# taz.de -- Drehbuchentwurf von Pier Paolo Pasolini: Dem Leitstern hinterher | |
> Bevor er ermordet wurde, arbeitete Pier Paolo Pasolini an einem kühnen | |
> Projekt: „Porno-Teo-Kolossal“. Nun ist die Drehbuchskizze aufgetaucht. | |
Bild: Späte Entdeckung: Wenige Wochen vor seinem gewaltsamen Tod verfasste Pas… | |
Sodom und Gomorrha, Weihrauch und Vietnam, wilde Sexorgien in Mailand, | |
massenhaft in der Seine treibende Leichen und Erhängte auf den | |
Champs-Élysées in Paris, mittendrin ein Heiliger König, recht besehen ein | |
Don Quichotte begleitet von seinem Sancho Pansa, auf der Suche nach einem | |
Heiland, den er nicht findet, und nach seinem Tod auf dem Weg in ein | |
Paradies, das es nicht gibt: Mit gutem Grund hatte Pier Paolo Pasolini für | |
sein letztes, nie realisiertes Filmprojekt den Namen „Porno-Teo-Kolossal“ | |
gewählt. | |
Seit Jahren schon war bekannt, dass Pasolini dieses Projekt verfolgte, doch | |
erst jetzt wurde jener Brief vollständig veröffentlicht, in dem er das | |
komplette Treatment aufgeschrieben hatte. Der Adressat dieses | |
Drehbuchentwurfs war nicht umsonst jener Schauspieler, der den Heiligen | |
König (übrigens nicht einer von dreien, sondern „einer von den dutzenden, | |
die aufgebrochen sind, um den Messias anzubeten“, wie Pasolini formuliert) | |
geben sollte: Eduardo De Filippo, der große alte Mann des italienischen | |
Theaters. | |
Nur wenige Wochen vor seinem gewaltsamen Tod am 2. November 1975 entwirft | |
Pasolini für De Filippo einen schauerlich-schönen Handlungsbogen, | |
angesiedelt im Jetzt des 20. Jahrhunderts. In Neapel (der Heimatstadt De | |
Filippos) geht die Reise los, als die Kunde von der Geburt des Heilands die | |
Runde macht. | |
Der König, im Verein mit seinem Diener – den sollte Ninetto Davoli geben, | |
der von Pasolini in einem römischen Vorort entdeckte Schauspieler –, begibt | |
sich erst per Zug nach Gomorrha (angesiedelt im modernen Mailand), weil der | |
Stern sie dorthin führt. In Gomorrha, schreibt Pasolini, „schafft der | |
’heterosexuelle‘ Sex das soziale Chaos: Verbrechen, Vergewaltigungen, | |
Banküberfälle, Orgien, Nightclubs“ – und der König hilft, wo er kann, | |
spendet die eigentlich für den Messias gedachten Gaben, „um den andren in | |
ihren Lastern beizustehen“. | |
## Horrorszenen wie im antiken Numanzia | |
Die nächste Etappe heißt Rom, besser: Sodom. „Dort gibt es nur Sex“, | |
schwulen Sex, der allerdings diesmal „keinen gesellschaftlichen Wahnsinn, | |
Verbrechen etc. produziert, sondern höchstens Kunst“. Wieder hilft der | |
König nach Kräften, zum Beispiel „einer Schwuchtel, die kein Geld hat, um | |
einen Jungen zu bezahlen“. | |
Und die dritte Etappe ist schließlich Paris alias Numanzia. Numanzia: eine | |
spanische Stadt der Antike, deren Bewohner sich selbst töteten, um sich den | |
Römern nicht zu ergeben. Ähnliche Horrorszenen hatte Pasolini für Paris in | |
petto. Von einem Heer „im Stile der Amerikaner in Vietnam“ sieht er die | |
Stadt belagert, bis die Menschen sich allesamt selbst ausrotten. | |
Ein Ritt durch die Kinogeschichte hätte der Film zugleich werden sollen, | |
von Keaton und Chaplin über „Krimi, Western, Musical“ für die Mailänder | |
Orgien zu Rossellini und Fellini (die römischen Szenen sollten | |
neorealistisch ausfallen, die Vernichtung Roms dagegen im Stile des | |
Kolossalkinos inszeniert werden), während für das Pariser Kapitel | |
Eisenstein, Dreyer und Godard Pate stehen sollten. | |
Man könnte auch sagen, selbst wenn Pasolini eigene Werke nicht erwähnt: | |
Wüste Szenen wie in „Salò“ genauso wie anrührende Episoden wie im | |
„Decamerone“ oder seiner „1001 Nacht“ hätte er wohl im Sinn gehabt. Am… | |
war die Reise vergeblich – oder auch nicht: Als der König schließlich am | |
Geburtsort des Heilands eintrifft, muss er feststellen, dass der schon | |
lange tot ist, zwischenzeitlich eine Religion gegründet hat, mit der es | |
aber auch schon zu Ende gegangen ist. Darüber stirbt der König, und sein | |
Begleiter entpuppt sich als Engel – doch beide erstarren zu Salzsäulen, ehe | |
sie ins Paradies gelangen. | |
Und einen präzisen Leitgedanken auf dieser vergeblichen Reise dem Leitstern | |
hinterher hatte Pasolini auch: „Entdecken, ohne es zu wollen“, von einem | |
anderen, falschen Ziel geleitet. „Während man glaubt, ein Ziel zu | |
erreichen, entdeckt man die Realität, so wie sie ist, ohne jedes Ziel“, | |
schrieb er in dem Brief an De Filippo. Der verstand die nur vordergründig | |
tief pessimistische Botschaft völlig richtig – nach Pasolinis Tod befand | |
er, „fest engelsgleich“ sei der gewesen, eben „frei von irdischen | |
Konditionierungen“. | |
12 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
## TAGS | |
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