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# taz.de -- Soziologe Gerd Pohl über Privilegien: „In einer Dunkelkammer“
> Politik und Forschung durchleuchten Sozialhilfeempfänger, aber an die
> Reichen und Superreichen trauen sie sich nicht ran
Bild: Luxusimmobilie, internationale Kontakte und ein bestimmtes Wissen über K…
taz: Herr Pohl, wo leben Sie?
Gerd Pohl: Ich lebe in Hamburg- Berne.
Zur Miete oder in Eigentum?
In einem Haus, einem eigenen.
Wie würden Sie Ihren Stadtteil sozial einordnen?
Gemischt. Man hat viele Menschen, die Probleme haben. Es gibt aber auch
einen guten Teil Mittelschicht. Für die Kinder gibt es Schulen und der
Stadtteil hat einen hohen Erholungswert, weil man in einer
Dreiviertelstunde an der Ostsee ist. Die Verkehrsanbindung ist ebenfalls
gut, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ist man in einer halben Stunde in
der Stadt.
Als Sozialwissenschaftler haben Sie sich in mehreren Büchern mit der
sozialen Spaltung in Hamburg beschäftigt. Wo sitzt das Geld?
In der Hamburger Oberschicht, die ist reich geworden durch den
Überseehandel. Hinzugekommen sind natürlich auch neue Wirtschaftszweige wie
das Finanzwesen.
In Hamburg ist die Millionärsdichte bundesweit am höchsten. Hier leben rund
42.000 Millionäre und 18 Milliardäre. Warum weiß man so wenig über sie?
Das liegt daran, dass die Statistik über Steuern, das Einkommen und die
Vermögen unzureichend ist. Mit der Änderung der Steuergesetze hat sich das
weiter verschlechtert. Das heißt, mit dem Wegfall der Vermögenssteuer sind
gleichzeitig Informationen verlorengegangen. Außerdem hat die Politik
bisher kein großes Interesse, diesen Bereich der Reichen und Superreichen
näher zu beleuchten.
Warum gibt es das politische Interesse nicht?
Man will keinen Ärger mit der Oberschicht und den Reichen haben – und mit
der Presse, deshalb schont man sie. Man befürchtet aber vielleicht auch
Steuerflucht. Außerdem kommt hinzu, dass dieser Personenkreis auch eine
sehr einflussreiche Lobby in Hamburg hat. Diese reicht von der
Handelskammer bis zu den Wirtschaftsvereinigungen und -clubs, wie dem
Überseeclub.
Aber nicht nur die Politik schont diese Klasse, sie sind auch kein
prominenter Gegenstand der Sozialforschung.
Es gibt schon Publikationen zu Armut und Reichtum. In diesem Jahr ist etwa
das Buch „Verteilungskampf: Warum Deutschland immer ungleicher wird“ von
Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung
erschienen. Das Thema Reichtum wird in Hamburg diskret gehandhabt, weil die
Oberschicht sich nicht als protzige Millionäre zur Schau stellt.
Andererseits konzentriert sich die öffentliche Forschung eher auf den
Sozialbereich. Das heißt, Sozialhilfeempfänger und Hartz-IV-Empfänger
werden durchleuchtet, ganz anders als der Bereich der Reichen und
Superreichen. Das könnte die Politik ändern.
Haben Sie einen Vorschlag?
Die zuständige Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) könnte einen Armut-
und Reichtumsbericht in Auftrag geben. In Hamburg gibt es nur einen
Sozialbericht. Dann würde man die Reichtumsstrukturen besser erforschen
können. Auch die Wissenschaftssenatorin könnte Forschungsmittel freisetzen,
um entsprechende Projekte anzuschieben. Wir befinden uns bei diesem Thema
faktisch in einer Dunkelkammer. Es gibt nur wenig Wissen über das Leben in
dieser Parallelgesellschaft, die in sich ziemlich abgeschottet ist.
Aber auch das ließe sich politisch regulieren. Wie kann es sein, dass es im
reichen Hamburg-Nienstedten, wo das durchschnittliche Einkommen pro
steuerpflichtiger Person bei 170.408 Euro liegt, keine einzige
Sozialwohnung gibt?
Beim öffentlich geförderten Wohnungsbau müssen die entsprechenden
Strukturen erst neu entwickelt werden. Hamburg hat eine sehr
unterschiedliche Verteilung von Armut und Reichtum auf die einzelnen
Stadtteile. Auch die öffentlichen Mittel fließen sehr unterschiedlich. Das
zeigt sich auch am Beispiel der Hafencity. In die sind Milliarden
öffentliche Investitionen geflossen, während in anderen Stadtteilen die
Sparpolitik herrscht.
Sie meinen, dass Ober- und Mittelschicht auch in der Stadtentwicklung
privilegiert werden?
Das kann man so sagen – und es ist notwendig, dass auch die Steuergelder
gerechter auf die einzelnen Stadtteile verteilt werden.
Was hieße denn das: „gerechter verteilt“?
Dass Stadtteile, die zum Beispiel öffentliche Verkehrsmittel dringend
benötigen oder Unterstützung im sozialen Bereich benötigen, eine
entsprechende Förderung erhalten. Die Mittel für die integrierte
Stadtentwicklung sind aber im Gegenteil dazu zurückgeschraubt worden.
Sie sagen, die soziale Spaltung wirke sich negativ auf den
gesellschaftlichen Zusammenhalt aus. Aber dass Reiche lieber unter sich
bleiben, war doch immer so.
Vom Anspruch her ist Hamburg aber heute im 21. Jahrhundert eine andere
Stadt als sie es im 19. Jahrhundert war. Wenn man einen sozialstaatlichen
Anspruch hat, muss man auch davon ausgehen, dass in einer reichen Stadt
auch eine entsprechende soziale Entwicklung und ein Zusammenhalt ermöglicht
wird.
Wer gehört zur Oberschicht?
Es gibt die materiellen Indikatoren, also Einkommen und Vermögen, die
natürlich die Grundlage sind. Aber darüber hinaus geht es natürlich auch um
eine Ausbildung durch ein Universitätsstudium. Wichtig sind aber immer auch
weitere Qualifikationen, die Frage, in welchem Stadtteil man wohnt, wie
wohnt man – in einer Luxusimmobilie – und wie ist der Zugang zur
gesellschaftlichen Teilhabe. Angehörige der Oberschicht verfügen auch über
internationale Kontakte, Ferienhäuser und einen besseren Zugang zu dem
Wissen über Kunst und Kultur. In dieser Welt zählt also längst nicht nur
das Geld.
Läuft dieser Appell an Demokratisierung und Teilhabe nicht ins Leere, wenn
man an der Praxis des Reichtums nicht grundsätzlich rühren will?
Das ist natürlich ein Widerspruch. Wenn man so will, hat Hamburg erst seit
hundert Jahren Erfahrungen mit Demokratie: Bis 1919 gab es Demokratie nur
für diejenigen, die viel Geld hatten. Dann wurde das allgemeine und gleiche
Wahlrecht für die Bürgerschaft eingeführt – für Männer und Frauen. Seitd…
handelt es sich um einen Prozess, in dem es solche Widersprüche gibt, wenn
die Politik zwar für die gesamte Stadtgesellschaft gemacht werden soll,
aber bestimmte Gruppen aufgrund ihres Status weiterhin Sonderprivilegien
haben.
Wie kann man an diese Privilegien ran?
Es ist wichtig für die Stadt, genügend Geld zu haben, um die soziale
Integration und den Zusammenhalt zu fördern. Dafür sollte die
Erbschaftssteuer für Reiche nicht nur eine Bagatellsteuer sein und auch die
Vermögenssteuer sollte wieder dazu beitragen, dass erheblich mehr Mittel
für die soziale Integration zur Verfügung stehen. Ein besonderes Kapitel
ist in Hamburg übrigens der Steuervollzug: In der Finanzverwaltung gibt es
viel zu wenig Beamte, die die Steuererklärungen der Reichen und Konzerne
überprüfen. Das ist sogar vom Rechnungshof mehrmals bemängelt worden.
Dennoch tut sich da wenig. Es ist darüber hinaus nicht nachvollziehbar,
warum prominente Milliardäre und Steuerflüchtige wie der Mehrheitseigner
des Logistikkonzerns Kühne + Nagel, Michael Kühne, die ihr Einkommen in der
Schweiz versteuern, auch noch von der Hamburger Politik hofiert werden.
In Ihrem Buch beschäftigen Sie sich mit dem Missverhältnis zwischen
privatem Reichtum und öffentlicher Armut. Wie erklären Sie sich das?
Umverteilung läuft ja vor allem von unten nach oben. Jetzt stellt sich die
Frage, kann man das umkehren? Wir brauchen eine sozial gerechtere
Steuerpolitik und eine nachhaltige Bekämpfung der sozialen Spaltungen in
der Stadt.
14 Aug 2016
## AUTOREN
Lena Kaiser
## TAGS
Hamburg
Stadtentwicklung Hamburg
Klassengesellschaft
Soziologie
soziale Ungleichheit
Horst Seehofer
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und den Versuch ihrer Bewohner, sich dagegen zur Wehr zu setzen.
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