# taz.de -- Interview mit Illustrator Helme Heine: „Ich weiß nicht, was Kind… | |
> Helme Heines „Freunde“ wird als „Mullewapp – Eine schöne Schweinerei… | |
> verfilmt. Ein Gespräch über die Besonderheit seines Humors. | |
Bild: Szene aus „Mullewapp“ | |
Frühstück hoch überm Meer in Russell, Neuseeland – Helme Heines Wohnsitz. | |
Vor uns Segelboote, eins davon seines. Hinter uns sein Atelier, von einem | |
Bootsbauer entworfen. Ebenfalls auf dem weitläufigen Grundstück, umgeben | |
von tropischen Pflanzen und Skulpturen: der Hubschrauberlandeplatz, wo die | |
Queen 1953 ausstieg. | |
taz: Herr Heine, beim ersten „Mullewapp“-Film wurde bewusst auf | |
3-D-Animation verzichtet, um so nah wie möglich an Ihrer Vorlage zu | |
bleiben. Wie finden Sie die Veränderung? | |
Helme Heine: Ein Gesicht auf der Leinwand braucht Augen mit Pupillen und | |
Lidern, die sich schließen müssen. All das haben meine Figuren nicht. | |
Dadurch verändern sich meine Helden. Das Problem haben alle Verfilmungen | |
von illustrierten Büchern. Der kleine Prinz hat plötzlich nicht mehr den | |
Charme von Saint-Exupéry, die Peanuts nicht mehr die berührende Handschrift | |
von Schulz. | |
Trotzdem Spaß gehabt beim Schauen? | |
Ich hatte vorher noch nie Zeichentrick in 3-D gesehen. Solange sich die | |
Figuren bewegen, finde ich sie gelungen. | |
Lachen Sie über den Slapstick? | |
Na ja, da gibt es eine Szene, wo die Schweine auf den Friedhof kommen und | |
um die Wette pupsen. Es wäre sehr viel komischer gewesen, wenn nur einer | |
der Bösewichte pupst und dann völlig entsetzt ist. Das ist der Unterschied | |
zwischen Humor und Witz. Der gute Charlie Chaplin ist ja mehr was für die | |
ältere Generation. Wenn Jerry Lewis die Treppe runterkommt, erwartet jeder, | |
dass er auf die Schnauze fällt. Aber wenn der Papst durch seine Soutane in | |
Stolpern gerät, dann ist das komischer. Man versucht, Haltung zu bewahren. | |
Das ist etwas sehr, sehr Köstliches. | |
Ist Jan Böhmermann witzig? | |
Sein Erdoğan-Gedicht ist einfach primitiv. Wenn man so sehr in der | |
Fäkalsprache ist, dann muss man damit rechnen, dass zurückgetreten wird. | |
Was macht Ihren Humor aus? | |
Der Charme ist zwischen den Zeilen und in den Bildern. Ich mache ja immer | |
Bücher über elementare Themen, zum Beispiel Freundschaft. Da verführe ich | |
die Menschen dazu, dass sie glauben: „Oh, diese guten Freunde, die können | |
zusammen Fahrrad fahren. Freunde sind alle gleich.“ Im nächsten Bild | |
pflücken sie Kirschen. Da sind sie aber nicht wie die Bremer | |
Stadtmusikanten aufgebaut, sondern die kleine Maus steht unten, und ganz | |
oben das dicke Schwein. Das ist für mich die Form eines stillen Humors, wo | |
man sagt: „Das kann doch gar nicht gehen.“ | |
Woran orientieren Sie sich, außer an Charlie Chaplin? | |
Ich hab’ mich bei meinen Büchern nie danach gerichtet, was Kinder wollen. | |
Ich weiß das ja gar nicht. Ich habe zwar durch meine Frau Kiki zwei | |
wunderbare Kinder bekommen, aber ich hatte nie kleine Kinder. Das ist nicht | |
meine Welt. Wenn ich dann so lese, „der Heine hat das Kind in sich | |
bewahrt“, dann ist das Bullshit. Kein Mensch kann seine Kindheit in sich | |
bewahren – die Zeit, in der man noch mit dem Teddybär spricht. Der Zauber | |
geht unwiderruflich verloren. | |
Sie werden international publiziert. Haben Sie diese Leserschaft vor Augen? | |
Was weiß ich von koreanischen Kindern? Oder diese Tests wie in Hollywood, | |
wo Kinder einen Knopf drücken – schlecht, mäßig, gut, sehr gut. Wenn das | |
jetzt eine Kussszene ist, wird die deshalb verlängert? Schwachsinn. Kannst | |
du alles vergessen. Kinder sind nicht der Indikator. Mein Kriterium ist: | |
Würde ich mir dieses Buch kaufen. Nichts anderes. | |
Gibt es auch Kritik an Ihnen? | |
Einmal hat jemand geschrieben: „So spricht kein Osterhase!“ Muss man sich | |
mal vorstellen. Woher will der wissen, wie der Osterhase spricht? Ein | |
Filmkritiker wäre viel geeigneter, das Bilderbuch zu beurteilen. | |
Warum? | |
Ein Bilderbuch ist halt keine Geschichte mit ein paar Illustrationen, es | |
ist eine Inszenierung. Dem Film viel näher als dem normalen Buch. Kiki hat | |
ein gutes Gespür für Texte, wir schreiben 30-, 40-mal um. Man muss sich | |
immer wieder trennen können, Bilder wegwerfen, was neu stellen. Wie ein | |
Cutter, der das ganze Material bekommt und dann bearbeitet. | |
Übernehmen Bilder immer mehr? | |
Das Wort ist rückläufig, auch wegen des Internets. Bilder sind instant. Das | |
Gleiche in Worten zu beschreiben kostet Zeit. Da braucht ein Autor zwei | |
Seiten für etwas, was in einer Filmeinstellung sofort da ist. Früher hatte | |
man große Tableaus und hat Wimmelbilder geschaffen, wo die Kleinen viel | |
entdecken konnten. Heute muss man filmischer denken. Die Kunst des | |
Illustrierens ist ja nicht, dass man schön zeichnen kann. Wenn man zum | |
Beispiel etwas sehr farbig auserzählt, dann begleite ich es im Bild lieber | |
in Schwarz-Weiß. Viel schöner! | |
Inspiriert Sie Neuseeland? | |
Hier ist es asiatischer. Entspannter. Als wir in Russell gebaut haben, sind | |
die Bauarbeiter oft nachmittags gegangen, weil so schöner Segelwind ist. | |
Die nehmen alles sehr viel lockerer, zumindest hier auf dem Lande. In | |
Deutschland reden alle immer nur von morgen: Was wird mit der Rente, was | |
mit den Flüchtlingen. Die Deutschen sind sehr unzufrieden, sie klagen auf | |
hohem Niveau. Primitive Völker sind viel glücklicher. Das haben wir in | |
Afrika gelernt. Nirgendwo wird so viel gelacht wie in Afrika, wo wirklich | |
Armut herrscht. | |
Sie waren über ein Jahrzehnt unter der Apartheid in Südafrika. | |
Letztendlich sind wir wegen der Zustände dort weggegangen. Die Listen der | |
Erschossenen wurden immer länger, unsere Kinder waren zehn und zwölf, meine | |
Bücher liefen gerade erfolgreich an und wir sagten: „Jetzt können wir es | |
noch mal packen.“ Ich gab mir selbst zwei Jahre Zeit, um meinen Traum als | |
Autor und Illustrator zu verwirklichen. Und toi, toi, toi – ich war einer | |
der wenigen, die es geschafft haben. | |
Die anderen wie Janosch und Tomi Ungerer kann man an einer Hand abzählen. | |
Jeder glaubt ja, Kinderbücher schreiben zu können. Und ist dann überrascht, | |
dass er 3.000 Euro Vorauszahlung kriegt und das war’s dann. Eine | |
humanistische Bildung ist ganz wichtig. Du musst zeichnen und schreiben | |
können, aus einer Hand. Wenn du etwas in Worten sagst, dann brauchst du es | |
nicht zu illustrieren, und wenn du es malst, dann brauchst du es nicht zu | |
beschreiben. Alle großen Bilderbuch-Talente von Beatrice Potter bis Maurice | |
Sendak müssen schreiben und illustrieren. | |
Wird es weitere Folgen vom Bestseller „Freunde“ geben? | |
Das ist die Rente. Aber die „Freunde“ sind abgeschlossen, auch wenn die | |
Verlage gerne immer mehr wollen. Davon muss man sich frei machen. Wilhelm | |
Busch sagt: „Man merkt die Absicht und ist verstimmt.“ | |
Welche Ideen schlummern in Ihrer Hängeregistratur? | |
Filmthemen, Romanthemen – die reifen da wie ein guter Wein vor sich hin. | |
Ich spiele gerade mit dem Gedanken an eine Liebeserklärung an das Buch. Das | |
kann man sehr sinnlich machen. Aber wie übersetze ich es, dass es auch | |
Kinder begreifen? Die Mutter, die es vorliest, muss es ja auch ertragen | |
können. Wenn es zu dümmlich ist, dann geht das nicht. | |
Verfilmung von Kinderbüchern – ja oder nein? | |
Das ist ja genau die Krux, zum Beispiel bei einem Buch wie „Heidi“: Die | |
Leser hatten zehn Millionen Heidis im Kopf – beim einen blond, beim anderen | |
braun. Dann wird sie verfilmt und es sterben neun Millionen Heidis. Eine | |
bleibt übrig, das ist die Film-Heidi. Dadurch wird unsere Welt immer | |
uniformer. | |
Was setzen Sie dem entgegen? | |
Indem ich das zeichne, worüber der Autor nicht schreibt. Die Geschichte | |
muss im Kopf stattfinden. Wenn ich zum Beispiel Romeo und Julia beim | |
Liebesakt illustrieren sollte, dann würde ich einen Palazzo von außen | |
zeigen, im Dunkeln, aber ein Fenster ist erleuchtet. Da beginnt die Kunst | |
der Illustration. Dann zerstöre ich nicht das Bild im Kopf durch das | |
tausendfach Ausgelutschte. Ich glaube, die Kinder spüren das. Daher gehöre | |
ich zu den Großen. | |
13 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Anke Richter | |
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