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# taz.de -- Osteuropäische Roma im Ruhrgebiet: „Die müssen weg, fertig“
> In der Hoffnung auf ein besseres Leben ziehen osteuropäische Roma ins
> Ruhrgebiet. Dort werden sie systematisch ausgebeutet und gehasst.
Bild: Duisburg-Rheinhausen, In den Peschen – das Paradies sieht anders aus.
DUISBURG taz | Placuta Moise hat Angst. In ihrer Duisburger Wohnung ist die
aus Rumänien stammende Roma gerade von vier Schlägertypen in schwarzen
Lederjacken bedroht worden, vor Zeugen. Geschickt hat die Schläger Moises
Vermieter, ein aus Jugoslawien stammender Mann mit Verbindungen zum
Duisburger Rotlichtmilieu.
Mehr Miete fordere der für die 80 Quadratmeter große Wohnung, in der sie
mit ihrem Mann, drei Söhnen, zwei Schwiegertöchtern und vier Enkelkindern
lebt, berichtet die 38-Jährige. Statt 350 seien ab sofort 450 Euro fällig,
haben die Schläger verkündet.
Erst als Journalisten zu Besuch in die penibel aufgeräumte Wohnung kommen,
treten sie widerwillig den Rückzug an. Zahlen wird Placuta Moise trotzdem:
Einen Vertrag, in dem die Höhe der Miete festgeschrieben ist, hat sie
nicht. Gezahlt wird in bar, ohne Quittung. Die Drohung, sonst mit Gewalt
aus ihrer Wohnung geworfen zu werden, wirkt.
Angst hat Moise auch vor ihren Nachbarn. Denn die Rumänin lebt mit ihrer
Familie und Hunderten weiteren Roma im kleinbürgerlichen Stadtteil
Rheinhausen unter der Adresse „In den Peschen“. Dahinter verbirgt sich ein
heruntergekommener, überbelegter Wohnblock aus den sechziger Jahren.
Im Keller sind die Stromzähler herausgerissen, im Hausflur kleben
Blutflecken an der Wand. Bis zu 350 Menschen sollen in den 22 Wohnungen
leben. Genaue Zahlen hat niemand: Immer wieder ziehen neue Bewohner ein,
andere verschwinden über Nacht.
In den Ein- bis Zweifamilienhäusern gegenüber herrscht hinter gepflegten
Vorgärten und Fachwerkverblendung deutsche Gemütlichkeit – nur die
„Zigeuner“, tönt ein Anwohner, störten: „Die müssen weg, fertig“, sa…
„Eine Zumutung“ sei die Anwesenheit der Roma, findet eine Seniorin: Immer
wieder türme sich Müll vor dem Wohnblock, würden Essensreste aus den Küchen
auf die Straße geworfen.
## Wie eine Bürgerwehr
Zu sehen ist von alldem – nichts. Wer sich aber rund um den Wohnblock
umschaut, wird sofort in Manier einer Bürgerwehr angesprochen. An einen
Einbruch in parkende Autos solle man „besser gar nicht denken“, warnt ein
Mittdreißiger, der um die Ecke wohnt.
„Sie müssen wissen, hier sind Zigeuner hingezogen. Die klauen einfach
alles.“ Im Hinterhof einer Tankstelle prostituierten sich am Abend „sehr
junge Mädchen“, klagt er – und präsentiert dann weitere antiziganistische
Vorurteile: „Deutsche Kinder“ seien von Roma entführt worden, behauptet er.
Der Duisburger Polizei sind keine Kindesentführungen bekannt. „Bis Ende
September hatten wir zwar 150 Einsätze“, sagt ihr Sprecher Ramon van der
Maat, „doch dabei ging es zur Hälfte um Ruhestörung.“ Der Rest betreffe
Kleinkriminalität, die allerdings intensiv ausgeübt werde: Seit Anfang des
Jahres zählte die Polizei 349 Fälle, in denen die Tatverdächtigen als
Wohnsitz die Adresse „In den Peschen“ angaben. „Kraftstoff wird abgezapft,
Altmetall gestohlen“, sagt van der Maat. „Außerdem gibt es Trickdiebstähle
an Geldautomaten.“
Von manchen Medien wird das begierig aufgegriffen: „Ein Haus voller
Straftäter“ titelte die Rheinische Post in ihrer Onlineausgabe. Die Bild
nannte den Wohnblock „das Hauptquartier der Osteuropa-Banden“. Für
rechtsradikale Parteien wie die NPD oder „Pro NRW“ ist das eine willkommene
Unterstützung: Längst landen Flyer mit Sprüchen wie „Heimreise statt
Einreise“ in den Rheinhausener Briefkästen.
## Osteuropäische Armut trifft auf deutsche Bürgerlichkeit
„Hier trifft osteuropäische Armut auf deutsche Bürgerlichkeit“, warnt der
evangelische Pfarrer Heiner Augustin, der den rassistischen Sprüchen jetzt
einen runden Tisch entgegensetzt. Ausgelöst worden sei sein Engagement
durch „sehr heftige Äußerungen“ während eines politischen Abendgebets, d…
er mit dem Thema Zuwanderung verknüpft hatte, erzählt der 50-Jährige –
seine Friedenskirchengemeinde grenzt an den Wohnblock: „Das sind keine
Menschen, das sind Untermenschen“, habe es in übelster
nationalsozialistischer Diktion geheißen.
Die „Zwangsumsiedlung“ der Roma sei gefordert worden. Manchmal fürchtet der
Pfarrer einen Brandanschlag nach dem Vorbild der versuchten Morde an
MigrantInnen in Rostock-Lichtenhagen.
Auch Deniz Aksen ist niemand, der Probleme leugnet. Der Sozialarbeiter ist
Geschäftsführer des Vereins Zukunftsorientierte Förderung, der viele der
Roma betreut. Insgesamt sind nach Schätzung der Polizei etwa 10.000
Menschen aus den EU-Staaten Rumänien und Bulgarien nach Duisburg gezogen.
Ja, Bewohner des Wohnblocks In den Peschen begingen Diebstähle, und ja,
Frauen würden zu Prostitution gezwungen, sagt er. Aus materieller Not: Zwar
dürfen Rumänen und Bulgaren ohne Visum nach Deutschland ziehen, eine
Arbeitserlaubnis bekommen sie aber nicht. Erlaubt sind nur selbstständige
Tätigkeiten.
„Außerdem werden viele Roma von kriminellen Schlepperbanden hergebracht“,
erzählt Aksen. Das Geld für die Reise – Beträge von 1.000 Euro und mehr –
werde oft vorgestreckt. Nach einer Woche stünden die Schlepper dann vor der
Tür und forderten ihr Geld zurück, mit 100 Prozent Zinsen. „Wenn das
Familienoberhaupt nicht zahlen kann, heißt es: Du kannst betteln gehen.
Deine minderjährigen Kinder, die strafrechtlich noch nicht belangt werden
können, gehen für uns auf Diebestour. Und deine Frau, deine Töchter
schicken wir auf den Strich.“
## Für wenige Euro auf dem Arbeiterstrich
In Duisburg boomt nicht nur die Ausbeutung von Roma, die sich täglich für
wenige Euro auf dem „Arbeiterstrich“ anbieten, sondern auch die
Prostitution selbst: Mittlerweile soll im Rotlichtmilieu am Niederrhein
mehr Umsatz gemacht werden als in Hamburg. Auffällig viele Prostituierte
seien Roma, bestätigt Polizeisprecher van der Maat. Dagegen vorgehen
könnten die Beamten nicht: „Prostitution ist in Deutschland legal.“ Von
Zwangsprostitution sei nichts bekannt.
Sozialarbeiter Aksen schildert dagegen verzweifelte Hilferufe aus den
Peschen: „Uns hat eine Frau angerufen“, berichtet er, „die sagte: Hier
wohnt einer, der packt die Kinder ein, die müssen dann auf den
Straßenstrich.“ Nachweisbar ist das nicht: Eine Aussage bei der Polizei
habe die Frau verweigert. „Sie hatte Angst vor der Ermordung ihrer
Verwandten in Rumänien.“ Tage später sei die Zeugin samt Familie „einfach
weg“ gewesen.
Trotzdem machen viele Roma bei ihren Bekannten weiter Werbung für einen
Umzug nach Duisburg. In Rumänien lebten viele in „unbeschreiblichem Elend“,
sagt Gisela Langhoff, Sprecherin der Koordinationsgruppe Rumänien der
deutschen Sektion von Amnesty International. 80 Prozent lebten unter der
Armutsgrenze, oft in von Zwangsräumung bedrohten Siedlungen.
Und wie solche Zwangsräumungen ablaufen, schildert Langhoff an einem
Beispiel aus Cluj in Siebenbürgen: Im Dezember 2010 seien dort 76 Familien
aus ihren Wohnungen im Stadtzentrum geholt worden – bei minus 20 Grad – und
an den Stadtrand in die Nähe von Müllhalden verfrachtet worden. Viel zu
kleine Ersatzunterkünfte habe es nur für 40 Familien gegeben. Manche seien
bei Verwandten untergekommen. Andere mussten sich „aus zusammengesuchten
Materialien Behelfshütten bauen“.
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma beklagt das „nahezu vollständige
Versagen“ der südosteuropäischen Regierungen: Zwar fordert die EU die
Integration von Minderheiten in ihren Heimatländern und hält dazu
Milliardenbeträge bereit.
„Die Verfahren der EU sind aber sehr bürokratisch, sehr streng“, sagt
Marian Luca, der wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Zentralrat ist und
selbst aus Rumänien stammt. „Und den nationalen Regierungen und ihren
lokalen Behörden vor Ort fehlt es nicht nur an Kompetenz: Es mangelt oft am
Willen zur Umsetzung.“
Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) wird deutlicher: „Der
Bund muss handeln und dafür sorgen, dass sich die Lebensverhältnisse der
Roma in Bulgarien und Rumänien verbessern“, fordert er. „Dazu hätte die
Bundesregierung längst über die Europäische Union Druck auf die beiden
osteuropäischen Länder ausüben müssen.“
## Kein Geld für Integration
Denn nicht nur im Ruhrgebiet denken viele mit Sorge an das Jahr 2014: Dann
steht auch Rumänen und Bulgaren eine Arbeitserlaubnis zu – und damit auch
das Recht auf Sozialleistungen nach den Hartz-Gesetzen. Die Armutswanderung
in das vor der Pleite stehende Duisburg könnte sich dann noch verstärken –
und damit der Hass der Alteingesessenen auf die Zuwanderer.
Dabei fehlt schon heute das Geld für Integrationsmaßnahmen wie etwa
Deutschkurse. „Egal wie viele kommen“, warnt deshalb die Duisburger
Integrationsbeauftragte Leyla Özmal: „Wir werden überfordert sein.“
Auch Placuta Moise spricht kein Deutsch. In der Hoffnung auf Arbeit, auf
bessere Bildung für ihre Enkel sei sie gekommen, sagt sie auf Rumänisch.
Jetzt bleibt sie mit ihrer Angst in den Peschen zurück: „Wenn wir aus der
Wohnung geworfen werden“, fragt sie, „wo sollen wir hin?“
13 Nov 2012
## AUTOREN
Andreas Wyputta
## TAGS
Roma
Osteuropa
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Roma
EU
Obdachlosigkeit
Stadtplanung
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