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# taz.de -- Autorin zu modernisierten Kinderbüchern: „Was spricht denn dageg…
> Wichtiger als das einzelne Wort ist, dass die Haltung der Autoren
> deutlich wird, findet die Kinderbuchautorin Kirsten Boie.
Bild: Kirsten Boie hat auch mit behutsam modernisierten Versionen ihrer Bücher…
taz: Frau Boie, der Thienemann Verlag hat mit seiner Entscheidung, das Wort
„Neger“ aus einer Neuauflage von Otfried Preußlers „Kleiner Hexe“ zu
streichen, einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Verstehen Sie die
Aufregung, Frau Boie?
Kirsten Boie: Nicht so ganz. Ich glaube, sie ist in Wirklichkeit Ausdruck
der großen Verunsicherung darüber, dass unsere Gesellschaft vielfältiger
geworden ist. Diese Debatte rührt offenbar an grundsätzliche Fragen.
Ihre Kollegin Christine Nöstlinger hat solche Änderungen an Kinderbüchern
als Unfug bezeichnet, ihr würde eine Fußnote reichen. Wie sehen Sie das?
Ich finde es in diesem konkreten Fall richtig, dass das Wort aus den
Kinderbüchern herausgestrichen wird. Wichtiger als das einzelne Wort ist,
dass die Haltung der Autoren klar wird. Grundsätzlich freut es mich ja,
dass die Kinderliteratur durch diesen Streit jetzt anscheinend solche
Anerkennung erfährt. Aber man muss in Kinderbüchern noch andere Fragen
berücksichtigen. Bei Erwachsenenliteratur ist ein Nachwort oder eine
Fußnoten sicher nicht die schlechteste Lösung, sie können historisch
denken. Aber Kinder nehmen alles ganz gegenwärtig.
Die Märchen der Brüder Grimm oder berühmte Geschichten wie „Gullivers
Reisen“, „Oliver Twist“ kennt fast jeder. Aber kaum jemand kennt das
Original. Wird Werktreue bei Kinderbüchern überbewertet?
Das waren ja ursprünglich keine Kinderbücher, und von diesen Texten gibt es
ja oft historisch-kritische Ausgaben. Im Bereich der heutigen
Kinderliteratur würde sich das für die Verlage wohl nicht lohnen. Die Frage
ist aber auch: Was ist denn zum Beispiel die Pippi-Urfassung? Und welche
der Pippi-Übersetzungen ist das Original? Doch statt sich diesen Fragen zu
stellen, wird plötzlich die Heiligkeit des Textes über alles andere
gestellt.
Wie sollen Verlage damit umgehen, wenn die Sprache eines Kinderbuchs von
der Entwicklung überholt wird? Darf man sie verändern?
Wir reden hier von einzelnen Wörtern! Ich habe in einem meiner frühen
Bücher einmal von einer Negerkusswurfmaschine geschrieben. Inzwischen habe
ich das Wort durch Schokokuss ersetzen lassen. Was spricht denn dagegen?
Wenn Begriffe vorkommen, die Menschen kränken, dann muss ich die nicht mehr
verwenden. Es kommt immer auf den Einzelfall an. Aber ich würde mich
freuen, wenn meine Bücher auch in Zukunft immer einen sensiblen Lektor
finden, der dafür sorgt, dass sie meine Haltung auch dann noch wiedergeben,
wenn sich die Wertung einzelner Begriffe ändert.
Eine Ihrer ersten Lektüren, haben Sie mal bekannt, war das Buch „Sonja und
Doktor Lakritzen“, das in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg spielt. Der Doktor
ist ein schwarzer amerikanischer Arzt – und die Titelfigur Sonja hatte
gedacht, dass Schwarze nur mit Baströckchen herumlaufen. Wie hat Sie das
geprägt?
In dieser Zeit gab es all diese populären Bilder von Eingeborenen, die um
einen Topf herumstehen, aus dem ein Missionar herausguckt. Und in der
britischen Besatzungszone, wo ich aufwuchs, gab es auch keine
amerikanischen GIs wie in Bayern. Da war diese Lektüre ein Aha-Erlebnis, da
ist etwas in meinem Kopf gekippt. Das ist ein Beispiel dafür, wie Texte bei
Kindern Wahrnehmung beeinflussen können.
Dieses Bild von den Schwarzen im Baströckchen wird ja in vielen
Kinderbüchern reproduziert – auch in Pippi Langstrumpf. Ist das ein
Problem?
In meiner Erinnerung ist das Taka-Tuka-Land eher ein Kinderparadies, wo die
Kinder Dinge tun konnten, die sie im kalten und strengen Schweden nicht
durften. Von fernen Ländern und exotischen Figuren geht ja auch ein Zauber
aus, der die Fantasie von Kindern anregt. Ich müsste das aber heute wohl
noch mal lesen, um es wirklich beurteilen zu können.
In Ihren Kinderbüchern gibt es viele starke und mutige Mädchen. Brechen Sie
bewusst mit Geschlechterklischees?
Mir geht es nicht abstrakt um Political Correctness. Ich habe im Laufe der
Zeit auch relativ viel Post etwa von Müttern bekommen, die sich
beschwerten, dass ein Junge in meinen Büchern zu Mädchen „Weiber“ sagt.
Aber das machen kleine Jungs nun mal! Und es macht ja auch einen
Unterschied, ob der Erzähler so etwas schreibt oder ob er einen
Protagonisten sprechen lässt.
Ihr erstes Buch, „Paule ist ein Glücksgriff“ von 1986, drehte sich um ein
schwarzes Adoptivkind. Damit haben sie damals Neuland betreten, solche
Themen kamen in Kinderbüchern bis dahin kaum vor. Wie kamen Sie auf diese
Idee?
Ich hatte selbst gerade ein dunkelhäutiges Kind adoptiert. Eigentlich
wollte ich dann wieder in meinen Beruf als Lehrerin zurückkehren, aber das
durfte ich von Amts wegen nicht. Stattdessen schrieb ich ein Buch darüber,
wie sich das Leben für ein Kind mit dunkler Hautfarbe in einer weißen
Umwelt anfühlt. Ich weiß nicht, wie sehr diese Erfahrung meine Sicht auf
die Debatte jetzt prägt. Aber ich hoffe natürlich, dass man keine
dunkelhäutigen Kinder haben muss, um hier eine gewisse Sensibilität zu
besitzen.
3 Feb 2013
## AUTOREN
Daniel Bax
Daniel Bax
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Kinderbücher
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