Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Cohn-Bendit und Kindesmissbrauch: Der Tabubrecher
> Daniel Cohn-Bendit bekommt den Theodor-Heuß-Preis. Der Laudator hat seine
> Teilnahme abgesagt. Dem Grünen-Politiker wird Kindesmissbrauch
> vorgeworfen.
Bild: Engel oder Bengel? Dany le Rouge 1981 in Frankfurt.
Wir sehen einen jungen, etwas molligen Mann. Blonde Locken, das Halstuch
wie ein Cowboy um den Hals geschlungen. In einer französischen Talkshow
berichtet er aus seinem Alltag als Erzieher in einem Frankfurter
Kinderladen. Er schwelgt darin, was passiert, „wenn ein kleines
fünfjähriges Mädchen beginnt sich auszuziehen. Es ist großartig, weil es
ein Spiel ist. Ein wahnsinnig erotisches Spiel. Die Sexualität eines Kindes
ist etwas Fantastisches.“
Der Autor der Sätze ist Daniel Cohn-Bendit, der große, starke Mann der
europäischen Grünen. Ihr Ideengeber, Organisator und Tabubrecher. Am
Samstag bekommt Dany le Rouge den renommierten Theodor-Heuß-Preis. Da wird
die Geschichte noch mal aufgewärmt. Dem Präsidenten des
Bundesverfassungsgerichts waren die Cohn-Bendit’schen Erinnerungen so
zuwider, dass er sich verweigerte.
Andreas Voßkuhle sollte eigentlich die Laudatio für den Europaabgeordneten
halten. Das tut er nun nicht. Cohn-Bendit selbst sagte der taz, er gebe
dazu ein Interview – „aber erst, nachdem ich mich auf der Bühne zu dem
Thema geäußert habe. Nicht vorher, das habe ich den Veranstaltern
versprochen“.
Dany, der Aufrüttler und Wachmacher, dekretiert Schweigen. Was ist da los?
## Geöffneter Hosenlatz
Ihn rege halt auf, dass es immer die gleiche Stelle ist. Und nichts Neues
dazukomme. „Das geht ihm auf die Nerven“, sagt ein guter Bekannter.
Alte Geschichten. Ja, das sind sie, die Aufnahmen aus dem französischen
Fernsehen von 1982 und jene Textstellen im Buch „Le Grand Bazar“, die
Voßkuhle aufgeschreckt haben. Diese Passage ist gar von 1975. Dort
beschreibt und reflektiert Cohn-Bendit zugleich, wie er mit den Kindern
zwischen zwei und fünf Jahren umgegangen ist. „Mein ständiger Flirt mit den
Kindern nahm erotische Züge an“, lauten die Sätze Cohn-Bendits.
„Es ist mir mehrmals passiert, dass einige Kinder meinen Hosenlatz geöffnet
und angefangen haben, mich zu streicheln.“ Und dann? Das habe ihn vor
Probleme gestellt. „Aber wenn sie darauf bestanden, habe ich sie dennoch
gestreichelt.“ Das ist nicht nur eine alte Geschichte, sondern auch eine
ungeheuerliche.
Selbstverständlich hat sich Cohn-Bendit davon vielfach und variantenreich
distanziert. „Das war kein Tatsachenbericht, sondern schlechte Literatur“,
sagte Cohn-Bendit der Zeit 2010. „Es war als eine Provokation gedacht, jede
Schrift hat ihre Zeit.“ Der taz diktierte er gerade kurz und vorab, dass
das Beschriebene zur Realität keinen Bezug habe.
## Befreite Liebe
Harte Nachfragen sind (noch) nicht möglich, daher ein Blick darauf, wie der
Basar-Text Cohn-Bendits nach der Hosenlatzstelle weitergeht: „Da hat man
mich der Perversion beschuldigt“, fährt er fort und berichtet, wie Eltern
ihn deswegen aus dem Kinderladen der Universität Frankfurt rausschmeißen
wollten. „Ich hatte glücklicherweise einen direkten Vertrag mit der
Elternvereinigung, sonst wäre ich entlassen worden.“ Wegen der Handlung –
nicht wegen des Textes.
„Die Textstelle ist ein riesiges Problem“, sagte Meike Baader,
Erziehungswissenschaftlerin, die sich in ihrem Buch „Seid realistisch,
verlangt das Unmögliche!“ eingehend mit den 68ern und der
Kinderladenbewegung befasst hat. Damals ging es um die weit verbreitete
Vorstellung, dass das Unterdrücken von Sexualität repressive Charaktere
hervorbringe. Also sollte Sex frei gelebt werden, auch Kinder sollten zu
einer befreiten Liebe erzogen werden. „Es gibt einen blinden Fleck in der
Aufarbeitung dieser Zeit“, sagt Baader. „Sexualerziehung – ja. Aber Sex m…
Kindern, das ist ein No-Go.“
Das Problem der Nichtaufarbeitung teile Cohn-Bendit mit anderen. Es gibt
aus dieser Zeit mehrere Texte, die zwischen empirischer Beschreibung,
Literatur und Ideologieproduktion changieren. „Aber wir wissen nicht, was
wirklich passiert ist“, sagt Baader. Es gebe keinen Betroffenen, der über
sexuelle Handlungen gesprochen oder sie gar angezeigt hätte.
Das hat jetzt die forsche und zugleich lahme CDU Baden-Württembergs getan,
indem sie die Preisverleihung an Cohn-Bendit eine Verhöhnung der Opfer
sexueller Gewalt nannte. CDU-Fraktionschef Peter Hauk sagte über
Cohn-Bendit: „Man muss davon ausgehen, dass er auch Täter war.“ Und weiter:
„Ein Pädophiler ist nicht preiswürdig.“ Offenbar will Hauk eine
Unterlassung Cohn-Bendits provozieren. Denn um ihn wörtlich als Täter oder
Pädophilen zu bezeichnen, sollte er Belege vorweisen können. Die gibt es
aber bislang nur in die andere Richtung.
## Pädosexuelle Indianerkommune
„Dany war“, schrieben im Jahr 2001 Eltern der Kinder, die Cohn-Bendit
damals betreut hatte, „über einige Jahre Bezugsperson unserer Kinder und
zeichnete sich besonders dadurch aus, dass er die Bedürfnisse der Kinder
sehr ernst nahm. Wir wissen, dass er niemals die Persönlichkeitsgrenzen
unserer Kinder verletzt hat."
Auch heute noch stehen die Eltern hinter ihrem Erzieher Cohn-Bendit. „Mich
regt der moralische Furor auf, mit dem auf Dany losgegangen wird“, sagte
einer der Autoren des Elternbriefs der taz. Wie man mit Kindern umgeht wird
freilich heute anders gesehen – auch von den solidarischen Eltern, die
Cohn-Bendits Kitapraxis immer in den Kontext ihrer Zeit der wilden 1970er
gestellt sehen wollen. „Die Frage ist doch, wie geht man mit möglichen
erotischen Avancen um, denn die Kinder sind ja auch neugierig?", sagt der
Brief-Autor von einst. "Und da ist klar: Wenn man das nicht eindeutig
zurück weist, dann kann es zu schwierigen Situationen kommen.“ Und so
schwer es dem Vater fällt, dessen Sohn bei Dany einst in der Krabbelguppe
war, so sagt er heute über die Hosenlatzstelle: „Dany hat es in der
Situation damals nicht eindeutig zurückgewiesen.“
Was vor mittlerweile 41 Jahren in der Kita wirklich geschah, lässt sich,
solange keine weiteren Zeugen auftauchen, nicht klären. Klar jedoch ist,
dass weder Cohn-Bendit noch die Grünen ein Interesse daran haben, in einen
aufklärerischen Diskurs darüber zu treten. Die grüne Bewegungs- und
Parteigeschichte hat eine Reihe pädokrimineller Kapitel – von einer AG
Schwule und Päderasten bis hin zur pädosexuellen Indianerkommune. „Wir
Grüne haben diese Zeit nie konsequent aufgearbeitet“, sagt der hessische
Landtagsabgeordnete Marcus Bocklet, der sich mit dem Thema gut auskennt.
Erziehungswissenschaftlerin Baader hat erst jüngst einen der Texte aus
jener Zeit, das berühmte Sonderheft Pädophilie in betrifft: erziehung
erneut analysiert und skandalisiert. „Denn ich bin der Meinung, dass man
dies offensiv und laut tun muss, damit wir heute wissen, was damals geschah
und was psychologisch wie erzieherisch falsch und was richtig war“, sagte
Baader der taz. „Cohn-Bendit hat diesen Part nicht übernommen – aber wir
können das für die Grünen auch nicht machen, das müssen die selbst tun.“
In den 80er Jahren hatte Cohn-Bendit kein Problem, sich deutlich zu äußern
– in die andere Richtung. Damals stießen sich in der Odenwaldschule Lehrer
daran, dass Schüler miteinander Sex hatten – und die Schule dies als
Normalität hinnahm. Einige Lehrer protestierten, der Pädagoge Salman Ansari
forderte damals eine Schulversammlung, um die Grenzen von Körperlichkeit
und Sexualität eindeutig zu definieren. Tatsächlich kam es dann zu der
Versammlung – aber ganz anders, als Ansari sich das vorgestellt hatte.
## Triumph für die Kinderfreunde
Gerold Becker, der damalige Schulleiter, berief kurzerhand eine Versammlung
ein, bei der ein berühmter Sohn der Schule den Weg in den Odenwald fand:
Daniel Cohn-Bendit. Sein Auftritt wurde ein Triumph – für die sogenannten
Kinderfreunde. In die Sexualität der Schüler habe sich niemand
einzumischen, donnerte Dany. Und sein volksdemokratischer Resonanzkörper
hallte zurück.
Schüler wie selbsternannte Kinderfreunde jubelten. Mit Cohn-Bendits
Auftritt war klar: Lehrer dürfen keine Grenzen ziehen. Das promiske und –
wie wir heute wissen – pädosexuelle Internat im Odenwald blieb
grenzenlos.So kriegsentscheidend kann es sein, wenn Dany das Wort ergreift.
Am Samstag wird er es wieder tun. Er will reden.
19 Apr 2013
## AUTOREN
Christian Füller
Christian Füller
## TAGS
Daniel Cohn-Bendit
Pädophilie
Andreas Voßkuhle
Schwerpunkt Frankreich
Reformpädagogik
Pädophilie
Missbrauch
sexueller Missbrauch
Grüne
Grüne
Pädophilie
taz.gazete
80er Jahre
sexueller Missbrauch
Pädophilie
Daniel Cohn-Bendit
Schwerpunkt 1968
Daniel Cohn-Bendit
Kindesmissbrauch
## ARTIKEL ZUM THEMA
Pädophilie in Frankreich: Beredtes Schweigen
Vorzeigelinker Olivier Duhamel soll seinem Stiefsohn sexualisierte Gewalt
angetan haben. Der Skandal regt französische Intellektuelle auf.
Sexuelle Gewalt: Kulturgeschichte der Übergriffigkeit
Revolutionäre Bewegungen wie die Wandervögel und die 1968er begünstigten
Missbrauch, schreibt der Journalist Christian Füller.
Vorwürfe in Pädophilie-Debatte: FDP-Politikerin zieht sich zurück
Erst wurde ihr Artikel über Pädophilie aus den 80er Jahren bekannt. Nun hat
die FDP-Kandidatin Dagmar Döring ihre Bundestagskandidatur zurückgezogen.
Pädophile im linksalternativen Milieu: Die Freude am Tabubruch
Es begann mit der Anerkennung frühkindlicher Sexualität. Die befreite
Gesellschaft war das Ziel. Erst Mitte der Achtziger nahm die
Alternativszene Abstand.
Päderasten in der Jugendbewegung: Wandern und vögeln
Bei den Wandervögeln soll ein leitendes Mitglied Jugendliche missbraucht
haben. Sexuelle Gewalt gegen Schutzbefohlene ist Teil ihrer über
100-jährigen Geschichte.
Claudia Roth zur Pädophilie-Debatte: Grüne kündigen Entschuldigung an
Die Grünen werden sich für ihre Nähe zu pädophilen Gruppen in der
Vergangenheit entschuldigen. Es seien eindeutig und objektiv Fehler
passiert.
Kommentar Grüne und Pädophilie: Aufklärer wider Willen
Beim Thema Pädophilie klagen Grüne durchaus mit Recht, hier werde ein altes
Thema neu instrumentalisiert. Deshalb hätten sie längst für Transparenz
sorgen sollen.
Pädophilen-Einfluss soll erforscht werden: Grüne lassen die Hosen runter
Haben die Grünen in ihren Anfangsjahren zu sehr mit pädophilen Gruppen
zusammengearbeitet? Das soll nun ein externes Institut untersuchen.
Pädophilendebatte bei den Grünen: Man wollte offen für alle sein
Die Grünen lassen jetzt ihre Geschichte durchkämmen. Es geht um pädophile
Verstrickungen von gestern und den Wahlkampf von heute.
Grüne und „Sex mit Kindern“: Im Zentrum der Macht
Päderasten bei den Grünen der frühen 80er, war das nur eine Splittergruppe?
Die AG hatte mehr Einfluss, als es die Partei heute glauben machen will.
„Spiegel“-Bericht über Grüne: Die pädophile Vergangenheit
In den 80ern soll die grüne Bundespartei eine AG, die sich für die
Legalisierung von Sex mit Kindern aussprach, finanziell unterstützt haben.
Cohn-Bendit: „Das war Mainstream.“
Journalistin über Pädophilie: Der Hypnose erlegen
„Zeit“-Autorin Heike Faller mag den Nannen-Preis für ihre
Pädophilenporträts verdient haben. Für den Gegenstand ihres Stücks ist er
ein Skandal
Vorwurf der Missbrauchsverharmlosung: Cohn-Bendit verzichtet auf Ehrung
Den deutsch-französischen Medienpreis nimmt der grüne Europapolitiker nicht
an. Szenen wie bei der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises sollen sich
nicht wiederholen.
Debatte Kriegsaufarbeitung: Das Trauma der Linken
Natürlich hatten auch Linke in anderen Ländern antiliberale Tendenzen inne.
Aber die deutsche Bewegung wusste, wohin der Gewaltkult führen konnte.
Proteste gegen Cohn-Bendit: Tränen und Wut
Die Vorwürfe der Verharmlosung von Kindesmissbrauch lasten schwer auf dem
Grünen. Weggefährten, aber auch politische Gegner verteidigen ihn.
„taz“ & Cohn-Bendit auf der Buchmesse: „Ich halte Parteien nicht aus“
Daniel Cohn-Bendit diskutiert im taz-Gespräch auf der Buchmesse mit dem
Sozialpsychologen Harald Welzer Sinn und Unsinn von Parteien im 21.
Jahrhundert.
Umstrittene Äußerungen Cohn-Bendits: Eingeholt von freieren Zeiten
Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle hat seine Festrede für Daniel
Cohn-Bendit abgesagt. Der Grund: Äußerungen zur „Sexualität zwischen
Erwachsenen und Kindern“ von 1975.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.