# taz.de -- Wenn Gemeinden teuer privatisieren: Schuld sind nicht die Neolibera… | |
> Die taz-Enthüllung der Berliner Wasserverträge zeigt: Verkaufen Kommunen | |
> an Private, verlieren meist die Bürger. Doch oft haben die Gemeinden gar | |
> keine andere Wahl. | |
Bild: Wasserwerk gefällig? | |
BERLIN taz | Die Allianz-Versicherung hat ein dringendes Problem: Sie weiß | |
nicht, wo sie die Beiträge ihrer Kunden sicher anlegen kann. Die | |
Finanzkrise hat gezeigt, wie schnell sich Renditen in Verluste verwandeln | |
können. | |
Aber die Allianz hat eine Idee, die in die Zukunft weist: Sie würde sich | |
gern stärker in "Public Private Partnerships" engagieren. Das mag zunächst | |
recht technisch klingen, doch Allianz-Lebensversicherungs-Chef Maximilian | |
Zimmerer hat kürzlich sehr plastisch beschrieben, was darunter zu verstehen | |
ist. | |
Weil es sich nicht besser formulieren lässt, seien seine Ausführungen in | |
voller Länge wiedergegeben: "Ein typisches Beispiel sind die Chicagoer | |
Parkuhren: Der Staat verkauft uns die künftigen Einnahmen aus den Uhren und | |
verringert damit seine Verschuldung. Wir bekommen eine Lizenz für den | |
Parkraum, die Rahmenbedingungen für die Parkgebühren werden | |
festgeschrieben. Auf diese Weise können Sie auch Wasserwerke, Autobahnen | |
oder Schulen finanzieren. Das Prinzip ist einfach. Theoretisch könnte das | |
so weit gehen, dass der Staat künftige Steuereinnahmen verbrieft und heute | |
verkauft. Solche Investments würden wir gern mehr machen. Aber das Angebot | |
ist noch klein." | |
Das Prinzip ist wirklich so einfach, wie der Allianz-Chef es schildert: | |
Steuereinnahmen werden schlicht zur Konzernrendite umfunktioniert. | |
Konsequent denkt Zimmerer damit zu Ende, was längst begonnen hat - der | |
Bürger wird als Gewinnquelle entdeckt. | |
Bundesweit verkaufen die Kommunen ihre Infrastruktur an Privatkonzerne - ob | |
es nun die Müllabfuhr, die Wasserwerke, Wohnungen, Stadtwerke oder | |
Krankenhäuser sind. Diese Transaktionen sind für die Bürger immer ein | |
Verlustgeschäft: Vorher zahlten sie nur für die Kosten, die etwa die | |
Reinigung des Abwassers verursachte - nach dem Verkauf müssen sie zudem | |
noch die Rendite für den privaten Investor finanzieren. Denn ohne eine | |
Aussicht auf Gewinn würden die Geldgeber ja gar nicht erst einsteigen. | |
Häufig sind die Renditen sogar überhöht, wie etwa die Geheimverträge bei | |
den Berliner Wasserwerken zeigen, die die taz am Wochenende veröffentlicht | |
hat. Doch wichtig ist zu verstehen: Selbst wenn die Gewinnzusagen nicht | |
exorbitant sind, sondern sich in einem "normalen" Rahmen bewegen, bleibt es | |
ein Verlustgeschäft für die Bürger, wenn die Infrastruktur ihrer Gemeinde | |
verkauft wird. Stets müssen sie für die Profite der Investoren aufkommen. | |
Wie bei jedem Verlustgeschäft wird gern nach Schuldigen gesucht. Besonders | |
beliebt ist die Vermutung, dass "unfähige" Politiker blind einer | |
"neoliberalen Ideologie" folgen würden. Doch tatsächlich haben viele | |
Kommunalpolitiker keine Wahl: Ihre Gemeinden sind pleite. Sie können ihre | |
Schulen nicht sanieren, ihre Hallenbäder nicht betreiben, die Parks nicht | |
pflegen. Also wird das berühmte "Tafelsilber" zu Geld gemacht und einem | |
Investor überlassen. | |
Für ihre Finanzmisere können die Gemeinden nichts. Schuld ist die | |
Steuerpolitik des Bundes. So ist es eben nicht umsonst zu haben, den | |
Spitzensatz bei der Einkommensteuer von 53 auf 42 Prozent zu senken. | |
Dieser Kreisverkehr der Umverteilung wird für die Vermögenden zum doppelten | |
Geschäft. Erst reduzieren sich ihre Steuern - und dann können sie das | |
gesparte Geld nutzen, um in staatliches Eigentum zu investieren. Statt ans | |
Finanzamt zu zahlen, erhalten sie nun eine Rendite, die die Abgaben für | |
ihre Mitbürger nach oben treibt. | |
Momentan wird vor allem die bestehende Infrastruktur verkauft. Aber | |
Allianz-Chef Zimmerer dürfte mit seiner Prognose richtig liegen: Irgendwann | |
werden die Gemeinden auch die künftigen Steuereinnahmen veräußern. Verloren | |
hat dann jeder, der nicht reich genug ist, als dass er auf die | |
Dienstleistungen des Staates verzichten könnte. | |
2 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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