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# taz.de -- Journalistin über Pädophilie: Der Hypnose erlegen
> „Zeit“-Autorin Heike Faller mag den Nannen-Preis für ihre
> Pädophilenporträts verdient haben. Für den Gegenstand ihres Stücks ist er
> ein Skandal
Bild: Homepage des Präventionsprojekts „Kein Täter werden“.
BERLIN taz | Heike Faller hat eine großartige, bis ins Detail
durchkomponierte Fallstudie eines Pädophilen geschrieben. Die Reporterin
hat am Freitag für „Der Getriebene“ den Henri-Nannen-Preis für die beste
Reportage 2013 bekommen. Es wäre ganz falsch, aus journalistischer
Perspektive daran herumzukritteln. Sieben Seiten Zeit-Magazin hat Faller
virtuos mit einem brennenden und ungelösten Thema bespielt. Gratulation!
Die Nannen-Jury freilich hat keinen Preis verdient, im Gegenteil, sie muss
sich fragen lassen, wie sie darauf kommt, Empathie für einen Pädophilen
auszuzeichnen. Die Reporterin hatte ein halbes Jahr einen Pädophilen
begleitet, der versucht, seine sexuelle Neigung nicht auszuleben. Der Mann
hat sich mit Tausenden Kinderpornos vorgeglüht. Ehe er sich auch an echten
Knaben vergeht, hat er in Berlin bei „Kein Täter werden“ angerufen, um sich
therapieren zu lassen.
Die Autorin protokolliere kühl, ohne ihre Einstellung zu Pädophilie
erkennen zu lassen, laudatiert die Jury. „Vielleicht ist es gerade diese
Haltung, die es möglich macht, dass ein Leser irgendwann ungewollt beginnt
Anteil zu nehmen, vielleicht sogar so etwas wie Verständnis zu empfinden.“
Dieser Satz ist eine Geschmacklosigkeit. Und ein Schlag ins Gesicht der
Opfer. Sie nämlich brauchen unser Ohr, unsere Empathie und, ja, unsere
konkrete Hilfe. Das politische Ergebnis einer dreijährigen Aufdeckung von
Pädokriminalität ist doch dieses: Tausende Opfer sexueller Gewalt haben bis
heute keinen Cent Hilfe bekommen – aber für ein knappes Hundert Männer, die
kein Täter werden wollen, gibt die Justizministerin 387.000 Euro aus.
Jedes Jahr. Niemand will das Projekt stoppen. Das aber gehört zur Wahrheit
dazu: Opfer bekommen Millionen leerer Versprechen, die potenziellen Täter
Geld, Verständnis und einen herausragend wichtigen Preis.
## 280-mal Jungen missbraucht
Man kann dem Journalismus schlecht vorwerfen, Missbrauch zu ignorieren.
Zusammen mit sozialen Netzwerken, in denen Opfer zunächst namenlos ihr
Schweigen brechen konnten, ist es Reportern wie Jörg Schindler gelungen,
die gut getarnten und mächtigen Netzwerke um Canisius-Kolleg und
Odenwaldschule zu dechiffrieren.
Das Thema sexuelle Gewalt ist medial viel präsenter als etwa 1999, wo eine
erste Reportage über systematischen Missbrauch im Odenwald keine einzige
Agenturmeldung nach sich zog. Unvorstellbar heute, der Ticker läuft über
mit Fällen wie zuletzt Andreas L. aus Salzgitter, der als Priester
entlassen wurde, weil er 280-mal Jungen missbrauchte. Und selbst das ist
nur die Spitze: Jeden Tag gehen bei der Polizei 33 Missbrauchsanzeigen ein.
Das Opfer rückt ins Rampenlicht, wenn ein abscheuliches Verbrechen beklagt
werden kann. Wenn es aber darum geht, die aus der Bahn Geworfenen wieder
aufzurichten, sind die Medien blind. Auch die sozialen Ursachen in den
Institutionen interessieren kaum – „wir wollen keine Hintergründe, sondern
Höschen“, scheint die voyeuristische Formel mancher Chefs vom Dienst zu
sein.
Der Täter hingegen ist immer interessant: Vor wie nach der Tat, als
kapuzentragender Mörder genauso wie als charismatischer Pfarrer oder
Pädagoge: „Warum? Warum er?“ Diesen hypnotisierenden Fragen ist auch Heike
Faller erlegen – und mit ihr die Nannen-Jury.
Die Geschichte der Päderastie ist der ewige Versuch, sexualisierte Gewalt
gegen Kinder zu rechtfertigen, vom pädagogischen Eros der Griechen bis zu
den 68ern, die die sexuelle Befreiung der Kinder direkt auf ihr eigenes
Genital lenkten. Mit der Auszeichnung der „Getriebenen“ hat die Jury nun
einen neuen Prototypen von Rechtfertigungsliteratur erzeugt: Verständnis
für die vermeintliche Ausweglosigkeit des Triebs bei Pädophilen.
30 Apr 2013
## AUTOREN
Christian Füller
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