# taz.de -- TV-Doku über die Macht der Lobbyisten: Im EU-Hauptquartier | |
> Die Arte-Doku „Brussels Business“ zeigt, wer in der EU die Fäden in | |
> Händen hält. Die Macher haben sogar die Strippenzieher vor die Kamera | |
> bekommen. | |
Bild: Pascal Kerneis, Chef der Lobbygruppe European Services Forum. | |
Das Bild politischer Macht in Europa kennt jeder: ein Trüppchen von | |
Staatsmännern und -frauen, entweder in einer Linie oder auch in zwei, drei | |
Reihen auf einer Treppe arrangiert, in die Kamera lächelnd. Gern auch, | |
herangezoomt, ein deutscher Kanzler oder eine Kanzlerin, auf einem | |
Spaziergang im Gespräch vertieft mit einem französischen Präsidenten. Die | |
Botschaft lautet: Diese Leute sind gewählt, und sie machen Europa für uns. | |
Welch ein Kurzschluss das ist, zeigt „The Brussels Business“ von Friedrich | |
Moser und Matthieu Lietaert. „Wer steuert die Europäische Union?“, fragt | |
der Dokumentarfilm von 2011 im Untertitel. Moser und Lietaert arbeiten die | |
Rolle der Wirtschaftslobbyisten in den EU-Hauptquartieren auf. So widmen | |
sie sich etwa einem Club von 45 Konzernlenkern, die seit 1983 die | |
europäischen Regierungen unter Druck setzten, endlich einen Binnenmarkt zu | |
schaffen. Zwecks Erhalt globaler Konkurrenzfähigkeit, argumentierten die | |
Unternehmensfürsten, müssten mehr Markt und Verkehrswege her und nationale | |
Regularien weg. | |
Das mag nun nicht jeden überraschen. Doch auch in der aktuellen | |
Europadebatte hilft dieser Hinweis darauf, dass möglicherweise nicht | |
Friedens- und Freiheitsgötter, sondern die Herren vom „European Round Table | |
of Industrialists“ (ERT) die Agenda der europäischen Einigung für Helmut | |
Kohl und François Mitterand formulierten. | |
Das Gesicht der Macht in Europa, es gehörte damals auch Pehr Gyllenhammar, | |
bis 1994 Chef des schwedischen Fahrzeugherstellers Volvo, und Wisse Dekker, | |
dem Chef des Philips-Elektronik-Konzerns aus den Niederlanden. Die | |
deutschen Konzerne übrigens haben seither ihre Rolle im ERT offenbar | |
ausgebaut; Gerhard Cromme von ThyssenKrupp war 2001 bis 2005 gar | |
Vorsitzender. | |
## Mit den Entscheidern in die Oper | |
„The Brussels Business“ will Bilder schaffen für die bezahlte und | |
bezahlende Macht hinter der gewählten Macht. Es ist gut, dass der Film die | |
Recherchen des „Corporate Europe Observatory“ aufbereitet. Diese reizenden | |
Lobbykritiker – in der EU „gilt nicht 'eine Stimme pro Kopf', sondern 'pro | |
Euro eine Stimme' “, sagt Erik Wesselius – verdienen offensichtlich schon | |
seit zwanzig Jahren mehr Aufmerksamkeit für ihre Arbeit. | |
Vor allem aber haben Moser und Lietaert auch Lobbyisten selbst zum Reden | |
gebracht. Der weichgesichtige und verbindliche Pascal Kerneis vertritt | |
Banken, Versicherungen und andere Dienstleister und gibt freimütig Auskunft | |
darüber, wie sehr ihn das Geschäft der Interessenvertretung in Brüssel | |
fasziniert. Keith Richardson, Exgeneralsekretär des ERT, erzählt fröhlich, | |
wie sich die Unternehmenschefs alle sechs Monate – kurz vor jedem EU-Gipfel | |
– für 48 Stunden an schönen Orten zusammensetzen: „in der Mailänder Oper, | |
einem Museum in Deutschland oder in einem königlichen Palast in London“. Es | |
sei „immer ein Premier- oder Außenminister dabei“. | |
Wo keine Gesichter sprechen, wird viel in schwarzen Limousinen durch | |
nächtliche Brüsseler Straßen gefahren im „Brussels Business“, es werden | |
etliche schwarze Buchstaben auf weißem Papier gezeigt, das aus Geräten | |
quillt, und es laufen zahlreiche Anzughosenbeine über blanke Fußböden. Wie | |
soll die Abwesenheit von Demokratie auch aussehen? Die mediale Ästhetik der | |
Lobbykritik darf jedenfalls noch weiterentwickelt und besser in Szene | |
gesetzt werden. | |
Doch immerhin arbeitet daran auch der Sender Arte, der das „Brussels | |
Business“ mit einer weiteren Dokumentation („Im Vorzimmer der Macht“ von | |
Stephan Merseburger und Henno Osberghaus) sowie einer Onlineplattform | |
([1][www.arte.tv/brusselsbusiness]) zum Themenabend am Dienstag über die | |
„Macht der Lobbyisten“ kombiniert hat. Denn diese wird bislang noch stets | |
unterschätzt. | |
Dienstag, 20.15 Uhr, Arte, „The Brussels Business“ | |
12 Feb 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.arte.tv/brusselsbusiness | |
## AUTOREN | |
Ulrike Winkelmann | |
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