# taz.de -- Roma im Ruhrgebiet: Die eingewanderten Gettos | |
> Roma besiedeln verfallende Teile von Ruhr-Städten. Dort fürchtet man die | |
> Kosten, die Nachbarn klagen und die Schattenwirtschaft boomt. | |
Bild: In Deutschland präge „extreme Armut das Leben der Zugewanderten“, so… | |
DUISBURG/DORTMUND taz | Die Klagen der Nachbarn des völlig überbelegten | |
Wohnblocks im Duisburger Stadtteil Rheinhausen waren schon vor Monaten laut | |
geworden: Es türme sich der Müll, nachts herrsche „unerträglicher“ Lärm. | |
Die Polizei verzeichnete einen sprunghaften Anstieg von Kleinkriminalität | |
wie dem Diebstahl von Altmetall. In dem Wohnblock leben Menschen aus | |
Bulgarien und Rumänien, viele von ihnen Roma. Nächste Woche will die | |
rechtsextreme „pro NRW“-Bewegung vor ihrem Haus aufmarschieren. | |
Ähnliche Klagen gab es aus der Dortmunder Nordstadt, die seit über 100 | |
Jahren Einwanderer aufnimmt: Roma-Clans zögen in Schrottimmobilien und | |
verwandelten deren Hinterhöfe in wilde Müllkippen. Grund dieses im | |
Polizeijargon „vordelinquent“ genannten „Verhaltens“ ist oft Unwissenhe… | |
In Bulgarien und Rumänien sind rund 80 Prozent der Roma arbeitslos, viele | |
leben in gettoartigen Siedlungen, ohne funktionierende Müllabfuhr oder | |
Wasserversorgung. Nicht selten wurden sie in die Nähe von Müllhalden | |
zwangsumgesiedelt. [1][„Erklärt uns eure Regeln“], appellierte deshalb der | |
Roma-Aktivist Esref Avdosoji schon im Oktober beinahe flehentlich im | |
Duisburger Lokalteil der WAZ. | |
Auch in Deutschland präge „extreme Armut das Leben der Zugewanderten“, | |
heißt es in einem Bericht der Duisburger Stadtverwaltung. Schon der | |
Schlafplatz auf einer Matratze in einem verwahrlosten Haus ohne Heizung | |
kann jeden Monat 200 Euro und mehr kosten. | |
## Florierender Arbeiterstrich, boomende Prostitution | |
In Dortmund und Duisburg floriert nicht nur der Arbeiterstrich. Ohne | |
Arbeitserlaubnis verdingen sich Männer als Tagelöhner in Schwarzarbeit – | |
und werden als Rechtlose oft noch um ihre wenigen Euro Stundenlohn | |
betrogen. Auch die Prostitution boomt: In Duisburg soll das Rotlichtgewerbe | |
mittlerweile mehr Umsatz machen als in Hamburg. Das Duisburger | |
Integrationsamt berichtet von „festgestellter Zwangs- und vermuteter | |
Kinderprostitution“. In Dortmund lockte der Straßenstrich so viele Freier | |
an, dass die Politik das gesamte Viertel zum Sperrgebiet erklären ließ. | |
Trotzdem bleibe das Ruhrgebiet für Armutsflüchtlinge attraktiv, sagt der | |
Duisburger Sozialarbeiter Deniz Aksen, dessen Verein | |
[2][Zukunftsorientierte Förderung] viele Migranten berät – schließlich | |
stünden hier nach dem Niedergang der Schwerindustrie ganze Häuser leer. | |
„Lieber in einer Bruchbude in Duisburg als obdachlos in Düsseldorf“, | |
erklärt er. | |
Duisburgs Sprecher Frank Kopatschek hat die Zahl der MigrantInnen aus | |
Rumänien und Bulgarien sofort parat: Am 1. Dezember 2011 seien es 4.498, | |
Anfang Februar dieses Jahres schon 6.513 gewesen. „Die Menschen kommen, um | |
zu bleiben“, sagt er – und verweist auf „816 angemeldete Gewerbe“: Deren | |
Betreiber können zumindest theoretisch schon heute Hartz-IV-Leistungen | |
beantragen. | |
Kommunen wie Dortmund oder Duisburg, die seit Jahren knapp an der Pleite | |
vorbeischrammen, fürchten den 1. Januar 2014. Sollten MigrantInnen aus | |
Südosteuropa dann dieselben Leistungen zustehen wie Portugiesen oder | |
Spaniern, entstünden Kosten, die sie allein nicht schultern könnten: Der | |
Duisburger Kopatschek etwa spricht von 18 Millionen Euro im Jahr – 13 | |
Millionen allein für die „Kosten der Unterkunft“ potenzieller | |
Hartz-IV-Bezieher. | |
## Notruf der Städte | |
Dortmund listet die Kosten für mögliche „Grundsicherung im Alter“, „Hil… | |
zur Gesundheit“ und knapp 20 weitere Notlagen auf – allein die | |
„Inobhutnahme“ von 100 Kindern werde mit „ca. 2,2 Millionen Euro“ zu Bu… | |
schlagen. „Nachvollziehbar“ sei der Notruf der Städte angesichts der | |
überlasteten Haushalte, meint Herbert Heuss, leitender wissenschaftlicher | |
Mitarbeiter beim Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Ebenso richtig sei | |
aber, dass Politiker ein Ende der „oft massiven und gewaltbereiten | |
Diskriminierung und rassistischen Ausgrenzung von Roma“ in den | |
Herkunftsländern fordern. | |
Befeuert wird die Debatte auch durch Nordrhein-Westfalens Arbeits- und | |
Integrationsminister Guntram Schneider: Für die Sorgen der Kommunen habe er | |
„vollstes Verständnis“, versichert der Sozialdemokrat. Dabei hätten gerade | |
Dortmund und Duisburg Grund zur Zuversicht. | |
In Dortmund hat die Integrationsdebatte nach Schließung des Straßenstrichs | |
merklich an Schärfe verloren. Und in Duisburg hat die Stadt die | |
Müllprobleme des überbelegten Wohnblocks längst in den Griff bekommen. Am | |
„pro NRW“-Aufzug, berichtet der Pfarrer Heiner Augustin, der rechtsextremen | |
Tendenzen vor Ort einen runden Tisch entgegengesetzt hat, wollen sich die | |
Anwohner „nicht beteiligen.“ | |
3 Mar 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/nord/erklaert-uns-eure-regeln-id71… | |
[2] http://www.zof-online.de/projekte_04.php | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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Martin Korol | |
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