| # taz.de -- Nicht normative Kinderbücher: „Wir verkehren nicht die Realität… | |
| > In den Büchern des Nono Verlags wollen Jungs Kleider tragen und Mädchen | |
| > Lkw fahren. Ein Gespräch mit Autorin Tanja Abou und Verleger Ben Böttger | |
| > über Klischees. | |
| Bild: Vater, Mutter, Tochter. Warum eigentlich nicht Vater, Vater, Tochter? | |
| taz: Frau Abou, Herr Böttger, in ihrem Buch „Unsa Haus“ will ein Mädchen | |
| Lkw-Fahrerin werden, ein Junge wünscht sich ein rosa Kleid. Gängige | |
| Stereotype werden ins Gegenteil verkehrt. | |
| Ben Böttger: Es gibt solche Kinder und deswegen stellen wir sie im Buch | |
| dar. Wir verkehren nicht die Realität, sondern wir bilden das ab, was sonst | |
| nicht abgebildet wird. Ob das Stereotype sind, ist wohl Ansichtssache. | |
| Sie bezeichnen die Nono-Kinderbücher als „nicht normativ“. Geht es nicht | |
| eigentlich darum, etwas zu verneinen? | |
| Ben Böttger: Wir wollen unsere Figuren nicht anhand von Normen | |
| charakterisieren, anhand eines „So soll es sein“, das Menschen einengt. | |
| Tanja Abou: Ein Beispiel: Im Spielwarengeschäft gibt es eine | |
| Mädchenabteilung und da sind nur pinke Prinzessinnen. Das ist nicht ein | |
| Problem, weil es die Farbe pink ist, sondern weil es nur pink gibt und | |
| nichts anderes. Es legt Kinder auf etwas fest. | |
| Können Kinderbücher ein politisches Werkzeug sein? | |
| Ben Böttger: „Unsa Haus“ war nicht als politische Aktion geplant. Ich habe | |
| ein Bild aus einem Kinderbuch gesehen. Der kleine Hase war krank und seine | |
| Mutter brachte ihm Kamillentee ans Bett. Ich dachte aber, es wäre auch | |
| schön, wenn der Papa den Hasen ins Bett bringen würde. Dann dachte ich: | |
| Wäre auch schön, wenn es zwei Papis wären. Und in „Unsa Haus“ kommt eine | |
| solche Familie nun vor. | |
| Tanja Abou: Ich sehe mich als politische Künstlerin. Klar soll ein | |
| Kinderbuch erst mal Kids unterhalten. Ich hatte eine Idee und fand sie | |
| super. Ich wollte einfach ein Kinderbuch machen, das näher an meiner | |
| Lebenswelt dran ist als andere Kinderbücher. Erst später habe ich mir | |
| überlegt, dass ein nichtnormatives Kinderbuch auch eine politische | |
| Intervention sein kann. | |
| Der Junge Dani in „Unsa Haus“ wünscht sich ein rosa Kleid. Sind das nicht | |
| auch Klischees? | |
| Ben Böttger: Wir wollten einen Jungen zeigen, der die rosa Glitzerwelt mag | |
| und der damit auch akzeptiert wird. Ich halte es nicht für ein Klischee, | |
| dass Jungs rosa Kleider mögen. | |
| Tanja Abou: Ich lebe in Berlin und bewege mich viel in queeren Subszenen. | |
| Zu meiner Lebenswelt gehören Kinder, die zwei Mütter haben, genauso wie | |
| ellenlange Plena, um Dinge im Konsens auszuhandeln. Das möchte ich in meine | |
| Bücher einbringen. Sicherlich kommt in meiner Welt vieles aus dem | |
| Mainstream nicht vor. Die Realität ist vielfältig und man blendet immer | |
| etwas aus. | |
| Was haben Sie bewusst ausgeblendet? | |
| Ben Böttger: Uns ist wichtig, dass Figuren, die gängigen Normen nicht | |
| entsprechen, sich nicht erst beweisen müssen, um anerkannt zu werden. Weil | |
| das diskriminierend ist. Auch wenn in der Realität natürlich Leute | |
| diskriminiert werden. | |
| „Unsa Haus“ beschreiben Sie als „utopische Vorwegnahme“. Was für Utopi… | |
| sind das? | |
| Ben Böttger: Ich möchte eine Utopie abbilden, in der Leute so wie sie sind, | |
| glücklich zusammenleben können. Weil ich selbst Kinder kenne, die sich | |
| beispielsweise als Papa um ihr krankes Kind kümmern wollen. In | |
| Medieninhalten, die sie zu sehen kriegen, kommt aber eine solche Papafigur | |
| selten vor. Ich möchte Kindern zeigen, dass sie mit ihren Wünschen und | |
| Bedürfnissen einen Platz haben können in der Welt und nicht denken müssen, | |
| sie müssten sich verbiegen. | |
| Widersprechen sich diese Ansprüche nicht: Realität abbilden und Utopie | |
| zeigen? | |
| Ben Böttger: In „Unsa Haus“ gehen alle respektvoll miteinander um, so ist | |
| die Wirklichkeit nicht. Oder nur in kleinen Zusammenhängen. In „Raumschiff | |
| Cosinus“ geht es darum, wie Konflikte gut gehandhabt werden können. Ich | |
| denke, dass es emotional guttut, wenn man sieht, dass die eigenen | |
| Bedürfnisse mit einer positiven Vision von Zusammenleben kompatibel sind. | |
| Frau Abou, in „Raumschiff Cosinus“ finden sich ein Computer, ein Kosmonaut, | |
| eine Art Drache und ein Wischmob zu einer Wahlfamilie zusammen. Bei den | |
| Figuren haben Sie geschlechtliche Zuschreibungen vermieden. Wie viele | |
| sozialkritische Ebenen verträgt ein Kinderbuch? | |
| Tanja Abou: Ich wollte drei Dinge, eine Working-Class-Geschichte mit dem | |
| Genderthema und dem Wahlfamilienkonzept verbinden. Die Idee kam mir, als | |
| ich eine Ausbildung zur Social-Justice-Trainerin machte. Ich habe mich | |
| damals mit Adultismus, also der Diskriminierung von Kindern durch | |
| Erwachsene, beschäftigt und stellte fest, dass sich Bücher über | |
| Diskriminierung nur an Erwachsene richten. | |
| Es geht Ihnen also darum, Gender Studies für Kinder zu übersetzen? | |
| Tanja Abou: Ja, mit einem Fünfjährigen kann ich nur schwer Judith Butler | |
| lesen. In meiner Ausbildung ging es auch um Antisemitismus, Antiziganismus | |
| – ich konnte das nicht alles ins Buch reinbringen, weil sich die ganze Welt | |
| nicht in einem Kinderbuch erklären lässt. In „Raumschiff Cosinus“ geht es | |
| für mich vor allem um unbezahlte Hausarbeit. MICZ, der Bordcomputer, | |
| streikt, weil er ausgebeutet wird. Aber nach außen wird dieses Gender-Ding | |
| viel stärker wahrgenommen. | |
| Warum? | |
| Tanja Abou: Wahrscheinlich, weil es im Moment relativ unpopulär ist, sich | |
| mit Arbeitskampf und Streik auseinanderzusetzen. Mich wundert das, weil die | |
| Gender-Ebene in dem Buch ja nur durch die fehlenden Personalpronomen | |
| präsent ist. | |
| Ein Beispielsatz: „Was passiert, wenn wer die Schnauze voll hat?“ Stolpern | |
| Sie da nicht selbst drüber? | |
| Tanja Abou: Ich kenne viele Leute, die nicht mit Personalpronomen | |
| angesprochen werden wollen, sondern nur mit ihrem Namen. Daher hatte ich | |
| die Sprache schon eingeübt für das Buch. | |
| Ist eine Sprache, die behauptet, es gäbe kein Geschlecht – in Ihrem Buch | |
| nennen Sie es das Kosmonautische – nicht eine ideologische Sprache? | |
| Tanja Abou: Warum ideologisch? Ich mache einen Vorschlag für eine Sprache, | |
| die weniger diskriminierend sein könnte. In den 70ern wurde das Binnen-I | |
| noch als ideologisch kritisiert, heute würde es als sexistisch gelten, es | |
| nicht zu benutzen. Ich behaupte nicht, dass meine Sprache die bessere ist. | |
| Das wäre auch nicht konstruktiv. | |
| Aber kann eine geschlechtsneutrale Sprache neben einer Sprache mit | |
| geschlechtlichen Zuschreibungen friedlich koexistieren? | |
| Tanja Abou: Ich habe keine neue Sprache kreiert, sondern mit der | |
| gearbeitet, die es gibt. Man kann mit Passivkonstruktionen viel umgehen. | |
| Ich finde diese Sprache weniger sperrig als den Unterstrich, der Spielraum | |
| lässt für Geschlechter jenseits von männlich und weiblich. Ich benutze den | |
| auch, aber er verkompliziert die Sätze und das ist schon mehr was für | |
| Eingeweihte. | |
| Ben Böttger: Man kann sich streiten, was der richtige Umgang mit Sprache im | |
| Bezug auf Gender ist. Es gibt mehrere Varianten und man muss probieren, was | |
| sich durchsetzen könnte. In Tanjas Version finde ich gelungen, dass sie mit | |
| einer Sprache arbeitet, die allen gleichermaßen zur Verfügung steht. | |
| Ist es ein antisexistischer Ansatz, Kindern Geschlecht offensiv zu | |
| verschweigen? | |
| Tanja Abou: Wenn man Geschlecht thematisieren will, muss man es eben | |
| explizit aufschreiben. Einen antisexistischen Gegenentwurf könnte man auch | |
| machen, das wäre dann aber eine andere Geschichte. „Raumschiff Cosinus“ ist | |
| nur eine Geschichte von vielen, die Kinder lesen. | |
| Ben Böttger: Es ist ein Ziel, mit einem Kind über Diskriminierung zu | |
| sprechen. Ein anderes ist es, dass sich ein Kind einfach wohlfühlen soll in | |
| der Geschichte. Nicht jedes Buch muss politische Bildung leisten. Es darf | |
| auch einfach in eine positive Utopie von Welt entschwinden. | |
| 26 Dec 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Nancy Waldmann | |
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