# taz.de -- EU-Binnenmarkt-Kommissar Barnier: „Wasser ist ein öffentliches G… | |
> Michel Barnier im Gespärch über Wasserversorgung, Banker-Boni, | |
> Finanzmärkte und die angebliche Übermacht Deutschlands in Europa. | |
Bild: Mein Main? Dein Main? Lichtspiegelung in Frankfurt/M. | |
taz: Herr Barnier, seit Ihren Plänen zur Privatisierung der | |
Wasserversorgung sind Sie in Deutschland der wohl umstrittenste | |
EU-Kommissar … | |
Michel Barnier: Wir wollen das Wasser nicht privatisieren! Das ist ein | |
großes Missverständnis. Nicht heute und nicht morgen. Wasser ist ein | |
öffentliches Gut – auch für mich. Und das soll es bleiben. Die Kommunen in | |
Europa können weiterhin selbst bestimmen, wie sie ihre Wasserversorgung | |
regeln wollen. | |
Aber die Aufregung über Ihre Konzessionsrichtlinie ist groß. Es haben schon | |
über eine Million Bürger der EU dagegen unterschrieben. | |
Ich hätte kein Problem damit, diese Petition auch zu unterschreiben – bis | |
auf einen Satz. Da steht, dass Wasser nicht den Regeln des europäischen | |
Binnenmarkts unterworfen werden soll. Die Leute vergessen, dass zu diesen | |
Regeln auch Vorschriften gehören, die die Wasserqualität in allen Staaten | |
der EU sichern. Darauf will ich nicht verzichten – und Sie vermutlich auch | |
nicht. | |
Dennoch: Die Kampagne hatte bereits Erfolg. Sie haben angekündigt, die | |
Richtlinie noch einmal zu ändern. Wie genau soll das aussehen? | |
Die EU-Kommission hat die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen. Ich habe | |
nach der Debatte die Rolle der Stadtwerke besser verstanden. Das Problem | |
sind die Stadtwerke, die einen privaten Anteilseigner haben oder die ihre | |
Dienste auf anderen bereits liberalisierten Märkten wie Energie anbieten. | |
Wir wollten, dass sie sich den neuen Regeln unterwerfen, sobald sie weniger | |
als 80 Prozent ihres Umsatzes in der Heimatgemeinde machen. Dies galt für | |
alle Sparten zusammen – also auch für Strom und Gas. Jetzt haben wir das | |
auf das Wasser begrenzt. | |
Das bedeutet? | |
Wenn ein Stadtwerk mindestens 80 Prozent seines Umsatzes in der | |
Wasserversorgung in seiner eigenen Kommune macht, dann kann die Kommune | |
Aufträge direkt vergeben, ohne öffentlich und europaweit ausschreiben zu | |
müssen. Damit sind die Rechte der Stadtwerke gestärkt. Sie müssen | |
allerdings für das Wasser auch eine separate Buchhaltung machen. | |
Warum nehmen Sie Wasser nicht ganz aus der Richtlinie? | |
In vielen EU-Ländern gibt es bisher keine Regeln für Konzessionen. Das | |
öffnet Betrug und Korruption die Türen. In einigen Ländern sind dafür schon | |
Politiker ins Gefängnis gegangen. Deshalb brauchen wir Klarheit und | |
Transparenz – auch zum Schutz der Steuerzahler. Außerdem sind die | |
Stadtwerke Europas bisher der Gefahr ausgesetzt, dass ihnen ein Gericht | |
eine öffentliche Ausschreibung aufzwingt. | |
Man könnte glauben, Sie machen diese Richtlinie nur, um den französischen | |
Wasserkonzernen wie Veolia oder Suez einen größeren Markt zu verschaffen … | |
Das ist Unsinn. Ich mache diese Richtlinie genauso für die deutschen | |
Stadtwerke wie für die französischen oder andere europäische Unternehmen. | |
Es scheint, Sie legen sich gern mit den Leuten an: Die Deutschen ärgern Sie | |
mit dem Wasser. Die Briten laufen Sturm gegen die neuen Regeln, die | |
Banker-Boni zu begrenzen. | |
Ich habe einen starken Willen. Ich will ein starkes Europa. Deshalb habe | |
ich in den vergangenen Jahren allein 28 Vorschläge für die Regulierung der | |
Finanzmärkte gemacht. Ich bin angetreten für eine Veränderung der | |
EU-Wirtschaftspolitik – weg vom reinen Liberalismus. | |
Ein Beispiel dafür ist Ihre Initiative, ab 2014 die Bonuszahlungen für | |
Banker zu begrenzen. Ist das eine Revolution, wie es im Europaparlament | |
heißt, oder nur ein erster Schritt auf einem langen Weg? | |
Das ist keine Revolution, das entspricht einfach dem gesunden | |
Menschenverstand. Denn ein Bonus ohne Grenzen bedeutet Risiko ohne Grenzen. | |
Eine echte Revolution sind hingegen die Reformen, die wir im Bankensektor | |
angestoßen haben mit den größeren Eigenkapitalanforderungen, besserer | |
Überwachung, der Regulierung der Schattenbanken. Damit haben wir die Lehren | |
aus der Finanzkrise gezogen! | |
Das hat aber lange gedauert, seit dem Beginn der Krise sind schon fünf | |
Jahre vergangen! | |
In der Demokratie braucht nun mal alles seine Zeit. | |
Doch nun klagt der konservative britische Premier David Cameron, die neuen | |
Regeln richteten sich gezielt gegen die Finanzindustrie in der City of | |
London. Was halten Sie davon? | |
Nein, das ist überhaupt nicht gegen die Londoner City gerichtet. Es geht | |
uns vielmehr darum, die Basis für einen gesunden Finanzsektor zu legen. | |
Warum schmeißt man die Briten nicht einfach aus der EU raus, wenn sie | |
ständig Sonderwünsche haben? | |
Es wäre ein großer Fehler! Das Finanzzentrum London ist wichtig für die EU. | |
Es zieht viele Investoren an. Wir brauchen die City genauso wie eine starke | |
Chemieindustrie in Deutschland oder die Nahrungsmittelindustrie in | |
Frankreich. Außerdem haben wir mit den Briten immer wieder Kompromisse | |
gefunden. Den meisten meiner Vorschläge haben sie schließlich zugestimmt. | |
Die Schweiz will noch weiter gehen als die EU und streng gegen „Abzocker“ | |
in den Unternehmensvorständen vorgehen. Was sagen Sie dazu? | |
Das Volk hat immer recht! (lacht) Aus meiner Sicht ist es ein gutes Signal, | |
dass man die Aktionäre stärker zur Verantwortung ziehen will. Wir werden im | |
Herbst eine ähnliche Initiative starten. Das war übrigens schon vor der | |
Schweizer Abstimmung geplant. | |
Wird dann auch der goldene Handschlag verboten, wie in der Schweiz? | |
Warten wir es mal ab. Letztlich müssen die Aktionäre entscheiden. Unser | |
Ziel ist nicht, die Finanzmärkte zu behindern. Wir brauchen sie und die | |
Banken. Aber sie müssen für die Realwirtschaft arbeiten, und nicht nur auf | |
kurzfristige Profite schielen. | |
Haben Sie nicht viel zu lange mit dieser Initiative gewartet? Die | |
Finanzmärkte haben EU-Ländern wie Griechenland und Portugal enorme Probleme | |
bereitet. Müssen sie stärker reguliert werden? | |
Es stimmt, dass die Finanzmärkte in Ländern wie Griechenland oder Portugal | |
falsche Signale gesendet haben. Aber ein Teil der Verantwortung liegt auch | |
bei den Regierungen, die sich auf den Märkten Geld besorgt haben. | |
Die falschen Signale kamen oft von den drei großen US-Ratingagenturen. Sind | |
Sie zu ängstlich mit diesen Agenturen umgegangen? Und warum schaffen Sie | |
nicht endlich eine europäische Agentur? | |
Nein, wir waren nicht ängstlich. Wir haben schon drei EU-Gesetze zu den | |
Ratingagenturen auf den Weg gebracht, und, glauben Sie mir, die Agenturen | |
sind davon nicht begeistert. Zum Beispiel führen wir eine zivilrechtliche | |
Haftung für falsche Ratings ein. Auf Wunsch des Europaparlaments werden wir | |
zudem einen Vorschlag für eine europäische Ratingagentur vorlegen. Aber das | |
braucht seine Zeit. | |
Und wenn alles fertig ist, wird es nie wieder eine Krise geben? | |
Man soll niemals „nie“ sagen. Wir ziehen die Konsequenzen aus der letzten | |
Krise: Kein Akteur, kein Produkt, kein Marktsegment wird der öffentlichen | |
Regulierung entgehen. Aber die Akteure an den Finanzmärkten sind sehr | |
einfallsreich. Deshalb lege ich so großen Wert auf eine schlagkräftige | |
Aufsicht. Wenn sie fertig ist, werden wir viel schneller handeln können als | |
vor der Krise. Nach vielen Jahren der Deregulierung schaffen wir den Rahmen | |
für eine rigorose Regulierung. Dennoch können Sie Probleme nie | |
ausschließen. | |
Wird diese Aufsicht zu einer echten Bankenunion führen? In Deutschland | |
zweifeln viele daran, Finanzminister Schäuble stand lange auf der Bremse … | |
Nein, es gab keine Bremsmanöver, denn Kanzlerin Merkel hat die Bankenunion | |
von Anfang an unterstützt. | |
Aber Frankreich wollte die Bankenaufsicht schon Anfang des Jahres starten, | |
jetzt im März … | |
Nein, ein so schneller Start war praktisch nicht möglich. Frankreich hat | |
das auch nicht gefordert. Die Europäische Zentralbank (EZB) braucht | |
mindestens ein Jahr, um die nötigen Ressourcen und das Personal | |
bereitzustellen. Deshalb wird die Aufsicht erst im März 2014 ihre Arbeit | |
aufnehmen. Allerdings kann die EZB, sobald das Gesetz verabschiedet ist, | |
die Aufsicht über ein oder zwei Banken übernehmen, wenn diese gestützt | |
werden müssen. | |
Verlagert sich bei der ganzen Diskussion das Machtzentrum nach Berlin? | |
Nein, ich habe nicht diesen Eindruck. Die ganze Debatte verwundert mich. | |
Deutschland legt Wert darauf, dass die neuen Institutionen zuverlässig | |
arbeiten. Das ist absolut legitim. Im Wesentlichen geht es dabei um das | |
Vertrauen zwischen Deutschland und den anderen, denn Deutschland ist | |
größter Beitragszahler für den EU-Haushalt. Aber es geht auch um das | |
Vertrauen untereinander und um das Vertrauen der Märkte. | |
Sie glauben also nicht, dass mehr und mehr Entscheidungen in Berlin | |
getroffen werden – statt in Paris oder Brüssel? | |
Nein. All diese Entscheidungen wurden gemeinsam gefasst, von den Staats- | |
und Regierungschefs, der EZB, dem EU-Parlament und der EU-Kommission. Ich | |
habe nicht das Gefühl, irgendwelche Entscheidungen vorgesetzt bekommen zu | |
haben. | |
Verstehen Sie, dass viele Menschen meinen, ihr Schicksal liege in der Hand | |
der Märkte? | |
Ja, aber das ist immer weniger wahr. Ich möchte, dass die Politik wieder | |
die Oberhand gewinnt. Die Demokratie muss das letzte Wort haben, nicht die | |
Technokraten oder die Märkte. | |
7 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
R. Reichstein | |
E. Bonse | |
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