| # taz.de -- Päderasten in der Jugendbewegung: Wandern und vögeln | |
| > Bei den Wandervögeln soll ein leitendes Mitglied Jugendliche missbraucht | |
| > haben. Sexuelle Gewalt gegen Schutzbefohlene ist Teil ihrer über | |
| > 100-jährigen Geschichte. | |
| Bild: In der Jugendbewegung ging es nie nur über Stock und Stein – und bis z… | |
| Markus M., 37, ist vor Gericht ein unscheinbarer und passiver Angeklagter. | |
| Stumm hört er an, was seine mutmaßlichen Opfer über ihn berichten. Im | |
| Umgang mit ihnen war er alles andere als passiv. | |
| Die Staatsanwaltschaft beschuldigt ihn, „eine Vielzahl sexueller Kontakte | |
| zu den ihm … anvertrauten Jugendlichen“ gepflegt – und deren | |
| „eingeschränkte Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung“ ausgenutzt zu | |
| haben. | |
| Die Vorwürfe reichen von Streicheln am Bauch über die Stimulation der | |
| Geschlechtsteile bis zum Analverkehr. Elf Fälle aus den Jahren 2004 bis | |
| 2006 werden M. zur Last gelegt. Heute wird das Urteil erwartet. | |
| „Er legte sich hinter mich und begann mich zu streicheln“, schildert ein | |
| junger Mann vor Gericht. „Dann nahm er meinen Penis in den Mund.“ Damals, | |
| vor zehn Jahren, war er 14. Heute haben er und andere Opfer endlich die | |
| Sprache gefunden. Sie erzählen vom Missbrauch durch ihren Ordensführer. | |
| ## Tradition der Ausbeutung | |
| Markus M. ist leitendes Mitglied des „Autonomen Wandervogels“ mit Sitz auf | |
| der Burg Balduinstein in Rheinland-Pfalz. M. „keilte“, warb sie mit der | |
| Aussicht auf Abenteuer, Natur und Gemeinschaft an. Das ist ein uraltes | |
| Modell der sogenannten bündischen Jugend, entstanden im späten 19. | |
| Jahrhundert. | |
| Mit Markus M. sitzt eine mehr als 100-jährige Tradition sexueller | |
| Ausbeutung auf der Anklagebank. Normale Päderasten müssen sich für ihre | |
| Taten immer eine individuelle Rechtfertigung suchen. Für die Gruppenleiter | |
| der Wandervögel und Jungenschaften ist das einfacher. Ihnen steht die | |
| Ideologie der Jugendbewegung zur Verfügung. | |
| Denn schon der erste Wandervogel, gegründet in Berlin-Steglitz im Jahr | |
| 1901, war nie nur Protest gegen die neuen ökonomischen Verhältnisse des | |
| deutschen Nationalstaats. Eine irritierte akademische Jugend lebte ihr | |
| Gemeinschaftsgefühl in der Natur aus, indem sie in seltsamer Kluft durch | |
| die Gegend wanderte. | |
| Der Wandervogel war schnell auch Anziehungspunkt Homosexueller, die mit den | |
| 11- bis 18-Jährigen mitgingen, um mit ihnen nackt zu baden und ihnen die | |
| Vorzüge der inversen Lieben beizubringen. Inverse Liebe – das ist der | |
| Sammelbegriff für Homo- wie Pädosexuelle, die damals für ihr Coming-out | |
| kämpften. | |
| ## „Onkel Willie“, der überzeugte Pädosexuelle | |
| Zu den führenden Köpfen der Gründerzeit gehört Wilhelm „Onkel Willie“ | |
| Jansen, der als überzeugter Pädosexueller denkt und handelt. Jansen war | |
| Mitbegründer der Zeitschrift Der Eigene, der weltweit ersten homosexuellen | |
| Publikation, die damals offen Pädophilie propagierte. Zu den pubertierenden | |
| Wanderburschen lotst ihn Hans Blüher. | |
| Der Wandervogel der ersten Stunde beschreibt 1912, vom eigenen | |
| pädosexuellen Coming-out beflügelt, „Die deutsche Wandervogelbewegung als | |
| erotisches Phänomen“. Blüher arbeitet diesen Ansatz später zu einer | |
| zweibändigen sexuell-politischen Theorie männlicher Überlegenheit aus. | |
| Motto: Sex mit einer Frau ist ein privater, also niederer Geschlechtsakt | |
| zur Fortpflanzung; Sex mit einem Knaben ist etwas Höherstehendes und eine | |
| patriotische Tat – die Grundlage zur Staatsbildung („Die Rolle der Erotik | |
| in der männlichen Gesellschaft“). Der provozierende Jungautor Blüher wird | |
| damals nicht etwa als frauenfeindlicher Spinner abgetan. Er erfährt | |
| Unterstützung durch Magnus Hirschfeld wie Sigmund Freud – und wird in den | |
| Feuilletons breit rezensiert. | |
| „Es gibt auffallend erotische Erlebnisse, die plötzlich eine Horde von | |
| 10–20 Mann ergreifen können“, beschreibt Hans Blüher das erotische | |
| Verhältnis zwischen einem „Erasten“, einem erwachsenen Liebhaber, und | |
| seinem „Kerlchen“, dem minderjährigen Geliebten. „Erastengeschichten | |
| spielen sich allenthalben im Wandervogel ab.“ | |
| Im Saarbrücker Prozess wird deutlich, wie sehr sich die heutigen | |
| Wandervögel auf die Blüher’sche Pädotheorie stützen. „Es tut mir leid�… | |
| entschuldigt sich der Angeklagte bei einem seiner Opfer für die | |
| pädosexuellen Übergriffe, „wir wussten damals nicht, dass das verboten | |
| ist“. Ein Zeuge, der den Beklagten entlasten will, beschreibt die Stimmung | |
| auf der Burg so: „Ich habe mitbekommen, dass es einige Homosexuelle auf der | |
| Burg Balduinstein gibt.“ | |
| Der Richter will wissen, wie er das gemerkt habe. „Von einigen wusste ich | |
| es, bei den anderen sah man es ganz genau.“ Der Richter gibt verwundert | |
| zurück: „Wie sieht man das, laufen die da wie Drag-Queens herum?“ Zeuge: | |
| „Nein, an den Bewegungen halt.“ | |
| Der Dialog spiegelt den Ruf der jugendbewegten Burg in der bündischen Szene | |
| wieder. Sie gilt dort als „rosa Burg“. Wer Prävention gegen sexuellen | |
| Missbrauch treiben will, so berichtet ein Wandervogel-Funktionär, „der geht | |
| mit seiner Jungengruppe am besten nicht auf diese Burg.“ | |
| Um Markus M. zu verurteilen, muss das Gericht ihm nachweisen, dass er seine | |
| Schützlinge als Schutzbefohlene missbraucht hat. Das wird nicht einfach. Im | |
| Zeugenstand sagt ein Wandervogel zur Rolle des Angeklagten als | |
| Gruppenleiter: „Er war ein älteres Mitglied, aber Leitungsfunktion hatte er | |
| nicht. In der bündischen Szene gibt es eigentlich keine Leiter.“ | |
| ## Jugendliche und Erwachsene seien gleichberechtigt | |
| Der Richter insistiert, dass der Angeklagte immerhin der Ordensführer der | |
| Balduinsteiner Wandervögel gewesen sei. „Ordensführer klingt nur nach | |
| Führer, ist aber keiner“, gibt der Zeuge kühl zurück. Jugendliche und | |
| Erwachsene nähmen gleichberechtigt an den Fahrten teil. | |
| Das hört sich an wie aus dem Blüher’schen Lehrbuch: Die Wandervögel hatten | |
| schon um 1900 eine so moderne Struktur wie al-Qaida heute. Die Gruppen | |
| gründen sich selbstständig – und lösen sich genauso selbstständig wieder | |
| auf. Es kommt nicht auf die Satzung an, sondern auf den charismatischen | |
| Führer. Schon der erste Wandervogel, von dem legendären Karl Fischer ins | |
| Leben gerufen, sah sich vollkommen autonom und ohne geschriebene | |
| Vereinsregeln. | |
| Die Alten Herren dienten bei der Gründungsversammlung nur als | |
| Unterschriftsmarionetten. Die jeweilige Gruppe sah sich häufig als einen | |
| elitären Geheimbund. Für Grenzüberschreitungen sind diese Eigenschaften ein | |
| idealer Nährboden – Kinder und Jugendliche werden in das klebrige Geflecht | |
| von Nähe, Ehre und Schweigen eingesperrt. | |
| ## Arbeit gegen das Schweigen | |
| Daher befasst sich ein eigener Arbeitskreis „Schatten der Jugendbewegung“ | |
| mit dem Thema sexuelle Gewalt. „Dieser Straftatbestand zieht sich leider | |
| wie ein roter Faden durch die über 100-jährige Geschichte der | |
| Jugendbewegung, aber damit wollen wir uns nicht abfinden“, sagt | |
| Jugendbildungsreferentin Annemarie Selzer, die dem Arbeitskreis angehört. | |
| „Es gibt keine einvernehmliche sexuelle Beziehung zwischen Kindern und | |
| Erwachsenen. Auch nicht unter dem Begriff des ’pädagogischen Eros‘, der | |
| über Jahrzehnte das Leitmotiv vieler jugendbewegter Gruppen war und nicht | |
| selten als Legitimation für sexuelle Übergriffe diente.“ | |
| Beim Prozess in Saarbrücken geht es nicht nur um die individuelle Schuld | |
| des Angeklagten. „Es darf nicht sein, dass das anderen Jugendlichen immer | |
| wieder passiert“, sagte der Nebenkläger im Prozess aufgewühlt. „Die ganze | |
| Szene lügt sich was zusammen. Ihr müsst kapieren, dass es nicht in Ordnung | |
| ist, wenn ein alter Wandervogelführer einen 13-, 14-Jährigen auf dem Schoß | |
| hat und ihm in den Schritt fasst. Ich habe selber zu lange weggeguckt, und | |
| ich hasse mich heute dafür.“ | |
| 11 Jun 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Füller | |
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