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# taz.de -- Ausblick auf die 63. Berlinale: Ein Ende den Eintrübungen
> „The Grandmaster“ von Wong Kar-Wai eröffnet die 63. Berlinale. Das
> diesjährige Programm ist vielversprechend, die Flaute der letzten Jahre
> scheint vorbei.
Bild: Don't push me cause I'm close to the edge: Tony Leung in „The Grandmast…
Bevor die 63. Internationalen Filmfestspiele Berlin am Donnerstagabend
beginnen, ist ein erster Coup gelungen. Im Wettbewerb läuft ein neuer Film
des iranischen Regisseurs Jafar Panahi, der eigentlich zu mehrjähriger
Haft, zu Ausreise- und Berufsverbot [1][verurteilt wurde]. Im
Berufungsverfahren warf ihm das Gericht im Herbst 2011 „Propaganda gegen
die nationale Sicherheit“ vor; der Haftbefehl wurde bisher nicht
vollstreckt.
Was hatte sich Panahi zuschulden kommen lassen? Nichts weiter, als
gemeinsam mit Mohammad Rassoulof an einem Dokumentarfilm zu arbeiten, der
um die Proteste gegen die Wiederwahl Ahmadinedschads im Frühsommer 2009
kreisen sollte. Doch die Filmemacher ließen sich von Untersuchungshaft und
Strafandrohung nicht einschüchtern; beide drehten weiter Filme. In Cannes
lief zum Beispiel im Frühjahr 2011 „In Film nist“ („Dies ist kein Film�…
von Jafar Panahi und Mojtaba Mirtahmasb, eine selbstreflexive Arbeit, in
der Panahi seine prekäre Lage vom Wohnzimmersofa aus anschaulich macht.
Nun wird „Pardé“ („Closed Curtain“) in Berlin zu sehen sein. Diesmal i…
Kamboziya Partovi der Ko-Regisseur, und wieder hat der Film selbstreflexive
Elemente, geht es doch um eine Frau und einen Mann, die beide auf der
Flucht sind und sich in einem abgelegenen Haus am Meer versteckt halten.
Die Vorhänge sind geschlossen, die Außenwelt dringt nur über akustische
Reize zu den beiden hinein. Bis eine dritte Figur ins Spiel kommt: der
Regisseur selbst. Dass es „Pardé“ überhaupt gibt, ist bereits ein Akt des
Widerstands gegen das iranische Regime, und es ist gut, dass die Berlinale,
die 2011 zugunsten Panahis und Rassoulofs intervenierte, in ihrem
Engagement nicht nachlässt.
## 2011 am Tiefpunkt
Es ist dies nicht die einzige gute Nachricht rund um das Filmfestival, das
2011 an einem Tiefpunkt angekommen war. Es hatte sich in immer neuen
Nebenreihen und Events zerfranst, hatte politische Inhalte mit Bedeutung
verwechselt und die Hauptaufgabe – das Kuratieren eines anspruchsvollen
Programms – in den Hintergrund gerückt.
Mochte der Filmmarkt auch brummen: Das Wettbewerbsprogramm war so
uninspirierend, dass sich zu den Konkurrenzfestivals in Cannes und Venedig
ein breiter Graben auftat, weswegen an übellaunigen Reaktionen in der
deutschen wie der internationalen Filmpresse kein Mangel herrschte.
Diese Flaute scheint überwunden. Auch wenn es schwierig ist, anhand
ungesehener Filme etwas Definitives über die Qualität eines Festivals zu
sagen, so lässt sich doch festhalten, dass viele der angekündigten Beiträge
vorfreudig stimmen. Zum Beispiel der außer Konkurrenz präsentierte
Eröffnungsfilm, „The Grandmaster“. Der Regisseur Wong Kar-Wai, in diesem
Jahr auch Präsident der Jury, die am 16. Februar den Goldenen Bären
vergeben wird, hat sich von der Biografie des Kampfkunstmeisters Yip Man
(1893–1972) inspirieren lassen, der den heute weltweit verbreiteten,
seinerzeit noch recht unbekannten Kung-Fu-Stil Wing Chun fortentwickelte
und lehrte.
Ein Kampfkunstfilm also, erzählt entlang der wechselvollen Geschichte
Chinas im 20. Jahrhundert und mit Tony Leung in der Rolle Yip Mans. Ob die
Kampfszenen die Eleganz und Schwerelosigkeit der Wuxia-Pian-Filme, der
klassischen Martial-Arts-Spektakel, bieten? Wing Chun ist ein Stil der
kleinen, knappen Bewegungen, wirkungsvoll, aber mit geringeren Schauwerten
als etwa das Kung-Fu der Tierstile – man kann gespannt sein, was Wong
Kar-Wai daraus gemacht hat.
Neugier und Vorfreude bleiben ungetrübt, wenn man das 19 Filme umfassende
Wettbewerbsprogramm studiert, denn gut die Hälfte dieser Filme stammt von
Regisseuren, deren Namen ein Versprechen birgt.
So hoch war die Rate lange nicht. Gus Van Sant etwa, bekannt dafür, sich
zwischen Mainstream und spröderen, experimentelleren Arbeiten geschmeidig
zu bewegen, ist mit „Promised Land“ vertreten, einem Film, der in einer
ländlichen Gegend der USA spielt, in der nach Erdgas gebohrt werden soll.
Der Abgesandte eines Energiekonzerns versucht, den Farmern Förderlizenzen
abzukaufen; dass es bei den Bohrungen zum Fracking, also zum Einsatz
gefährlicher Chemikalien, kommen wird, verschweigt er.
## Ulrich Seidls Kunststück
Dem Wiener Regisseur Ulrich Seidl gelingt ein besonderes Kunststück. Der
erste Teil seiner um weibliche Malaisen kreisenden Trilogie, „Paradies:
Liebe“, lief 2012 in Cannes, der zweite Teil, „Paradies: Glaube“, in
Venedig, und der dritte Teil, „Paradies: Hoffnung“, wird in Berlin zu sehen
sein. Drei Filme, drei A-Festivals, drei Wettbewerbspremieren, und das
alles in weniger als einem Jahr – das macht Seidl so schnell niemand nach.
Nachdem er der Sextouristin nach Kenia gefolgt ist und der katholischen
Fanatikerin in Wien beim Missionieren zugeschaut hat, beschäftigt ihn
diesmal eine Heranwachsende, die die Sommerferien im Diätcamp verbringt.
Wer darauf wetten möchte, dass die Einstellungen streng komponiert sind und
die symmetrische Anordnung bildbestimmend ist, verliert seinen Einsatz
sicher nicht.
Der Berliner Filmemacher Thomas Arslan erkundete in den neunziger Jahren
mit „Kardesler – Geschwister“ und „Dealer“ Kreuzberg, die Straßen ru…
das Kottbusser und das Hallesche Tor; von den deutschtürkischen
Protagonisten erzählte er abseits von Klischees, in einer berückenden
Alltäglichkeit.
Für seinen Wettbewerbsbeitrag „Gold“ nun ist er weit gereist, und zwar
gleichermaßen in Zeit und Raum: Der Film handelt von einem Treck Deutscher,
der am Ende des 19. Jahrhunderts, zur Zeit des Klondike-Goldrauschs, durch
die kanadischen Rocky Mountains irrt, nachdem er die mühselige Landroute zu
den Schürfgebieten eingeschlagen hat. Nina Hoss gibt die Protagonistin
Emily, eine Frau, die ihrem bisherigen Leben entschlossen den Rücken kehrt.
Man darf gespannt sein, wie sie sich im Westernsattel macht.
## Ein merkwürdiges Kätzchen
Der Wettbewerb lässt auch weitere cinephile Interessen nicht zu kurz
kommen, unter anderem steuern Denis Coté, Pia Marais, Steven Soderbergh,
Bruno Dumont, David Gordon Green und Hong Sang-soo neue Filme bei. Und auch
in den Nebenreihen, in Panorama und Forum, gibt es einiges zu entdecken,
angefangen bei einem bemerkenswerten Debüt aus Ägypten, „Coming Forth by
Day“ von Hala Lofty (Forum), über Jacques Doillons Körper-Spektakel „Mes
séances de lutte“ (Panorama) bis hin zu dem herrlich verschrobenen und
zugleich durch und durch alltäglichen Film „Das merkwürdige Kätzchen“ von
Ramon Zürcher (Forum).
Da es kein Ausschlusskriterium ist, wenn ein US-amerikanischer Film schon
beim Festival in Sundance lief, gibt es recht viele unabhängige
Produktionen aus den USA zu sehen. Matt Porterfields Beitrag zum Forum, „I
Used to Be Darker“, lotet ohne narrative Bögen und Zuspitzungen, dafür mit
viel musikalischem Gespür aus, wie sich Trennung und Abschied anfühlen. Rob
Epstein und Jeffrey Friedman rekonstruieren in „Lovelace“ das schwierige
Leben der Linda Lovelace. Die Hauptdarstellerin des populärem Pornofilms
„Deep Throat“ (1972) wandte sich später radikal von der Sexindustrie ab,
wovon ihre 1980 veröffentlichte Autobiografie „Ordeal“ („Qual“) Zeugnis
ablegt.
Auch Joseph Gordon-Levitts Komödie „Don Jon’s Addiction“ kreist um
Pornografie; sie handelt von einem jungen, vom Regisseur selbst gespielten
Mann, der süchtig danach ist, im Internet Pornos zu gucken. Zum Problem
wird dies, als eine von Scarlett Johansson gespielte Schönheit in sein
Leben tritt. So wie seine Fantasie von YouPorn-Akrobatik beherrscht wird,
so wird die ihrige von den Zerrbildern der romantischen Komödie besetzt,
und es braucht schon eine zauberhaft späthippieske Julianne Moore, damit
die Vorstellungswelten wieder frei werden.
Ein schöner Gedanke, um in ein Festival zu starten: Wo es gelingt, die
Eintrübungen von Fantasie und Wahrnehmung aufzuheben, ist man auf dem
richtigen Weg.
7 Feb 2013
## LINKS
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## AUTOREN
Cristina Nord
Cristina Nord
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