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# taz.de -- Prinzip Privatisierung: Konzerne kassieren, der Bürger zahlt
> Straßen, Wasser, Schulen: Public Private Partnership ist die Formel des
> geheimen Ausverkaufs, mit dem die öffentliche Hand seit Jahren Aufgaben
> privatisiert.
Bild: Die A 1 zwischen Hamburg und Bremen gilt inzwischen wegen des Betriebs du…
BERLIN taz | Geheime Verträge, Gewinngarantien für private Investoren und
Mauscheleien - die Teilprivatisierung der Wasserbetriebe hat die Berliner
empört. Heimlich hatten sich die Konzerne RWE und Veolia vom Senat Gewinne
garantieren lassen.
Doch dieser Deal ist keine Ausnahme: Im Rahmen von mehr als 200 sogenannten
Public Private Partnerships (PPP) lässt der Staat öffentliche Aufgaben
durch private Unternehmen erledigen. Immer wieder wird dabei mit
Geheimverträgen verschleiert, dass Risiken allein der öffentlichen Hand
aufgebürdet werden. Heute bauen und betreiben private Unternehmen Schulen,
Sporthallen, Kindergärten, Autobahnen, Bürogebäude und Gefängnisse im
Auftrag des Staates.
"Die Public Private Partnership ist ein Rundum-sorglos-Paket. Der private
Investor übernimmt dabei nicht nur den Bau oder das Sanieren der
Infrastruktur, sondern auch die Finanzierung und den vollständigen Betrieb,
meist über 30 Jahre. Das lässt sich der Investor allerdings teuer
bezahlen", sagt der Privatisierungsexperte Werner Rügemer. Wie teuer PPPs
die Steuerzahler kommen, ist geheim. Oft bekommen nicht einmal
Parlamentarier Einblick in die Verträge, die Gewinne und die
Risikoverteilung zwischen Staat und Privat regeln.
Die Verschwiegenheit ist gesetzlich begründet, erklärt der Berliner
Rechtswissenschaftler Hans-Peter Schwintowski, denn Betriebsgeheimnisse von
Unternehmen müssen geschützt werden: "Unsere Gesetze schreiben diese
Vertraulichkeit ausdrücklich vor. Wenn alle Wettbewerber die vertraulichen
Informationen eines Unternehmens wüssten, dann wäre es am Markt sehr
schnell nicht mehr handlungsfähig", sagt der Jurist.
Ausnahmen von dieser Regel gibt es keine. Ein Betrieb, der im öffentlichen
Besitz gegenüber der Bevölkerung rechenschaftspflichtig war, muss sich
verschwiegen geben, sobald er durch PPP in eine private Rechtsform
überführt wird. "Die Bürger haben tatsächlich überhaupt keine Möglichkeit,
herauszufinden, ob da vielleicht langfristige Klauseln in den Verträgen
stehen, die nachteilig für die Bürger sind", sagt Schwintowski.
Sofern solche Verträge bekannt wurden, zeigen sie, dass die öffentliche
Hand oft kein gutes Geschäft macht: Immer wieder werden die Interessen der
Bevölkerung dem Streben der Privaten nach sicheren Gewinnen geopfert. Nicht
selten bleibt bei der Privatisierung die Kontrolle auf der Strecke, weil
auch Parlamentarier keinen Einblick in Verträge erhalten. Selbst wenn der
öffentlichen Hand Milliardenschäden entstehen, bleiben die Abmachungen
geheim.
Prominentes Beispiel ist das Mautsystem Toll Collect, das 2002 die Konzerne
Telekom, Daimler und Cofiroute im Auftrag der Bundesregierung errichtet
haben. "Kein Bundestagsabgeordneter durfte bisher die 17.000 Seiten des
Toll-Collect-Vertrages sehen", sagt Werner Rügemer. Weil die Mauttechnik
zum Starttermin nicht funktionierte, sind dem Bund 5 Milliarden Euro
Einnahmen entgangen. Das Geld haben die Konzerne bis heute nicht erstattet.
Zwar hat der Bund eine Schadensersatzklage angestrengt, aber bei
PPP-Projekten gibt es die Vereinbarung, nicht vor ein öffentliches Gericht
zu treten.
Gewaltige Verluste drohen den öffentlichen Kassen auch beim Ausbau der
Autobahnen durch private Unternehmen. Derzeit hat der Bund Konzerne
beauftragt, vier Abschnitte zu sanieren. Die Unternehmen verpflichten sich,
die Fahrstreifen für etwa 2,8 Milliarden Euro auszubauen und über 30 Jahre
zu erhalten. Dafür erteilt ihnen der Bund eine Konzession, die ihnen über
die Vertragslaufzeit die gesamten oder einen Teil der Mauteinnahmen ihres
Autobahnabschnittes sichert.
Wie viel die Unternehmen kassieren, wissen nicht einmal
Bundestagsabgeordnete, die solche Vorhaben wie den A 1-Ausbau zwischen
Bremen und Hamburg abgesegnet haben. "Der Bundestag hat den 36.000 Seiten
dieses Vertrages zwar zugestimmt, aber kein Abgeordneter hat ihn je
gesehen", sagt Rügemer.
Immerhin kennt der Bundesrechnungshof die Verträge - und kommt zu einem
vernichtenden Urteil. Aus Sicht der öffentlichen Hand sei der private
Fernstraßenausbau nicht schneller und zudem unrentabel, kritisieren die
Rechnungsprüfer in einem Gutachten. Gewinn machen allein die
Bieterkonsortien, da sich "für den Bund bei den bisherigen Projekten ein
erheblicher wirtschaftlicher Nachteil ergibt, sollten sich die Prognosen
der Bieter verwirklichen", heißt es weiter. Nachteilig seien die Verträge,
weil darin der staatliche Anteil an den Mauteinnahmen für 30 Jahre nahezu
unverändert bleibe. Dabei soll der Lkw-Verkehr und damit die Mauteinnahmen
rapide zunehmen. Für die Konzerne fließen dann Milliarden.
"Seitdem das Projekt auf der A 1 läuft, ist dieser Abschnitt zur größten
Unfallstrecke im deutschen Verkehrsnetz geworden", sagt Werner Rügemer. Die
knappe Kalkulation des federführenden Konzerns Bilfinger Berger trägt daran
eine Mitschuld. Provisorische Ausfahrten sind extrem kurz, und ungeachtet
enger Spuren ließ man die Lkws weiter durch das Nadelöhr rollen.
Schließlich bescheren nur sie dem Konsortium Einnahmen.
Überraschungen mit PPP gibt es auch beim Bau oder der Sanierung
öffentlicher Gebäude. So lässt seit 2005 der Landkreis Offenbach 90 Schulen
von der Hochtief AG und der Gebäudemanagementfirma SKE sanieren und
bewirtschaften. Besiegelt wurde das Projekt, das 15 Jahre läuft, mit einem
4.000 Seiten dicken Geheimvertrag. Doch mittlerweile laufen die von den
Privaten zugesagten Kosten aus dem Ruder. Die Jahresmiete hat sich für den
Landkreis von vereinbarten 53 Millionen Euro auf 72 Millionen erhöht, und
sie steigt weiter. Für das Regierungspräsidium Darmstadt ist das PPP ein
wesentlicher Grund der "desaströsen Haushaltslage"; das Präsidium warnt,
das Projekt drohe "künftige Generationen in unvertretbarer Weise zu
belasten".
Ulrich Müller von der Transparenzinitiative "Lobbycontrol" sieht durch
Geheimverträge demokratische Prinzipien gefährdet. "Es gibt in der Politik
einen Verrechtlichungsprozess, der sehr schädlich wird, wenn mithilfe von
Verträgen in Wirklichkeit politische Entscheidungen geregelt werden."
Auch die im September 2010 beschlossene Laufzeitverlängerung von AKWs
gehört für Müller dazu. Denn einige Tage später kamen Geheimabsprachen ans
Licht, in denen die Bundesregierung den Konzernen weitreichende
Kostendeckelung garantierte, sollten künftig neue Atomsteuern erhoben oder
Sicherheitssysteme nachgerüstet werden. "Auch bei Stuttgart 21 gab es schon
lange vor der eigentlichen Bürgerbeteiligung eine Rahmenvereinbarung, die
dazu diente, zu sagen: hier steht schon alles fest", sagt Müller.
Für Privatisierungsexperte Ernst Ulrich von Weizsäcker ist der Schaden
durch die Geheimverträge gravierend. Er warnt: "Wenn man Misstrauen sät
durch Geheimhaltung, dann wird ein ganz wesentlicher Teil unseres
bürgerlichen Zusammenhalts geschädigt."
15 Feb 2011
## AUTOREN
Tarik Ahmia
## TAGS
Nordrhein-Westfalen
Industrielobby
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