| # taz.de -- Debatte Korrekte Kinderbücher: Modernisierte Klassiker | |
| > „Die kleine Hexe“ soll ohne diskriminierende Begriffe erscheinen. Das ist | |
| > keine Sprachzensur, sondern im Sinne ihres Autors Otfried Preußler. | |
| Bild: Otfried Preußler und der Räuber Hotzenplotz. Aber wer ist wer? | |
| Wer sich heute in die Kinderbuchabteilung eines Buchladens verirrt, den | |
| kann das Gefühl beschleichen, in eine Zeitmaschine geraten zu sein. „Pippi | |
| Langstrumpf“, „Der Räuber Hotzenplotz“, das „Urmel“, „Jim Knopf“… | |
| „Sams“-Bücher gehören dort noch immer zu den Bestsellern, die auf dicken | |
| Stapeln ausliegen – so, wie schon vor über 30 Jahren. | |
| Der Grund für diese Restauration im Kinderzimmer ist, dass viele Eltern am | |
| liebsten zu jenen Büchern greifen, mit denen sie selbst aufgewachsen sind, | |
| weil sie mit den Figuren, die sie auch von Hörspielkassetten oder der | |
| Augsburger Puppenkiste kennen, nur positive Erinnerungen verbinden. | |
| Umso größer ist bei vielen instinktiv die Abwehr, wenn sie hören, dass an | |
| diesen Büchern etwas geändert werden soll – so wie jetzt bei der „kleinen | |
| Hexe“ von Otfried Preußler, dessen Verlag angekündigt hat, aus der für | |
| diesen Sommer geplanten Neuauflage das Wort „Neger“ zu streichen. | |
| Auf einen entsprechenden Artikel in der taz und Meldungen in anderen | |
| Zeitungen gingen bei dem Stuttgarter Thienemann-Verlag Hunderte von Mails | |
| ein – überwiegend Protest, zum größten Teil sogar üble Beschimpfungen. Au… | |
| in vielen Onlineforen schwappen die Emotionen hoch. Dem Verlag wird dort | |
| „Zensur“ vorgeworfen, und von George Orwell bis zu den Bücherverbrennungen | |
| der Nazis ist kein Vergleich zu grob, um nicht eifrig bemüht zu werden. | |
| ## Das Recht auf Verständlichkeit | |
| Dabei geht es gar nicht um ein Verbot oder gar um Zensur – sondern vielmehr | |
| um das Recht eines Autors und seines Verlags, seine Bücher an den | |
| Sprachgebrauch der heutigen Zeit anzupassen, damit sie künftig noch von | |
| vielen Menschen gelesen werden können, ohne dass diese das in den falschen | |
| Hals bekommen – zum Beispiel, weil sie schwarz sind. Das Problem ist ja | |
| nicht nur, dass das Wort „Neger“, das früher gebräuchlich war, heute als | |
| diskriminierend gilt. | |
| Hinzu kommt, das es vielen Kindern heute schlicht nicht mehr geläufig sein | |
| dürfte. Will man es der nächsten Generationen da nun ausgerechnet per | |
| Kinderbuch beibringen? Und würde es nicht vielmehr der humanistischen und | |
| zweifellos antirassistischen Intention von Autoren wie Otfried Preußler und | |
| Astrid Lindgren widersprechen, solch missverständliche Begriffe in | |
| Kinderbüchern wie „Pippi Langstrumpf“ und „Die kleine Hexe“ beizubehal… | |
| Nun ist es tatsächlich schwierig, zwischen dem Willen zur Werktreue und der | |
| Authentizität des Originals auf der einen Seite sowie sprachlichen | |
| Entwicklungen und der Rücksichtnahme auf heutige Minderheiten andererseits | |
| abzuwägen. Der Autor und der Verlag haben sich ihre Entscheidung deswegen | |
| auch nicht leicht gemacht, sondern lange mit sich gerungen. | |
| In der Neuausgabe der „Kleinen Hexe“ soll auch nicht mehr von „Schuhe | |
| wichsen“ die Rede sein, sondern von „Schuhe putzen“. Außerdem soll die | |
| kleine Hexe nicht mehr damit drohen, Kinder mit ihrem Besen | |
| „durchzuwichsen“, sondern sie zu verhauen, wie man das heute sagen würde. | |
| Auch die schönen Originalillustrationen werden erstmals in Farbe | |
| erscheinen. Über all das hat sich seltsamerweise noch niemand beschwert. | |
| ## Mark Twain ohne „Nigger“ | |
| Letztlich kann man solche Entscheidungen auch nur im Einzelfall treffen, | |
| wie die Debatte über Mark Twains „Tom Sawyer“ und „Huckleberry Finn“ i… | |
| USA gezeigt hat. Dessen amerikanischer Verlag hat vor zwei Jahren das Wort | |
| „Nigger“ – das in „Huckleberry Finn“ mehr als 200-mal vorkommt –, d… | |
| weniger anstößigen Begriff „Sklave“ ersetzt. | |
| Dieser Schritt war auch dort heiß umstritten und hat hitzige Debatten | |
| provoziert. Allerdings ist „Huckleberry Finn“ auch ein Jugendbuch und fällt | |
| damit in eine andere Kategorie. | |
| So oder so – Klassiker wie „Tom Sawyer“, „Die kleine Hexe“ und „Pip… | |
| Langstrumpf“ bleiben trotzdem Weltliteratur, eine behutsame Modernisierung | |
| muss ihnen nicht schaden. Selbst die Luther-Bibel wurde mehrfach sprachlich | |
| überarbeitet und von antisemitischen Ausfällen ihres Autors bereinigt, | |
| damit man ihre Botschaft auch heute noch versteht. Warum Kinderbücher da | |
| per se „heiliger“ sein sollen, leuchtet nicht so recht ein. | |
| ## Traditionen der Ausgrenzung | |
| Es geht ja auch nicht darum, die ganze Weltliteratur umzuschreiben. Denn | |
| rassistische und antisemitische Injurien ziehen sich durch die gesamte | |
| christlich-abendländische Kultur – selbst Aufklärer wie Voltaire, Kant oder | |
| Georg Christoph Lichtenberg waren nicht frei davon, und auch moderne | |
| Philosophen wie Adorno schrieben in ihren Büchern noch ganz | |
| selbstverständlich von „Negern“. | |
| Das alles kann man nicht nachträglich einfach umschreiben, ohne plumpe | |
| Geschichtsfälschung zu betreiben. Aber es ist doch etwas anderes, wenn es | |
| um Kinderbücher geht, die heute noch gelesen und vorgelesen werden. Von | |
| Dreijährigen kann man schlecht erwarten, dass sie bestimmte Begriffe und | |
| Bilder kritisch reflektieren und historisch einordnen können – von | |
| Studenten der Philosophie schon. | |
| Natürlich sind Kinderbücher nur ein Nebenkriegsschauplatz, wenn es um den | |
| Kampf gegen Rassismus geht. Doch von Einwanderern verlangt man ja auch, | |
| dass sie ihre Herkunftskultur und ihre mitgebrachten Traditionen kritisch | |
| überprüfen – zu Recht, ist die Geschichte ihrer Länder doch oft von Gewalt, | |
| Frauenfeindlichkeit oder der Ausgrenzung Andersdenkender geprägt. Aber auch | |
| die deutsche Geschichte ist von Gewalt, Frauenfeindlichkeit und Rassismus | |
| geprägt, ja sogar von einem Völkermord. Grund genug, auch die deutsche | |
| Kultur und Traditionen immer mal wieder einer kritischen Überprüfung zu | |
| unterziehen. | |
| Angesichts dessen erstaunt die Wut, die die bloße Ankündigung eines | |
| Verlags, ein paar Details in einem Kinderbuch zu verändern, ausgelöst hat. | |
| In der Verbissenheit, mit der mache an Begriffen wie „Neger“ festhalten | |
| wollen, scheint eine seltsame Sehnsucht nach der vermeintlich „guten alten | |
| Zeit“ durch, als man solche Worte noch ungehemmt verwenden durfte. Man | |
| sollte bei solch unkritischer Nostalgie aber nicht vergessen, dass | |
| unverheiratete Frauen damals auch noch „Fräulein“ genannt wurden, | |
| Abtreibungen verboten und Altnazis noch überall in Amt und Würden waren. | |
| 13 Jan 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Bax | |
| Daniel Bax | |
| ## TAGS | |
| Kinderbuch | |
| Sprache | |
| Preußler | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Otfried Preußler | |
| Sharon Dodua Otoo | |
| Autobiografie | |
| Kinderbücher | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| BR | |
| Otfried Preußler | |
| kleine hexe | |
| Preußler | |
| Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Diskriminierende Sprache im Kinderbuch: Jim Knopf jetzt ohne Rassismus | |
| Der Stuttgarter Thienemann-Verlag streicht rassistische Begriffe aus seiner | |
| beliebten Kinderbuchreihe. Droht eine neue Zensur-Debatte? Eher nicht. | |
| Neue „Jim Knopf“-Jubiläumsausgabe: Fürn Ärmel | |
| Michael Ende hat eine antirassistische Erzählung geschrieben – die dennoch | |
| voller Stereotype ist. Auch nach 55 Jahren darf das N-Wort bleiben. | |
| Verbale Diskriminierung: Krach um das N-Wort | |
| Niemand verbietet Deniz Yücel das Wort. Wirklich niemand? Der Streit um | |
| modernisierte Sprache eskaliert auf einem taz.lab-Panel. | |
| Autorin über Rassismus in Kinderbüchern: Pippi und der Kolonialismus | |
| Deutsche verteidigen rassistische Wörter und blenden gleichzeitig ihre | |
| koloniale Vergangenheit aus. Das sagt die Schriftstellerin Sharon Dodua | |
| Otoo. | |
| Mark Twains Autobiografie: Erzählen zum Zeitvertreib | |
| Auf Mark Twains Autobiografie mussten die Leser 100 Jahre warten – so | |
| wollte es der Schriftsteller. Nun ist der erste von drei Teilen erschienen. | |
| Autorin zu modernisierten Kinderbüchern: „Was spricht denn dagegen?“ | |
| Wichtiger als das einzelne Wort ist, dass die Haltung der Autoren deutlich | |
| wird, findet die Kinderbuchautorin Kirsten Boie. | |
| Rassismus in Kinderbüchern: „Es sind auch meine Kinderbücher!“ | |
| Die Journalistin Hadija Haruna über diskriminierende Ausdrücke in | |
| Kinderbüchern, die Abwehrreflexe von Feuilletonisten und Rassismus in den | |
| Medien. | |
| Rassismus im Computerspiel: Möglicherweise Blödheit | |
| Beim Computerspiel „Blood Brothers“ sind rote Haare und helle Haut das | |
| Ziel. Handelt es sich dabei um eine Art umgekehrtes Blackfacing? | |
| 60 Jahre Augsburger Puppenkiste: Nicht weinen | |
| Die Augsburger Puppenkiste ist nach 60 Jahren kaum noch im TV zu sehen. Da | |
| hilft auch die nostalgische Verklärung von Eltern nichts. | |
| Rassistische Begriffe in Kinderbüchern: Werte und Worte | |
| In der Debatte über Kinderbücher geht es um Abwägung: Zensur oder | |
| Rassismus. Entscheidend sollte sein, was die Autoren beim Schreiben | |
| beabsichtigten. | |
| Zensur in Kinderbüchern: Wichsen verboten | |
| Die Sprache im Kinderbuch „Die kleine Hexe“ wird bereinigt: Nach dem Thema | |
| Rassismus sind nun die sexuell konnotierten Wörter dran. | |
| Diskriminierende Sprache bei Preußler: Die Kleine Hexe, ohne Rassismus | |
| „Die kleine Hexe“ von Otfried Preußler wird künftig ohne diskriminierende | |
| Begriffe erscheinen. Ein Leserbrief hat die Nachkommen des Autors | |
| überzeugt. | |
| Nicht normative Kinderbücher: „Wir verkehren nicht die Realität“ | |
| In den Büchern des Nono Verlags wollen Jungs Kleider tragen und Mädchen Lkw | |
| fahren. Ein Gespräch mit Autorin Tanja Abou und Verleger Ben Böttger über | |
| Klischees. |