| # taz.de -- Zuwanderung der Roma: Stehcafé Europa | |
| > Im Ruhrgebiet steigt die Zahl der Menschen aus Rumänien und Bulgarien. | |
| > Viele von ihnen sind Roma. Die Stadt Dortmund hat die Zuwanderung lange | |
| > ignoriert. | |
| Bild: Dortmund-Nordstadt: Jeden Morgen bieten hier Rumänen und Bulgaren ihre A… | |
| DORTMUND taz | Vor dem Stehcafé Europa liegt die Straße, von der sie | |
| dachten, sie führe in die Zukunft. Im bunten Schein der Neonschilder warten | |
| die Männer. Sie kommen jeden Tag, meist schon lange, bevor die Sonne | |
| aufgeht. Mallinckrodtstraße Ecke Schleswiger Straße, Dortmund, Nordstadt. | |
| „Arbeiterstrich“, sagen die Leute. | |
| Es mögen etwa 20 sein, vielleicht mehr. Aus Bulgarien kommen sie alle, die | |
| meisten sind Roma. Ein paar Meter weiter, vorm Café Romanesc, stehen die | |
| Rumänen. Wenn sie Glück haben, wird sie einer abholen, der Arbeit für sie | |
| hat, auf einer Baustelle, als Möbelträger oder Gärtner. Aber das Glück ist | |
| selten in der Dortmunder Nordstadt, wo einer von vier Menschen arbeitslos | |
| ist. | |
| „Das ist schlimm hier, sieht man doch“, Asen, 22 Jahre, spuckt die Worte | |
| vor sich auf den Asphalt. Es ist kalt geworden, die Männer schieben die | |
| Hände tiefer in die Jackentaschen. „Scheiße, keine Arbeit“, murmelt ein | |
| Mann mit schütterem Bart. Seine Arbeitshose trägt er in einer Plastiktüte | |
| mit sich. Ein junger Libanese, der in dem Viertel lebt, tritt hinzu, sagt: | |
| „Die stehen hier 10, 20 Stunden am Tag, für nichts.“ | |
| ## Siebenmal mehr als 2007 | |
| Die Heimatländer der Männer gehören seit 2007 zur EU. Seither können sich | |
| Rumänen und Bulgaren in Europa frei bewegen. Zwar sind es oft gerade die | |
| gut Ausgebildeten, die sich auf den Weg in den Westen machen; Statistiken | |
| zeigen, dass Rumänen und Bulgaren sich seltener arbeitslos melden als | |
| andere Migranten. Aber mit den Statistiken ist das so eine Sache. Die, die | |
| es in die vernachlässigten Stadtteile im Ruhrgebiet zieht, haben keine | |
| Diplome. Manche können nicht einmal lesen und schreiben. | |
| Rund 4.000 Bulgaren und Rumänen sind in Dortmund gemeldet, sieben mal mehr | |
| als 2007. In Teilen der Nordstadt ist ihre Zahl um das Hundertfache | |
| gestiegen. | |
| Mit der Osterweiterung ist in der EU die größte Wirtschaftszone der Welt | |
| geschaffen worden. Deutsche Unternehmen profitieren davon. Aber wenn man | |
| wissen will, was die Beschlüsse in Brüssel für die ärmsten Menschen in | |
| Europa bedeuten, hilft es, eine Weile auf der Mallinckrodtstraße unterwegs | |
| zu sein. | |
| ## Plowdiw ist schlimmer | |
| Fast alle der Tagelöhner stammen aus Stolipinowo am Rand der bulgarischen | |
| Stadt Plowdiw. Der Vorort zählt zu den größten Roma-Gettos des Balkans. | |
| 45.000 leben dort, oft ohne Strom und fließendes Wasser. | |
| „Ich mag Deutschland“, sagt Orhan*, ein Rom mit tiefen Furchen im Gesicht, | |
| für die er zu jung ist. „Hier ist es besser als in Bulgarien.“ Wer an | |
| dieser Straße rekrutiert, sucht Arbeitskräfte zum Dumpingpreis, Baufirmen | |
| oder Privatleute, die Hilfe bei einem Umzug brauchen. Sie zahlen zwischen 6 | |
| und 2 Euro pro Stunde. Wenn überhaupt. „Manchmal kriegen wir kein Geld“, | |
| sagt Orhan. „Die sagen: Ich bring dir das Geld morgen, und dann bringen sie | |
| es nicht. Da können wir gar nichts machen.“ | |
| Es ist kurz nach sieben; die Straße liegt noch im Dunkeln, nur im Stehcafé | |
| Europa brennt helles Licht. „Wir haben 24 Stunden geöffnet“, sagt der | |
| Kellner. Hinter ihm glimmen Spielautomaten, da und dort kauern Tagelöhner | |
| auf den Kunstlederbänken. „Manche gehen nachts gar nicht nach Hause, weil | |
| die zu acht oder zehnt in einem Zimmer schlafen.“ Er muss sie immer wieder | |
| anstupsen, damit sie nicht einnicken. Denn schlafende Gäste, sagt er, | |
| können das Café bis 300 Euro Bußgeld kosten. | |
| ## Ohne Müllabfuhr | |
| Jeden Tag kommen Busse aus Plowdiw in Dortmund an. Bulgarische Roma können | |
| sich hier verständigen. Sie sprechen oft Türkisch, und die Nordstadt ist | |
| von türkischen Zuwanderern geprägt. Und es gibt, anders als in Düsseldorf | |
| oder München, leere Häuser, in denen keiner mehr leben wollte. Nun werden | |
| sie an Roma vermietet, von den Eigentümern oder Mittelsmännern. Es gibt | |
| Matratzenlager, da kostet ein Schlafplatz bis zu 200 Euro. | |
| „Wollen Sie den Müll in den Innenhöfen sehen?“, fragt der junge Libanese, | |
| der bei den Bulgaren steht. Er klingt wie ein Stadtführer, der die | |
| Sehenswürdigkeiten des Viertels zeigen will. Dann tritt er in eine | |
| Einfahrt, dort stapelt sich Unrat. Die Tür zum Keller ist mit Holzplatten | |
| vernagelt. „Weil da unten immer Bulgaren und Junkies geschlafen haben.“ | |
| Die Müllabfuhr bedient diese Häuser nicht, weil offiziell ja niemand darin | |
| lebt. Man könnte auch sagen: Die Bedingungen, unter denen viele Roma hier | |
| leben, unterscheiden sich nur in Graden vom Elend in Stolipinowo. Der Slum | |
| am Rand Europas wirkt mit einem Mal ganz nah. | |
| ## 2014 kommt die Freizügigkeit | |
| Dortmund hat sich um das Problem lange nicht gekümmert. Inzwischen ist es | |
| nicht mehr zu ignorieren. 16 von rund 100 sogenannten Problemhäusern hat | |
| die Stadt gekauft und geräumt. „Der Bund trifft die Entscheidungen über | |
| EU-Beitritte, die Kommunen treffen sie nicht“, sagt Sozialdezernentin | |
| Birgit Zoerner, „aber die Folgen haben wir als Kommune zu tragen.“ Sie | |
| sitzt im 8. Stock des Stadthauses. Hinter ihr breitet sich Dortmund aus, | |
| ganz hinten ist der Norden gerade noch zu erkennen. | |
| Derzeit belaste der Zuzug aus Südosteuropa den Haushalt mit 4 bis 5 | |
| Millionen Euro im Jahr, sagt sie. Das ist viel für die hoch verschuldete | |
| Stadt. Hinzu kommt, dass Bulgaren und Rumänen ab 2014 die gleichen Rechte | |
| auf dem Arbeitsmarkt haben werden wie andere EU-Bürger. Viele fürchten, der | |
| Zustrom werde dann noch stärker. „Wir werden eine veränderte Situation | |
| haben“, sagt sie. „Wie sie aussehen wird – es macht wenig Sinn zu | |
| spekulieren.“ Zoerner leitet beim Städtetag die Arbeitsgruppe „Zuwanderung | |
| von Menschen aus Bulgarien und Rumänien“. Immer wieder hat sie vom Bund | |
| finanzielle Hilfe gefordert. Ohne Erfolg. Mehr Integrationsarbeit, sagt | |
| sie, wäre dringend nötig. „Aber aus eigener Tasche können wir es nicht | |
| finanzieren.“ | |
| Vor zwei Jahren hat die Stadt eine drastische Entscheidung getroffen: Der | |
| Straßenstrich wurde komplett abgeschafft. Die Zahl der Prostituierten war | |
| rapide angestiegen; rund 700 Frauen wurden registriert, die meisten davon | |
| Romni. Die Anwohner protestierten, die Situation drohte zu kippen. „Es hat | |
| sich gezeigt, dass die Möglichkeit, dort Geld zu verdienen, ein wichtiger | |
| Anziehungspunkt gewesen ist“, sagt die Dezernentin. Den gibt es jetzt nicht | |
| mehr, seither ist die Nordstadt wieder ruhiger geworden. | |
| ## Es gibt jetzt eine "Task Force" | |
| Der Nachmittag bricht an auf der Mallinckrodtstraße. Auf dem Markt haben | |
| türkische Händler ihre Stände aufgebaut. Polizisten und Männer vom | |
| Ordnungsamt laufen auf und ab; sie sind Teil der „Task Force“, die | |
| eingerichtet wurde, um in dem Bezirk für Ordnung zu sorgen. Das klingt nach | |
| militärischer Eingreiftruppe. Aber gegen die Ursachen des Elends in der | |
| Nordstadt können sie nichts tun. Hier und dort flanieren Frauen mit bunten | |
| Röcken, kauen Sonnenblumenkerne. Auch das ein Streitpunkt, weil die | |
| Nachbarn sich über die Schalen auf dem Asphalt ärgern. | |
| Hakan Cimey greift ins Regal seiner Trinkhalle, nimmt eine Packung Kerne | |
| und schüttelt sie vor Wut. „Die sind die ganze Zeit am Knabbern“, ruft er. | |
| „Die machen alles dreckig.“ Seit 16 Jahren verkauft er Bier und Zigaretten | |
| an der Mallinckrodtstraße. Aber seit einiger Zeit beobachtet er | |
| Veränderungen in seinem Viertel.„Alles wird schlechter, allgemein sowieso“, | |
| murmelt er. „Das wird nicht besser hier.“ | |
| Im Stehcafé Europa ist nicht viel los; Mussa Salihi, ein Albaner, 50 Jahre, | |
| lehnt am Tresen und starrt ins Nichts. „Früher, boah, was war das hier | |
| super, damals, als die Frauen noch mitgearbeitet haben.“ Er meint die | |
| Prostituierten; der Strich lag ganz in der Nähe. Aber nicht alle sind | |
| abgewandert. Die, die noch da sind, suchen nun illegal nach Freiern. Salihi | |
| tritt aus der Tür. Zwei Frauen ziehen vorbei, der Stoff ihrer engen Hosen | |
| schneidet ihnen ins Fleisch. „Die Mädels arbeiten“, sagt er. „Eine ist | |
| Türkin, Junkie, die andere aus Bulgarien.“ | |
| ## Seit langem vernachlässigt | |
| Drei Roma, dick gepanzert in ihre Anoraks, stehen neben ihm. In ihren | |
| Wohnungen gibt es keine Heizung, keinen Strom, kein fließendes Wasser. „Der | |
| Vermieter nimmt Geld, aber er macht nichts.“ Ob man sie sehen kann? Die | |
| drei schütteln die Köpfe. Sie schämen sich. „Da sind Kakerlaken“, sagt d… | |
| eine, „und es stinkt“, wispert der andere. Salihi sagt, die Stimme schwer | |
| vor Mitleid: „Die Leute sind nicht sauber.“ | |
| Aber wie soll man auch sauber sein, in einer überfüllten Wohnung, ohne | |
| Licht, ohne Wasser? Viele geben den Roma die Schuld am Verfall des Bezirks. | |
| „Man hat vergessen, dass diese Häuser seit Jahrzehnten verwahrlost sind“, | |
| sagt Tülin Kabis-Staubach, Schärfe im Ton. Die Architektin ist Mitglied im | |
| Planerladen, einer Initiative, die seit 1982 in der Nordstadt | |
| Quartiersentwicklung macht. „Im Moment sind Roma unsere Hauptzielgruppe.“ | |
| Wichtig wäre es, Konzepte zu entwickeln, wie ihnen ein menschenwürdiges | |
| Leben ermöglicht werden kann, sagt sie. Stattdessen setze die Stadt | |
| vorrangig auf „abschreckende Aktionen“, Razzien, Kontrollen. „Vieles zeugt | |
| von Hilflosigkeit, und das geht auf Kosten der Betroffenen.“ | |
| ## Mafiöse Strukturen | |
| Es ist nicht so, dass die Stadt nichts tut. Seit 2011 bietet das | |
| Gesundheitsamt Sprechstunden für Frauen und Kinder ohne Krankenversicherung | |
| an. Aber nach wie vor fehlen Hilfsangebote. Davon profitieren die, die aus | |
| der Not Kapital schlagen wollen. Mittelsmänner verlangen viel Geld für ihre | |
| Dienste, etwa für das Ausfüllen von Anträgen. „Diesen mafiösen | |
| Ausbeutungsstrukturen haben wir nichts entgegenzusetzen“, sagt Uta Schütte, | |
| Projektleiterin bei der Diakonie in Dortmund. „Wir haben keine Ressourcen | |
| und viele verzweifelte Sozialarbeiter.“ Die Diakonie hat ein Projekt | |
| eingerichtet, um den Familien zu helfen, ihre Kinder einzuschulen. Oft | |
| heißt es, Roma wollten ihre Kinder nicht in den Unterricht schicken. Diese | |
| Erfahrung hat Schütte nicht gemacht. „Aber dann fehlen Unterlagen, ein | |
| Konto, eine Meldeadresse, ein Busticket.“ Und dann geben viele auf. | |
| Dennoch steigen die Zahlen der Zuwanderer in Dortmund nach wie vor. Es | |
| dämmert; die Markthändler packen ihre Kisten. Ein Rumäne steht neben dem | |
| Topkapi-Grill, zuckt müde die Schultern. „Wir wissen, dass die Leute uns | |
| nicht mögen“, sagt er. Radu* hat fünf Monate als Schrottsammler gearbeitet, | |
| dazu braucht man nichts als einen Transporter und einen Gewerbeschein. 20, | |
| 30 Euro machte er am Tag. Nicht viel, doch es reichte. Nun ist das Auto | |
| kaputt; Radu steht da und wartet. Nur auf was, das weiß er nicht mehr | |
| genau. | |
| * Namen geändert | |
| 26 Nov 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Gabriela Keller | |
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