, um | |
eine Stimmung dafür zu erzeugen, dass die Dinge geändert werden müssen. | |
Bemerkenswerterweise kam das Buch ja parallel zur Occupy Bewegung heraus. | |
Liegt dieser Protest gegen die oberen "1 Prozent" derzeit in der Luft? | |
Das hat etwas mit dem Stichwort "Gegenwehr organisieren" zu tun. In diesem | |
Jahr wollen wir mit dem Sozialverband wieder an der 1. Mai-Demo teilnehmen. | |
Das ist in der Tradition des Verbandes lange verschüttet. Früher, in den | |
1920er Jahren, waren wir ein Kampfverband, das ist so im Moment nicht mehr | |
sichtbar. Das muss sich wieder ändern. | |
19 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Lena Kaiser | |
## TAGS | |
Hamburg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Soziologe Gerd Pohl über Privilegien: „In einer Dunkelkammer“ | |
Politik und Forschung durchleuchten Sozialhilfeempfänger, aber an die | |
Reichen und Superreichen trauen sie sich nicht ran | |
Staatslobbyismus: Der Wirtschaftstrojaner | |
Wie die Wirtschaft sich im Staat einnistet: das Märchen von der | |
öffentlich-privaten Partnerschaft. Eine Firma maßgeschneidert nach den | |
Interessen der Industrie. |