# taz.de -- Isabella Rossellini auf der Berlinale: „Mutterinstinkt ist verein… | |
> Die Schauspielerin und Regisseurin Isabella Rossellini über Launen der | |
> Natur, die Komik wissenschaftlicher Informationen und den Charme des | |
> Einfachen. | |
Bild: Isabella Rossellini in „Mammas“ beim Ausbrüten einer guten Idee. | |
taz: Frau Rossellini, wie kam es dazu, dass Sie auf die „Green Pornos“ und | |
auf die Serie „Seduce Me“ nun ein weiteres Kurzfilmprogramm mit dem Titel | |
„Mammas“ folgen lassen? | |
Isabella Rossellini: Nach dem Erfolg der beiden Vorgängerserien bekam ich | |
von Arte den Auftrag, eine weitere zu entwickeln. Und so habe ich versucht, | |
bei Themen weiterzumachen, mit denen ich mich schon zuvor beschäftigt habe: | |
Reproduktion oder Attraktion. Nun geht es um den sogenannten | |
Mutterinstinkt, ein Wort, das vorgibt, natürliche Phänomene zu beschreiben. | |
Doch beim Blick in die Tierwelt erweist sich, dass es da die | |
verschiedensten Verhaltensweisen gibt. | |
Natur ist also nicht Schicksal? | |
Die Natur ist die Natur, da können wir uns nichts aussuchen. Ich habe für | |
„Mammas“ eine Menge wissenschaftlicher Bücher gelesen, vorwiegend von | |
Frauen. Und wenn man diese Befunde zusammenträgt, sieht man, es ist | |
keineswegs so, dass weibliche Wesen generell die Tendenz haben, sich | |
aufzuopfern. Wenn jemand von Instinkt spricht, ist das also eine grobe | |
Vereinfachung. Dagegen wollte ich angehen. | |
Sie argumentieren mit der Vielfalt des Natürlichen gegen eine abstrahierte | |
„Natur“? | |
Ich stehe auf der Grundlage der Evolutionstheorie, die ein Kontinuum | |
zwischen Tieren und Menschen festgestellt hat. Es gibt keine Schöpfung, | |
auch keine derart eingeschriebene Ordnung. Meine Arbeit beruht auf 200 | |
Jahren Forschung. Inzwischen ist man von manchen Ansichten Darwins | |
abgerückt. | |
Sie haben in Italien gelebt, in Frankreich und in den USA. Sind dort die | |
kulturellen Unterschiede in den Weiblichkeitsidealen nicht noch größer als | |
die sogenannten natürlichen zwischen den Geschlechtern? | |
Darauf habe ich nie wirklich geachtet. Leider ist in meinen Kurzfilmen | |
dafür auch kein Platz, denn es geht mir nun einmal um Würmer und | |
Schmetterlinge. Kultur wird erworben, sicher entstehen dadurch auch | |
spezifische Unterschiede. Vielleicht ist diese Frage einfach zu weit | |
gefasst, als dass ich sie sinnvoll beantworten könnte. Ich bin nun mal | |
keine Soziologin. Ich mache kurze, komische Filme über Verhaltensweisen. | |
Der zentrale Satz in „Mammas“ lautet: „Comme si j’etais“, „wenn ich… | |
Beispiel ein Hamster, der seine Nachkommen frisst) wäre“. | |
Es geht darum, in zwei Minuten eine Menge wissenschaftlicher Informationen | |
zu vermitteln, aber auf eine komische Weise. Die Leute sollen lachen. Sie | |
sollen hinterher sagen: eigentlich sehr interessant, das wusste ich gar | |
nicht. Alle Tiere spiele ich selbst, schreibe die Drehbücher, zeichne | |
Storyboards dafür und entwerfe die Kostüme mithilfe von professionellen | |
Designern. Dieses Mal drehten wir in Frankreich, deswegen wollte ich die | |
wunderbaren Handwerker der Haute Couture einbeziehen. Dadurch wurde | |
„Mammas“ eleganter, glamouröser, französischer als die beiden anderen | |
Serien. | |
Glamour steht in einem ironischen Missverhältnis zu den teilweise eher Ekel | |
erregenden Kreaturen. | |
Für mich sind sie nicht ekelhaft. Vor fast 30 Jahren war ich Fotomodell, | |
heute spielt das keine Rolle mehr für mich. Heute macht es mir Spaß, diese | |
Filme zu machen, mit einem Team zu arbeiten und dabei eine Brücke zur Welt | |
der Mode zu schlagen, die mir sehr wichtig ist. | |
Filmisch gehen Sie im Grunde zurück zu den Ursprüngen des Kinos. Georges | |
Méliès ist eine unübersehbare Inspiration. | |
Das betrifft vor allem das Format, denn Méliès arbeitete vorwiegend mit | |
einer Kamera, die frontal vor einer bühnenartigen Szene fixiert war. Wir | |
brauchten einen einheitlichen Stil, denn ich bin ja keine genuine | |
Regisseurin, ich brauchte eine Handschrift, die mir geläufig war, und der | |
Stil von Méliès leuchtete mir ein. Auch deswegen, weil seine Filme „von | |
Hand“ gemacht wurden, also auf eine Weise, die mir auch möglich ist. Ich | |
kann keine komplizierten Kamerabewegungen machen. Man muss die eigenen | |
Stärke betonen, einen Stil schaffen, und das ist es, was „Mammas“ | |
auszeichnet: ein gewisser Charme des Einfachen. | |
Die Filme sehen einfach aus, sind aber genau besehen durchaus | |
vielschichtig. | |
Absolut. Ich kann Ihnen versichern, dass es in Wahrheit ganz schön | |
kompliziert ist. | |
Ein Detail gefiel mir besonders: In einer Szene taucht ein weißes Telefon | |
auf, als Verweis auf eine goldene Ära des italienischen Kinos, in der die | |
Mutterklischees noch ungebrochen waren. | |
Ja, mit solchen Details zu arbeiten ist, was ich besonders liebe. Das ist | |
die Kultur von Fotografie und Film, die ich mir angeeignet habe. Manchmal | |
braucht man nur eine Kleinigkeit, eine Geste, einen Gegenstand, um in einem | |
Rahmen eine ganze Welt zu erschaffen. | |
Eine Fotografie spielt auch in „Mammas“ eine wichtige Rolle. | |
Die Episoden sollten jeweils durch eine wiederkehrende Fotografie | |
strukturiert werden, und dafür fand ich ein Bild mit meiner Mutter aus | |
meiner Kindheit. Ich sitze auf einem Pony, mein Hund ist zu sehen, und | |
meine Mamma passt auf uns auf. Das schien mir passend. | |
Das Bild erinnert an eine wunderbare Szene aus dem Episodenfilm „Siamo | |
Donne“ („Wir Frauen“, 1953), in dem Ihre Mutter Ingrid Bergman im Garten | |
hinter einem Huhn herjagt. Wie war sie als „Mamma“? | |
Sie war eine großartige Mutter. | |
Vergleichen Sie sich nach vielen Jahren eigentlich noch mit Ihrer so | |
berühmten Mutter, da Sie weitgehend im selben Metier tätig sind? | |
Ich verkörpere Würmer, die hat sie nie gespielt. (lacht) Meine Mutter | |
führte auch nie Regie. Sie wollte nicht mehr sein als eine Schauspielerin. | |
Leider starb sie ziemlich jung. Im Alter von 60, also in meinem jetzigen | |
Alter, war sie schon sehr krank. | |
Bei der Berlinale laufen die „Mammas“-Filme im Forum Expanded. Wie fühlen | |
Sie sich in diesem Programm, das zwischen Kunst und Kino die | |
experimentellen Formate hervorhebt? | |
Darüber bin ich hoch erfreut. Ich arbeite ja oft mit experimentellen | |
Filmemachern wie Guy Maddin, David Lynch und Peter Greenaway. Auch wenn ich | |
immer wieder in kommerziellen Filmen auftrete, neige ich persönlich doch | |
eher zum Experimentierfreudigen. Vielleicht, weil mein Vater Roberto auch | |
so war. | |
8 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Bert Rebhandl | |
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