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# taz.de -- Pädophile im linksalternativen Milieu: Die Freude am Tabubruch
> Es begann mit der Anerkennung frühkindlicher Sexualität. Die befreite
> Gesellschaft war das Ziel. Erst Mitte der Achtziger nahm die
> Alternativszene Abstand.
Bild: Daniel Cohn-Bendit: Mit „Liberalisierungseifer gegen die spießige Sexu…
Der heutige Grünen-Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit berichtete in seinem
1975 publizierten Buch „Der große Basar“ freimütig, dass er sich in einem
Frankfurter Kinderladen von einem fünfjährigen Mädchen am geöffneten
Hosenlatz streicheln ließ.
Bereits vor zwölf Jahren hielt ihm Alice Schwarzer dieses Zitat vor. Wenn
jetzt der baden-württembergische CDU-Fraktionschef Peter Hauk diese Szene
noch einmal mit hoch aufbrausender Empörung erwähnt, so hat das eher mit
Wahlkampf und weniger mit dem Verhalten Cohn-Bendits zu tun – offenbar
hatte dieser den Vorgang einfach frei erfunden.
Cohn-Bendit glaubte, sich ausgerechnet mit angeblichen pädophilen
Handlungen brüsten zu müssen. Damals gab es einen Liberalisierungseifer
gegen die „spießige Sexualfeindlichkeit“, der sogar dazu bereit war, die
Grenze zwischen kindlicher und erwachsener Sexualität zu verwischen.
Hinzu kam ein Provokationshabitus, der sich verselbständigt hatte, wie etwa
der TV-Auftritt Cohn-Bendits in einer französischen TV-Sendung von 1982
bewies, in dem er seine Gesprächspartner mit Lobeshymen auf die kindliche
Sexualität aus der Fassung zu bringen versuchte. Ebendiese linksalternative
Befreiungslogik und pure Provokationslust verschafften den Päderasten
damals eine Bühne.
Die Geschichte beginnt harmlos, nämlich mit der öffentlichen Anerkennung
frühkindlicher Sexualität; zweifellos eine wichtige Leistung der
antiautoritären Kinderladenpädagogik. Nackt herumlaufen, Sexualspiele mit
dem eigenen und dem Körper anderer Kinder waren damals noch tabuisiert.
Im tendenziell selbst regulierten Kollektiv konnten die Kinder nun ihre
„sexuellen bzw. genitalen Bedürfnisse“ ausleben. Ehrfürchtig bewunderten
die Betreuer die unbefangenen Kinder. Ihre Sexualität wurde überhöht und
zum Hoffnungszeichen für eine befreite Gesellschaft glorifiziert.
Bereits früh kam es auch zu pädophilen Handlungen, die – anders als in der
Odenwaldschule oder in den katholischen Kirchen – in aller Öffentlichkeit
besprochen wurden. Jedes Thema konnte, ja musste damals „ausdiskutiert“
werden.
Nicht zuletzt wurde dabei über das Private geredet und geschrieben – als
Teil der politischen Selbstverständigung. Getragen von diesem normativen
Erwartungsüberschuss wurde auch die Pädophilie zum Diskussionsthema. In der
Selbstdarstellung der Berliner Kommune II etwa liest man, die dreijährige
Grischa soll den Körper eines Mannes gestreichelt haben, der daraufhin eine
Erektion bekam.
## Sexuelle Neugier
Monika Seifert, Frankfurter Kinderladenaktivistin, schrieb dagegen 1970,
dass „bisher kein Fall von versuchter, direkter, zielgerichteter sexueller
Aktivität eines Kindes mit einem Erwachsenen beobachtet wurde“. Bezeichnend
ist ihre Erklärung: Ursächlich dafür seien die „Hemmungen und
Unsicherheiten der Erwachsenen“.
Es scheint, als habe sie sich dafür entschuldigen wollen, dass die Kinder
ihre „sexuelle Neugier an diesem Punkt unterdrücken“. Der befreiten
Sexualität der Kinder stand immer der selbstzerknirschte Verweis auf die
Verklemmungen der Erwachsenen gegenüber.
Bezeichnend für die damaligen Einstellungen zur Pädophilie war die
Solidaritätswelle für Peter Schult, einen freien Mitarbeiter des
alternativen Münchner Stadtmagazins Blatt. Schult wurde mehrfach wegen
Päderastie angeklagt und rechtskräftig verurteilt.
## Tabubrüche
Der Frankfurter Pflasterstrand befand, dass die Linke sich stärker mit dem
„Tabu“ der „abgewehrten und verleugneten Sexualität in der
Erwachsenen-Kind-Beziehung“ beschäftigen solle: „Auch hat sich gezeigt, da…
man nicht ohne weiteres davon ausgehen kann, daß die sexuellen Bedürfnisse
von Erwachsenen und Kindern soweit auseinanderfallen, daß man hier nur und
ausschließlich sexuelle Ausbeutungsverhältnisse unterstellen müsste.“
Dies ist nur eine von vielen Textstellen, in denen die Unterscheidung von
Erwachsenen- und Kindersexualität zielgerichtet eingeebnet wurde.
Als die Frankfurter Spontis 1977 ein Teach-in zur Pädophilie initiierten,
kamen rund 800 Teilnehmer und stritten heftig über Grenzen und Sinn
sexueller Libertinage. Der anwesende Schult warf der Frauenbewegung vor,
sie würde Pädophilie pathologisieren und Pädosexualität mit Vergewaltigung
verwechseln.
Aktivisten der Pädophilenbewegung wie Olaf Stüben lästerten 1979 in der taz
über die „moralinsaueren Typen“, die eine Grenze zwischen erwachsener und
kindlicher Sexualität ziehen wollten, die doch nur eine „Erfindung des
Bürgertums im Frühkapitalismus“ sei. Widerstand gegen solche Positionen gab
es von feministischer Seite.
## Kritik von Alice Schwarzer
Alice Schwarzer schrieb 1980 in der Emma: „Ich halte Pädophile nicht für
eine zu befreiende verkannte Minderheit, sondern für das willkommene
Sprachrohr einer Männergesellschaft, die es schon immer gut verstanden hat,
ungleiche Beziehungen als ’gleich‘ zu propagieren.“
Ihre eigenen Neigungen thematisierten die Pädophilen nur selten.
Stattdessen hieß es oft, man gehe nur auf die Wünsche der Kinder ein. So
schrieb um die Jahreswende 1977/78 ein Pflasterstrand-Autor: „Wir tun
Kindern ja Gewalt an, wenn wir auf ihre sexuellen Bedürfnisse nicht
eingehen.“
Auch in betrifft Beziehung, der Zeitschrift der linksgerichteten Deutschen
Studien- und Arbeitsgemeinschaft Pädophilie e. V., war immer wieder vom
angeblichen Verlangen der Kinder die Rede. Es sei ihr Menschenrecht, auch
mit Erwachsenen sexuelle Handlungen begehen zu dürfen: „Wenn sich nun der
Erwachsene zärtlichen, erotischen und schließlich auch sexuellen Wünschen
des Kindes entzieht: IST DAS KEINE GEWALT?“
## Distanzierungen von der Pädophilen
Gegen Mitte der achtziger Jahre änderten sich diese Verhältnisse
allmählich. Jene Teile der Schwulenbewegung, die sich in den 70er Jahren
mit Schult aufgrund der gemeinsamen Forderung nach einer Absenkung des
Schutzalters solidarisiert hatten, distanzierten sich nun von den
Pädophilen. Das Befreiungstheorem hatte an Zugkraft verloren – wohl auch
unter dem Einfluss der Aids-Diskussionen.
In den Grünen hatte die Bundesarbeitgemeinschaft „Schwule, Päderasten und
Transsexuelle“ (BAG SchwuP) den Pädophilen zunächst ein Forum für ihre
Forderungen nach Straffreiheit gegeben. Auf dem Programmparteitag der
nordrhein-westfälischen Grünen vom 10. März 1985 wurde die „gewaltfreie
Sexualität“ zwischen Erwachsenen und Kindern sogar in das Wahlprogramm
aufgenommen, was den Grünen anschließend massive öffentliche Proteste
einbrachte.
Nur eine Woche später, am 16. März, entschied der Landeshauptausschuss, den
Programmteil „Sexualität und Herrschaft“ auszusetzen. Auf einem
Sonderparteitag Ende März sprach sich die Partei nach turbulenten
Diskussionen für eine Schutzaltersgrenze von 14 Jahren aus. Nach solcherlei
Querelen wurde der Einfluss der BAG SchwuP zurückgedrängt, 1987 löste sie
sich auf. Nicht zuletzt aufgrund der Kritik von Feministinnen und grünen
Kreisverbänden gehörten die Pädophilen-Forderungen bald der Vergangenheit
an.
## Teil des Milieus
Drei Gründe trugen vornehmlich dazu bei, dass sich die Pädophilen als Teil
des linksalternativen Milieus ausgeben konnten. Erstens bezeichneten sie
sich als Opfer staatlicher Repression, rechtlicher Verbote und bürgerlicher
Normierungen. „Repression“ war aber ein Lieblingsterminus des
linksalternativen Milieus.
Als Gegen- und Kampfbegriff verlieh er den Freiheits- und
Selbstbestimmungsbedürfnissen mehr Legitimation. Zweitens konnten sich die
Pädophilen als Teil der allgemeinen Befreiungs- und Liberalisierungstendenz
ausgeben, galt doch die Lockerung und Auflösung bürgerlicher
Sexualitätsnormen als Königsweg zur Überwindung der repressiven
Gesellschaft.
Drittens war der Gestus des Tabubruchs, der Provokation einer allzu
wohlanständigen Gesellschaft, fast zum Selbstwert geworden. Repression,
freie Sexualität und Tabubruch waren gleich drei zentrale Dimensionen des
Selbstverständnisses, auf die man in Teilen des linksalternativen Milieus
nahezu reflexhaft reagierte.
12 Jun 2013
## AUTOREN
Sven Reichardt
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